Film „Das Verschwinden des Josef Mengele“: Radikal bis zum Schluss
Wie lebte einer der berüchtigsten NS-Täter nach dem Krieg und mit seiner Schuld? Damit beschäftigt sich die Romanverfilmung „Das Verschwinden des Josef Mengele“. Sie erzählt von den Lebensjahren des „Todesengels“ von Auschwitz im südamerikanischen Exil.
Lupa Film, CG Cinema, Hype Studios
Als NS-Kriegsverbrecher in Südamerika untergetaucht: August Diehl spielt den berüchtigten Lagerarzt Josef Mengele.
Der alte Mann ist wieder mal außer sich. Dass Don Pedro einsam in einem heruntergekommenen Haus in São Paulo leben muss, nagt schon genug an ihm. Eines Tages ist mal wieder sein Bruder aus Deutschland zu Besuch. Eigentlich ein Grund zur Freude. Doch Don Pedro erlebt eine herbe Enttäuschung. Dieser Idiot von Bruder hat vergessen, ihm das dringend benötigte Abführmittel mitzubringen. Nun muss er sich weiterhin mit seiner Verstopfung herumplagen, denn auf die brasilianischen Apotheken ist kein Verlass. Grund genug, um mal wieder herumzuschreien und die Menschen um ihn herum zur Schnecke zu machen. So wie er es immer getan hat.
Josef Mengele: Von Auschwitz nach Südamerika
Don Pedro heißt eigentlich anders, nämlich Josef Mengele. Nach dem Ende der NS-Herrschaft war der frühere Lagerarzt von Auschwitz, unter anderem bekannt für seine grausamen Menschenversuche an KZ-Häftlingen, zeitweise der meistgesuchte deutsche Kriegsverbrecher. Wie so viele andere Täter hatte er sich nach Kriegsende nach Südamerika abgesetzt, unterhielt aber weiterhin enge Verbindungen zur Familie im Schwäbischen. 1979 starb Mengele, den die Überlebenden der Lager als „Todesengel“ bezeichnet haben, in Brasilien.
Um Mengele und sein geheimes Leben im Exil rankten sich jahrzehntelang viele Mythen, erst Jahre nach seinem Tod konnten immer mehr Puzzleteile zusammengesetzt werden. Dieses neue Wissen nutzte der französische Autor Olivier Guez als Grundlage für seinen 2017 erschienen Roman „Das Verschwinden des Josef Mengele“. Nun ist die gleichnamige Adaption des Romans im Kino zu sehen.
Vom SS-Hauptscharführer zum verbitterten Eremiten
Der Film von Regisseur und Drehbuchautor Kirill Serebrennikow folgt in weiten Teilen dem Handlungsfaden und der Tonalität des Romans. Chronologisch werden zentrale Lebensstationen des früheren SS-Hauptscharführers in Argentinien und Brasilien geschildert. Wir erleben den Mediziner in Kreisen gut begüterter NS-Sympathisant*innen und als Landarbeiter auf einer Farm. Als deren Betreiber mitbekommen, wen sie unter ihrem Dach beherbergen, droht Mengele aufzufliegen. Und es beginnt die Zeit, in der er zunehmend zum verbitterten Eremiten wird.
Immer wieder gibt es Rückblenden in die Zeit vor 1945. Also in jene Phase, in der aus Mengeles Sicht alles gut für ihn war und er genau nach seinen Vorstellungen leben konnte. Aus diesem Grund sind diese Szenen in Farbe und in lichtdurchfluteten Einstellungen zu sehen, wohingegen die späteren Jahre in oftmals bedrückenden Schwarz-Weiß-Aufnahmen eingefangen wurden.
Die lächelnde Fassade des KZ-Arztes
Nicht zuletzt durch diesen Wechsel der Perspektiven wird deutlich, dass sich Mengele bis zum Schluss treu geblieben ist: Nicht nur blieb er ein unbelehrbarer Nazi und Rassist. Auch das Arrogante und Herrische seiner Persönlichkeit – beides versteckte als KZ-Arzt hinter einer lächelnden Fassade – legte er niemals ab. Selbst kleinste Verstöße gegen seine Vorstellungen und Wünsche ahndete er auf ebenso narzisstische wie pedantische Weise mit schroffen Zurechtweisungen, siehe die Episode mit dem Abführmittel.
Diese Erzählweise birgt einige Längen und hätte einen klareren Fokus auf Schlüsselerlebnisse vertragen. Dazu zählt etwa Mengeles Begegnung mit seinem Sohn Rolf. Anfang der 70er-Jahre besuchte er seinen Vater in Brasilien, um ihn mit seiner Schuld zu konfrontieren. Im Film bleibt dieser Vorgang fragmentarisch und man kann davon ausgehen, dass aus Sicht des Sohnes viele Fragen offengeblieben sind. Dennoch hat dieser Moment der Wahrheit seinen Reiz, weil überdeutlich wird, wie sehr der Protagonist in seiner eigenen Welt gefangen ist.
Die besondere Eindringlichkeit mancher Szenen ist nicht zuletzt Hauptdarsteller August Diehl zu verdanken. Mit seinem sehr physischen und zugleich fein nuancierten Spiel kehrt er die verschiedenen Facetten einer abgründigen Persönlichkeit hervor. Auch gelingt es ihm auf äußerst beeindruckende Weise, Mengeles Verschwinden auf mehreren Ebenen zu verkörpern. Wir erleben, wie sich der Protagonist auch dank eines breiten Kreises von Unterstützern ein Leben im Verborgenen aufbaut. Wir sehen aber auch, wie ein angeblicher „Übermensch“ immer mehr zu einer lächerlichen Figur wird. Und letztlich lässt sich auch beobachten, wie Mengele auch wegen des zunehmenden körperlichen Verfalls langsam „verschwindet“.
Warnung vor den „den Mengeles“ von heute
Der Film zeigt einige „menschliche“ Seiten Mengeles, ohne einen Zweifel daran zu lassen, wie dieser moralisch und ideologisch zu bewerten ist. Wohl aber wird deutlich, wozu Menschen, zumal unter extremen Bedingungen, fähig sind. Angesichts von Gewaltherrschaft und Kriegen in unserer Zeit kann man diesen Film daher auch als Warnung vor „den Mengeles“ von heute verstehen.
„Das Verschwinden des Josef Mengele“ (Deutschland/Frankreich 2025), nach dem gleichnamigen Roman von Olivier Guez, Regie und Drehbuch: Kirill Serebrennikow, mit August Diehl, Max Bretschneider, Dana Herfurth, Friederike Becht u.a., 135 Minuten, FSK ab 12.
Im Kino
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