Film „Ai Weiweis Turandot“: Ein regimekritischer Künstler entdeckt die Oper
Architektur, Installationen und Film: Jahrzehntelang hat der chinesische Kunst-Weltstar Ai Weiwei kaum ein Betätigungsfeld ausgelassen. Ein Dokumentarfilm zeigt nun, wie sich der regimekritische Künstler dann aber doch auf ein komplett neues Terrain gewagt hat.
Fabrizio Sansoni
Der chinesische Künstler Ai Weiwei während einer Probe für die Oper „Turandot“.
Immer wieder stand Ai Weiwei gewaltigen Wagnissen und Grenzerfahrungen gegenüber. Mit seinen Projekten und Aktionen brachte der chinesische Konzeptkünstler wiederholt das Regime gegen sich auf. Etwa mit den öffentlichkeitswirksamen Recherchen zum Tod Tausender Kinder beim Erdbeben von Sichuan im Jahr 2008, die die Behörden in keinem guten Licht dastehen ließen. Im Zusammenhang mit verschiedenen Konflikten zwischen ihm und dem chinesischen Regime wurde er von der Polizei schwer misshandelt, inhaftiert und an der Ausreise gehindert. Außerdem musste er mitansehen, wie sein Atelier in Peking abgerissen wurde. Die womöglich größte Herausforderung im kreativen Sinne wartete vor einigen Jahren allerdings außerhalb Chinas, nämlich in Italien, auf ihn.
Eigentlich mag Ai Weiwei keine Opern
Dabei handelte es sich um eine Inszenierung der Oper „Turandot“ am Teatro dell‘ Opera di Roma. Wie sie der heute 68-Jährige meisterte, davon erzählt der Dokumentarfilm „Ai Weiweis Turandot“. Schon zu Beginn wird klar, dass und warum es für alle Beteiligten ein besonderes Projekt war. „Eigentlich mag ich keine Opern“, sagt Ai, während er durch eine Straße in Italiens Hauptstadt schlurft. Zudem höre er normalerweise keinerlei Musik. Spätestens jetzt fragt man sich: Wie wird eine der prominentesten Figuren der zeitgenössischen Kunst dem weltweit gefeierten Opern-Klassiker von Giacomo Puccini seinen Stempel aufdrücken? Und: Kann das gutgehen?
Der Film begleitet das Projekt über mehrere Jahre, angefangen von den ersten Vorbereitungen im Jahr 2018 bis zur Premiere vier Jahre später. Es war eine Zeit globaler Krisen, allen voran die Corona-Pandemie und Russlands Großangriff auf die Ukraine. Bei den Proben in Rom flossen diese Entwicklungen mit ein, mitunter war der Theaterbetrieb sogar direkt davon betroffen: Besonders symbolträchtig ist eine Szene mit der ukrainischen Dirigentin Oksana Lyniv, die im Frühjahr 2022 mit einer Art Schleife in den Farben ihres Landes ans Pult trat.
Zudem wird deutlich, warum sich dieses 1926 uraufgeführte Werk besonders gut für politisch aufgeladenes Musiktheater eignet. Seit jeher galt es als Projektionsfläche für die gesellschaftlichen und politischen Missstände der Gegenwart. Die Handlung rankt sich um eine Prinzessin, die jedem Mann, der um sie wirbt, ein Rätsel aufgibt. Kann er es nicht lösen, wird er geköpft. Einer der Hingerichteten hinterlässt einen Sohn. Auch er lässt sich auf das Wagnis ein. Mit List und Mut behält der junge Mann seinen Kopf und gewinnt das Herz der grausamen Prinzessin. All dies lässt sich als Parabel auf das Unmenschliche und Manipulative der entgrenzten Macht lesen. Und auf die Kraft der Subversion, um sie zu bekämpfen.
Für die Opernfassung wurde die auf einer Geschichte aus „1001 Nacht“ beruhende Handlung seinerzeit nach China verlegt. Auch Ai Weiwei und sein Team in dem römischen Opernhaus sparten nicht an Kunstgriffen, um die Geschichte und die Musik (man denke nur an die weithin bekannte Arie „Nessun dorma“) in einem neuartigen Kontext erlebbar zu machen. Und damit sind nicht nur Verweise auf das diktatorische China gemeint.
Mitten im Herz des Opernbetriebs
Der Regisseur des Dokumentarfilms, Maxim Derevianko, führt uns mitten ins Herz eines international aufgestellten und von den Zeitläuften geprägten Opernbetriebs. Ob Gesprächsausschnitte mit der Chefchoreografin und anderen zentralen Akteur*innen, Orchesterproben oder spontane Begegnungen auf dem Flur: Die Zuschauenden sind immer ganz dicht am Geschehen und an der Genese des Großprojekts dran. Sie bekommen ein Gefühl dafür, wie Oper entsteht: nämlich als Gemeinschaftswerk und kollektive Erfahrung.
Vor diesem vielstimmigen Hintergrund bleibt Ai Weiweis Vision für sein Operndebüt etwas vage. Auch nimmt er in der atmosphärisch dichten Erzählung weniger Raum ein als erwartet. Allerdings kehrt der Film immer wieder zu seinem künstlerischen Vorleben mit seinen Installationen und Performances, aber auch den erlittenen Repressionen zurück. Schon dadurch bekommt man eine Ahnung dafür, was in dieser Version von „Turandot“ alles mitschwingt. Und wie politisch und gegenwärtig Oper sein kann.
„Ai Weiweis Turandot“ (Italien/USA 2025, ein Film von Maxim Derevianko, mit Ai Weiwei, Oksana Lyniv u.a., 73 Minuten
Im Kino
Weitere Infos unter riseandshine-cinema.de