Kultur

Film „Hannah Arendt“: Ein Leben zwischen Courage und Kontroverse

Nazi-Gegnerin, Publizistin und weltbekannte Analystin totalitärer Systeme: Der Dokumentarfilm „Hannah Arendt – Denken ist gefährlich“ erzählt davon, wie das Zeitgeschehen das Werk der einflussreichen politischen Theoretikerin geprägt hat.

von Nils Michaelis · 19. September 2025
Hannah Arendt im Exil in Paris

Hannah Arendt im Exil in Paris: Dort half sie dabei, jüdischen Kindern die Ausreise nach Palästina zu ermöglichen

Gleich zu Beginn des Films fallen einige dieser typischen Sätze von Hannah Arendt, die erschreckend aktuell klingen. „Noch nie war unsere Zukunft unberechenbarer“, zitiert die Schauspielerin Nina Hoss aus einer politischen Analyse. „Noch nie waren wir so sehr von politischen Kräften abhängig, bei denen man nicht darauf vertrauen kann, dass sie den Regeln der Vernunft folgen. Kräfte, die wie blanker Wahnsinn anmuten, wenn man sie nach den Maßstäben früherer Zeiten beurteilt.“

Von der Bürgerrechtsbewegung zur Erstürmung des US-Kapitols

Unterlegt werden die Worte des Off-Textes mit Bildern von Polizeigewalt gegen Demonstrierende der Bürgerrechtsbewegung in den USA während der 60er-Jahre und von der Erstürmung des Kapitols in Washington durch Anhänger*innen des seinerzeit abgewählten US-Präsidenten Donald Trump im Januar 2021. Womit überdeutlich hervorgehoben wird: Vieles, was die vor 50 Jahren verstorbene politische Theoretikerin (die Zuschreibung „Philosophin“ lehnte sie zeitlebens ab) in ihren Schriften konstatiert hat, besitzt auch heute Gültigkeit, und das nicht nur angesichts des zunehmend demokratiefeindlichen Kurses der irrlichternden Trump-Administration in den USA. 

Unzählige Filme sind über die in Deutschland aufgewachsene und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die USA emigrierte Denkerin erschienen. Mit „Hannah Arendt – Denken ist gefährlich“ kommt ein weiterer hinzu. Die deutsch-amerikanische Produktion widmet sich vor allem dem Zusammenhang zwischen den politischen Zäsuren und dem publizistischen wie wissenschaftlichen Werk von Hannah Arendt.

Chronologisch wird das Leben der Tochter einer jüdischen Familie aus Königsberg abgehandelt. Mit 18 Jahren geht sie zum Philosophie-Studium nach Marburg und beginnt eine Liaison mit dem später die Nazis hofierenden Professor Martin Heidegger. Als Journalistin in Berlin reflektiert Hannah Arendt die Radikalisierung der politischen Stimmung in Deutschland im Zuge der Weltwirtschaftskrise. Von der Gestapo kurzzeitig inhaftiert, geht sie 1933 ins Exil. Nach Etappen in Prag, Paris und französischen Internierungslagern findet sie 1941 eine neue Heimat in den USA. Dort entstehen politische Studien, die ihr weltweite Aufmerksamkeit verschaffen. 

Hannah Arendts Bericht über Adolf Eichmann sorgte für Entrüstung

Eine davon ist ihr 1951 erschienenes Hauptwerk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“. Darin geht Hannah Arendt unter anderem den Mechanismen von Antisemitismus, Stalinismus und Nationalsozialismus auf den Grund. Großes Aufsehen, aber auch erbitterte Kritik brachte ihr die Schrift „Eichmann in Jerusalem“ ein. Am Beispiel des Auftretens des Organisators der Transporte in die Todeslager der Nazis vor einem israelischen Gericht prägte Arendt den Begriff von der „Banalität des Bösen“. 

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Die filmische Erzählung vermischt Zitate der Protagonistin und von Zeitzeug*innen mit Archivbildern und Tonaufnahmen des jeweiligen Abschnitts auf der Zeitachse. So wird deutlich, dass es Arendt stets darum ging, das Geschehen um sie herum zu durchdringen und Zivilcourage nicht nur einzufordern, sondern auch zu leben. Sei es, indem sie Verfolgten des NS-Regimes in ihrer Berliner Wohnung Unterschlupf bot oder mithalf, jüdischen Kindern von Frankreich aus die Emigration nach Palästina zu ermöglichen. Als Klammer dient ein Fernsehinterview mit dem Journalist Günter Gaus aus dem Jahr 1964.

Dieses Strickmuster ist nicht besonders originell, aber recht unterhaltsam und an vielen Stellen von atmosphärischer Dichte. Häufig geraten persönliche sowie zwischenmenschliche Facetten von Hannah Arendts Biografie in den Mittelpunkt, sodass der Mensch hinter der öffentlichen Figur deutlich wird.

Das „Denken“ von Hannah Arendt kommt zu kurz

Zu kurz kommt dabei allerdings der im Filmtitel hervorgehobene Aspekt des „Denkens“ beziehungsweise der „Denkerin“. Zwar dürften auch die Letzten verstehen, dass es sich hier um eine Frau handelt, der geistige Unabhängigkeit und ziviler Ungehorsam sehr am Herzen lagen und die Kontroversen keinesfalls scheute. Warum viele ihrer Schriften bis heute als Standardwerke gelten und wie sie entstanden sind, wird aber meist oberflächlich betrachtet. 

Etwas mehr Tiefgang wagt der Film bei der „Banalität des Bösen“. Angesichts des Horrors des millionenfachen Mordes, dessen viele erst im Zuge des Eichmann-Prozesses gewahr geworden waren, erntete Hannah Arendts Beschreibung des SS-Obersturmbannführers als „Mann ohne Eigenschaften“ heftigen Protest aufseiten der Überlebenden des Holocaust. Dieser Konflikt wird anschaulich gemacht. Weitaus packender und intensiver ist dies allerdings 2012 in Margarethe von Trottas Spielfilm „Hannah Arendt“ gelungen. Wobei anzumerken ist, dass Arendts sehr einseitig gezeichnetes Bild von Eichmann schon lange als überholt gilt.

Mit Blick auf Hannah Arendts Schaffen und Wirken bietet der Film von Jeff Bieber, Ghana Gazit und Sabine Krayenbühl wenig Neues oder Originelles. Wohl aber ist er ein lohnender Einstieg für alle, die sich näher mit der Lebensgeschichte einer der wichtigsten politischen Denker*innen des 20. Jahrhunderts befassen möchten.

„Hannah Arendt – Denken ist gefährlich“ (Deutschland/USA 2025), ein Film von Jeff Bieber, Ghana Gazit und Sabine Krayenbühl, Sprecher*innen: Nina Hoss u.a., 86 Minuten, FSK ab zwölf Jahre.

Im Kino

Weitere Informationen unter www.progress.film/de/filmverleih

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