Inland

Petra Köpping zum Sozialstaat: „Die Menschen erwarten gerade etwas von uns“

Die SPD begleitet die Arbeit der Sozialstaatskommission mit einem eigenen Gremium. Parteivize Petra Köpping erklärt im Interview, warum die Sicht der Sozialdemokrat*innen in der Debatte wichtig ist und welche Vorschläge auf dem Tisch liegen.

von Lea Hensen · 4. November 2025
Petra Köpping

Der „Herbst der Reformen“ soll Deutschland verändern. Ganz oben auf der To-Do-Liste steht ein Umbau des Sozialstaats: Effizienter, einfacher und unbürokratischer soll er werden. Bundessozialministerin Bärbel Bas (SPD) hat eine Kommission aus Vertreter*innen aus Bund, Ländern und Kommunen eingesetzt, die bis Ende des Jahres Vorschläge für eine Reform erarbeiten soll. Parallel dazu diskutiert ein parteiinternes Gremium der SPD eigene Ideen. Die sächsische Sozialministerin und stellvertretende SPD-Vorsitzende Petra Köpping gehört zu den Leiter*innen des Gremiums und erklärt, worum es geht.

Die Bundesregierung hat eine Sozialstaatskommission eingesetzt, parallel dazu begleitet die SPD die Arbeit mit einem eigenen Gremium. Warum?

Wir wollen prüfen, wie wir den Sozialstaat vereinfachen können, um mehr Bürgernähe herzustellen, zum Beispiel, indem wir Beantragungsprozesse verbessern und Bürokratie abbauen. Dabei möchten wir als SPD unsere Sicht einbringen. Viele Menschen sind von der Debatte um eine Reform verunsichert, wenn immer nur von Kürzungen die Rede ist. Mit dem Gremium wollen wir schauen, wie wir sozialdemokratische Positionen mit der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission abgleichen können.

Bärbel Bas hat gesagt, viele Bürgerinnen und Bürger würden den Sozialstaat als ungerecht empfinden. Was glauben Sie, woran das liegt?

Es geht oft um unterschiedliche Zugänge: Wer keine Unterstützung dabei bekommt, Sozialleistungen zu beantragen, bleibt oft außen vor, weil sie oder er gar nicht weiß, was ihr oder ihm zusteht. Unser Ziel ist, Vereinfachung für alle zu schaffen. Außerdem müssen wir über Einnahmestrukturen reden, über Vermögens- oder Erbschaftssteuer. Auch Beitragsbemessungsgrenzen in den Sozialversicherungen müssen hinterfragt werden, um Gerechtigkeit herzustellen. 

Petra
Köpping

Wir müssen am Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die öffentliche Verwaltung arbeiten.

Wer Ansprüche geltend machen will, muss unzählige Behörden abklappern. Wo müsste man ansetzen, um das zu entwirren?

Die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ hat da bereits gute Vorarbeiten geleistet. Sie hat 170 Sozialleistungen gezählt, die man zusammenlegen könnte. Wenn wir daraus die Hälfte machen, wäre das schon ein großer Fortschritt. Unser Ziel ist, dass Bürgerinnen und Bürger nicht 18 Anträge bei 18 verschiedenen Stellen einreichen müssen – sondern nur einen.

Die Komplexität des Sozialstaats kommt durch seine juristische Grundlage zustande: Sozialleistungen und Sozialversicherungen sind im Sozialgesetzbuch (SGB) geregelt, das sich in 13 Bücher aufteilt. Wie lässt sich diese gesetzliche Grundlage vereinfachen?

Man müsste schauen, ob Teile des SGB zusammengelegt werden können. Das wäre zum Beispiel für die geplante Pflegereform sinnvoll: Indem wir den Fokus stärker auf Prävention legen, können wir dafür sorgen, dass Menschen länger eigenständig zuhause leben. Um einen ganzheitlichen Ansatz der Prävention von der Kindheit bis ins Alter zu ermöglichen, könnte man Leistungen aus dem Familienministerium und aus dem Sozialministerium zusammenlegen. Bislang sind diese Leistungen in unterschiedlichen Teilen des SGB geregelt. 

Auch die Kindergrundsicherung sollte verschiedene Leistungen bündeln, doch das Vorhaben ist gescheitert. Was sollte man anders machen?

Ja, das Problem damals war, dass eine eigene Behörde geschaffen werden sollte, obwohl vorhandene Behörden die Aufgabe hätten übernehmen können. Wir wollen für eine Reform vorhandene Strukturen nutzen und eine Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger schaffen. Wenn ein Kind geboren wird, könnte der Anspruch auf Kindergeld zum Beispiel automatisch entstehen, ohne dass ein Antrag gestellt werden muss.

Ein großer Aufwand in den Behörden entsteht durch Einkommens- und Vermögensprüfungen. Wie könnte man diese vereinfachen?

Durch eine stärkere Zusammenarbeit mit den Finanzämtern, die bereits alle relevanten Daten haben und gut digital aufgestellt sind. Wir prüfen, wie andere Behörden diese Informationen nutzen können, ohne neue Strukturen zu schaffen. 

Da spielen wahrscheinlich Datenschutzfragen eine Rolle.

Ja, da müssen wir am Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die öffentliche Verwaltung arbeiten. Wir dürfen Schutzmaßnahmen nicht vernachlässigen, aber sollten auch bedenken, dass eine öffentliche Behörde kein Privatunternehmen ist und die Möglichkeit bekommen sollte, diese Daten zu nutzen.

Petra
Köpping

Krisen machen erfinderisch und kreativ.

Der Sozialstaat wird in den kommunalen Behörden in Selbstverwaltung umgesetzt. Die Kommunen wünschen sich dabei mehr Handlungsfreiheit. Wie sehen Sie das?

Das ist sehr sinnvoll. Ich habe als Landrätin erlebt, dass Familien oft von mehreren Betreuerinnen oder Betreuern gleichzeitig unterstützt wurden – bei den Finanzen, in der Kinderbetreuung, bei Suchtproblemen. Es wäre aber effektiver, eine Ansprechperson zu haben, die alles koordiniert. Kommunen müssen die Freiheit bekommen, ihre Ressourcen entsprechend einzuteilen.

Können Sie positive Beispiele für bürgernahe Behörden nennen?

Viele Verwaltungsbehörden auf regionaler Ebene sind digital schon gut aufgestellt: Man kann sein Auto digital anmelden, seinen Wohnsitz digital ummelden, sich digital für die Hundesteuer registrieren. Flächendeckend ist das aber noch nicht möglich. In diesen Fragen braucht es einheitlichere Regelungen in den Bundesländern.

Eine Sozialstaatsreform ist ein Mammutprojekt. Ist es realistisch, dass konkrete Schritte schon wie geplant nächstes Jahr umgesetzt werden?

Krisen machen erfinderisch und kreativ. Die Menschen erwarten gerade etwas von uns, und wir müssen ihnen die Sorge nehmen, dass eine Sozialstaatsreform nur aus Kürzungen besteht. Man kann nicht alles auf einmal lösen, aber wir gehen in Stufen vor, arbeiten mit Expertinnen und Experten zusammen und nutzen vorhandene Ressourcen. Viele Behörden haben Vorschläge, die bislang nicht richtig gehört wurden. Wenn wir Kompetenzen bündeln, bin ich davon überzeugt, bringt das auch finanzielle und bürokratische Einsparungen.

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Autor*in
Lea Hensen
Lea Hensen

ist Redakteurin des „vorwärts“.

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