Soziale Politik

Reform des Sozialstaats: Das sind die größten Irrtümer

Die Deutschen werden immer fauler. Wer arbeitet, ist der Dumme. So heißt es immer wieder. Doch mit den Fakten hat das nichts zu tun. Sie zeigen: Der Sozialstaat ist deutlich besser als sein Ruf.

von Kai Doering · 5. November 2025
In’s Gerede gekommen: Von interessierter Seite wird der Sozialstaat systematisch schlecht geredet – oft mit falschen Behauptungen und entgegen aller Fakten.

In’s Gerede gekommen: Von interessierter Seite wird der Sozialstaat systematisch schlecht geredet – oft mit falschen Behauptungen und entgegen aller Fakten.

Die Ausgaben für den Sozialstaat steigen immer weiter.

2025 werden für den Sozialstaat etwa 1,4 Milliarden Euro ausgegeben. Das klingt gewaltig, aber dennoch sind die Ausgaben für den Sozialstaat in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht exorbitant gestiegen. Gemessen an der deutschen Wirtschaftskraft liegen die Sozialausgaben des Bundes heute nicht höher als vor zehn Jahren. Laut Statistischem Bundesamt brachte der Bund 2024 einen Anteil von 5,53 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für soziale Sicherung auf. 2015 waren es 5,64 Prozent. Im Jahr 2000 waren es 5,63 Prozent. „Der Sozialstaat hat seit 2022 in erster Linie ein Problem unzureichenden Wirtschaftswachstums, nicht übermäßiger Ausgabensteigerungen“, schreibt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung in einer aktuellen Analyse.

Deutschland leistet sich ein größeres Sozialsystem als andere Staaten.

Im internationalen Vergleich der öffentlichen Sozialausgaben der vergangenen 20 Jahre liegt Deutschland unter 27 Ländern der Industriestaatenorganisation OECD, von denen es Daten in diesem Bereich gibt, mit einem Zuwachs von insgesamt 26 Prozent auf dem drittletzten Platz. Deutschland ist also eines der Länder mit dem geringsten Wachstum bei den Sozialausgaben. Weit vorne liegen Neuseeland mit einem Plus von 136 Prozent, Island mit 131 Prozent und Irland mit 130 Prozent. Auch in den USA mit 83 Prozent, der Schweiz mit 64 Prozent oder Großbritannien mit 59 Prozent war der Anstieg in den vergangenen 20 Jahren deutlich höher als in der Bundesrepublik. Aktuell liegt Deutschland beim Anteil der staatlichen Sozialausgaben am BIP mit 26,7 Prozent auf Rang sieben der 18 reichsten OECD-Länder.

Beim Sozialstaat geht es nur noch ums Bürgergeld.

Das Bürgergeld, das künftig „neue Grundsicherung“ heißen soll, ist wahrscheinlich die bekannteste Sozialleistung in Deutschland. Es hat allerdings nur einen sehr geringen Anteil am deutschen Sozialhaushalt. Den größten Ausgabenposten bilden hier die Renten und Pensionen, die im vergangenen Jahr rund 464 Milliarden Euro ausmachten, und damit etwa ein Drittel aller Ausgaben. Das zweitmeiste Geld floss für die Behandlung von Krankheiten ins Gesundheitssystem. Hier stiegen die Ausgaben 2024 auf 433 Milliarden Euro. Hinzu kommt eine Vielzahl anderer Leistungen. Die Ausgaben für das Bürgergeld betrugen im vergangenen Jahr knapp 47 Milliarden Euro. Sie wurden an etwa 5,5 Millionen Menschen ausgezahlt, darunter mehrere Hunderttausend Ukrainerinnen und Ukrainer.

Das Bürgergeld ist ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Im Gegensatz zum bedingungslosen Grundeinkommen wird das Bürgergeld nicht unabhängig vom eigenen Vermögen oder anderen Einkommen gezahlt. Es wird auch nur dann ausgezahlt, wenn die Empfängerin oder der Empfänger „mitwirkt“, also Termine des Jobcenters wahrnimmt und sich zurückmeldet.

Mit dem Bürgergeld lohnt es sich, nicht mehr zu arbeiten.

Arbeit lohnt sich immer, denn wer arbeitet, hat in allen Berechnungen am Ende des Monats mehr Geld im Portemonnaie als jemand, der Bürgergeld bezieht. Allerdings müssen zusätzliche Leistungen wie Wohngeld oder Heizkostenzuschuss extra beantragt werden, oft an unterschiedlichen Stellen. Und: Wer Bürgergeld bezieht, sammelt in dieser Zeit keine Rentenpunkte. Nicht zu arbeiten, „lohnt“ sich also auch mit Blick auf den Ruhestand nicht.

Die Deutschen arbeiten zu wenig.

Wahr ist: Im Gesamtdurchschnitt arbeiten die Menschen in Deutschland heute weniger Stunden in der Woche als früher. Im Zeitraum zwischen 1991 und 2023 reduzierte sich die Wochenarbeitszeit pro Peron im Mittel von fast 39 Stunden auf etwa 36,5 Stunden. Allerdings hat im selben Zeitraum die Anzahl der insgesamt geleitsteten Arbeitsstunden in Deutschland zugenommen, insbesondere ab Mitte der 2000er Jahre. Gegenüber 1991 hat sich das jährliche Gesamtarbeitsvolumen immer weiter erhöht. Das liegt zum einen daran, dass die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland seit 2006 fast kontinuierlich gestiegen ist. Die Arbeit verteilt sich also auf mehr Personen. Zum anderen werden in hohem Maße Überstunden geleistet: Laut Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) ist es für die meisten Beschäftigten normal, mehr als fünf Überstunden pro Woche zu leisten, häufig sogar unbezahlt.

Weitere interessante Rubriken entdecken

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Mi., 05.11.2025 - 10:51

Permalink

drastischen Einschnitte in das Netz der sozialen Sicherung, die hier mit schön gesetzten Worten kleingeredet wird. Nun wird auch noch unser Genosse , der Landrat in Nordhausen prominent in Szene gesetzt, der die Leistungsbedürftigen jungen Leute in seinem Amtsbezirk mit Nachstellungen drangsaliert. will er die AfD rechts überholen, oder was treibt ihn an? Das Gegenteil der dortigen Maßnahmen wäre richtig. Wir brauchen keinen strengeren Sozialstaat oder gar Leistungskürzungen. Wir brauchen soziale Sicherheit für alle Menschen, auch im Kreis Nordhausen

Schreibe einen Kommentar

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.