„Stolz & Eigensinn“: Wie ostdeutsche Frauen um ihre Jobs gekämpft haben
Vom Bagger an den Herd? Als die einstigen DDR-Großbetriebe schrumpften oder ganz verschwanden, mussten sich zahllose ostdeutsche Frauen auch wegen ungewohnter Rollenbilder neu orientieren. Im Dokumentarfilm „Stolz & Eigensinn“ ziehen einige von ihnen jetzt Bilanz.
Salzgeber
Tagebau in der Lausitz: Der Geräteführerin Silke Butzlaff ist es gelungen, sich nach der Wende in ihrem Job zu behaupten.
Aus der Ferne sieht man, wie sich ein Schaufelradbagger durch die Landschaft frisst. Nahe der Kante des Tagebaus Welzow-Süd in der brandenburgischen Lausitz steht eine Frau mit Helm und schaut dem Treiben des Ungetüms genüsslich zu. Es ist ihr Arbeitsgerät. „Man muss das Herz eines Bergmannes haben, um das zu verstehen“, sagt Silke Butzlaff über ihre Faszination für die Braunkohleförderung.
In den Worten der Endfünfzigerin schwingt viel Stolz mit. Stolz darauf, Teil eines traditionsreichen Industriezweigs zu sein und sich in einer männerdominierten Arbeitswelt behauptet zu haben. Stolz aber auch darauf, den Job überhaupt noch machen zu können.
Hunderttausende Frauen verloren nach der Wiedervereinigung ihren Arbeitsplatz
Schon Anfang der 90er-Jahre steuerte Silke Butzlaff als Geräteführerin einen Schaufelradbagger. Dass sie es heute noch immer tut, ist keine Selbstverständlichkeit. Hunderttausende Frauen verloren nach der Wiedervereinigung ihren Arbeitsplatz in den ehedem staatlichen Großbetrieben in Ostdeutschland. Dies bedeutete weitaus mehr als den zumindest zeitweiligen Verlust der wirtschaftlichen Unabhängigkeit.
Viele Frauen mussten erleben, wie ihr Selbstverständnis von außen infrage gestellt wurde. Vor diesem Hintergrund lässt sich Silke Butzlaffs Lebensweg als Erfolg sehen. Zahllose andere Frauen mussten sich neu orientieren oder scheiterten.
„Frauen an den Herd“ auch in Ostdeutschland
Einige solcher Geschichten erzählt der Dokumentarfilm „Stolz & Eigensinn“. Aus Zufall entdeckte der Filmemacher Gerd Kroske TV-Sendebänder eines Leipziger Piratensenders aus den frühen Neunzigern. Sie enthielten Interviews mit Mitarbeiterinnen ehemaliger DDR-Kombinate.
Während um sie herum die zweite große Entlassungswelle tobte, sprachen sie darüber, wie sie über ihre berufliche Tätigkeit Unabhängigkeit erlangt haben und wie es im Betrieb um das Verhältnis zwischen Männern und Frauen steht. Einige monierten, dass vor allem Frauen zunehmend vom Arbeitsmarkt verdrängt würden. Und dass im Zuge des wachsenden Einflusses aus Westdeutschland das Prinzip „Frauen an den Herd“ nun auch im Osten, wo weitaus mehr Frauen berufstätig waren, um sich greife.
Konnten sich die Gesprächspartnerinnen in der neuen Arbeitswelt behaupten?
Gut 30 Jahre nachdem diese Aufnahmen entstanden waren, ging Gerd Kroske auf Spurensuche. Was ist aus den Interviewpartnerinnen geworden? Konnten sie sich in der neuen Arbeitswelt behaupten? Und was lässt sich aus ihren Erfahrungen für die Gegenwart lernen? Diesen Fragen ging er während seiner Besuche an vielen Originalschauplätzen und in den Wohnzimmern von zehn Zeitzeuginnen nach.
Die Erzählungen sind so verschieden wie die Branchen und Biografien der Porträtieren. Vor der Kamera schildern neben Silke Butzlaff unter anderem eine frühere Schuhfacharbeiterin aus Weißenfels (Sachsen-Anhalt), eine ehemalige Lokführerin aus Spreetal (Sachsen) und eine gelernte Chemikerin aus Leuna (Sachsen-Anhalt), wie sie die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und persönlichen Umbrüche der vergangenen drei Jahrzehnte durchlebt und verarbeitet haben.
Eines schwingt in allen Erinnerungen mit: Dass sich die Frauen in all diesen Stürmen oft alleingelassen gefühlt haben, also vor allem auf sich selbst vertrauen mussten. Diese Erfahrung hat sichtbare Verletzungen und Verhärtungen hinterlassen.
Vor allem geht es immer auch um einen Vorher-nachher-Check: Wie schauen die Befragten auf ihr Leben damals und heute? Was vermissen sie? Kam alles so schlimm wie im Zuge der Deindustrialisierung Ostdeutschlands befürchtet? Gerd Kroske unterstützte diesen Prozess, indem er den Gesprächspartnerinnen die archivierten Interviews vorführte. Im Split-Screen-Verfahren werden die historischen und die aktuellen Gesprächssequenzen immer wieder parallel gezeigt. Dabei ergibt sich ein erstaunlich differenziertes und vor allem sehr reflektiertes Bild. Gründe für Ressentiments hätten diese Frauen reichlich.
Geschichten über Aufbruch und Widerstand
„Stolz & Eigensinn“ ist nicht als Lobgesang auf „die ostdeutsche Frau“ zu verstehen. Eher sind es Mikroperspektiven auf eine gewaltige gesellschaftliche Umwälzung. Diese bieten Abwertungserfahrungen breiten Raum, zeugen aber auch von Aufbruch und Widerstand. Mit diesem in Teilen optimistischen Blick ergänzt der Film den medialen Blick auf die Entwicklung in den ostdeutschen Ländern 35 Jahre nach der Wiedervereinigung um eine entscheidende Nuance.
„Stolz & Eigensinn“, ein Film von Gerd Kroske, 113 Minuten.
Im Kino
Weitere Informationen unter salzgeber.de