Mord an Rechtsaußen-Aktivist Charlie Kirk: „In den USA brodelt es gerade“
Nach der Ermordung des Trump-Unterstützers Charlie Kirk ist die Sorge vor weiterer Gewalt in den USA groß, sagt Reinhard Krumm von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington. Während viele Politiker*innen zu Mäßigung aufriefen, versuche der US-Präsident, die Tat für sich zu nutzen.
IMAGO/Anadolu Agency
Gedenken an Charlie Kirk: In den USA ist die Sorge groß, wohin die Gewalt noch führen könnte.
In Deutschland war Charlie Kirk bis zu seiner Ermordung nur den Wenigsten ein Begriff. Welche Rolle hat er in den USA gespielt?
Ich denke, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Charlie Kirk jemand war, der einen großen Beitrag zum Wahlsieg von Donald Trump im vergangenen Jahr geleistet hat. Kirk hat es geschafft, junge, weiße Amerikaner dazu zu bringen, nicht nur an die Wahlurnen zu gehen, sondern auch für Trump zu stimmen. Zu Beginn des Wahlkampfs hatte Joe Biden bei den jungen Wählern einen großen Vorsprung. Vor allem dank Charlie Kirk konnte Trump den Vorsprung der Demokraten deutlich verringern.
Wie hat Charlie Kirk das geschafft?
Vor allem mithilfe seiner Bewegung „Turning Point United States of America“, die mittlerweile 850 Büros in den ganzen USA und inzwischen knapp 100 Millionen US-Dollar zusammengetragen hat. Charlie Kirk hat junge Menschen offenbar vor allem durch seine offene Art überzeugt. Seine Art der Kommunikation ist bestens angekommen. Kirk ist an vielen Universitäten aufgetreten und hat zumindest vorgegeben, mit jedem ergebnisoffen diskutieren zu wollen. Bei einem solchen Auftritt auf dem Campus der Utah Valley University ist er ja auch einem Attentat zum Opfer gefallen. Charlie Kirk hatte etwas, das im progressiv-linken Spektrum niemand hat.
Reinhard
Krumm
Kirks Äußerungen haben sich schon am äußeren rechten Rand bewegt.
In manchen deutschen Medien wurde Charlie Kirk als „Konservativer“ beschrieben, in anderen als „Rechtsextremer“. Welche Beschreibung trifft ihn am ehesten?
Kirks Äußerungen haben sich schon am äußeren rechten Rand bewegt. Er hat offen darüber gesprochen, welche Art von Menschen er verachtet und das waren meistens Menschen aus dem linken Spektrum der Gesellschaft, häufig auch Minderheiten. Zudem vertrat er die Meinung, dass die Präsidentschaftswahlen 2020 gestohlen waren.
Gleichwohl finden sich in seinem 2020 veröffentlichen Buch „Die MAGA-Doktrin“ sehr klassische republikanische Thesen und Überzeugungen: eine schlanke Regierung, möglichst viele individuelle Freiheiten, eine deutliche Skepsis gegenüber Autoritäten. Dabei ist er überzeugt, dass die MAGA-Bewegung größer ist als einzelne Personen, also auch größer als Donald Trump. Insofern äußert sich Charlie Kirk als ein Radikaler und als Systemkritiker, der sowohl die demokratische als auch die bisherige republikanische Partei als unfähig ansieht, die USA zu regieren.
Wie wird sein Tod in den USA aufgenommen?
Mit großer Betroffenheit und einer großen Sorge, wohin die Gewalt noch führen könnte. Der Gouverneur von Utah, der Bundesstadt, in dem Charlie Kirk ja erschossen wurde, hat sich sehr besorgt darüber geäußert, dass es jetzt darum gehen müsse, weiterhin dafür zu sorgen, dass in den USA trotz größter Meinungsverschiedenheiten die Auseinandersetzungen gewaltfrei verlaufen.
Sowohl Demokraten wie Republikaner rufen zu Mäßigung auf. Derweil äußert sich der Präsident, indem er eine Seite beschuldigt. Sekundiert wird er von einigen Republikanern, die der Meinung sind, man müsse es den Linken jetzt zurückzahlen. Die Frage stellt sich deshalb, ob die politische Führung in der Lage und willens ist, diese aufgeladene Stimmung zu entspannen.
Zumal Gewalt gegen Politiker*innen in den USA ja nichts Neues ist. Erst im Juni wurden eine demokratische Politikerin und ihr Mann in Minnesota erschossen. Donald Trump entging im Wahlkampf nur knapp einem Attentat.
Und Ende vergangenen Jahres wurde der Chef der größten Krankenversicherung der USA in New York auf offener Straße erschossen, wofür es aus bestimmten Gruppen übrigens viel Beifall gab. Ähnliches sieht man von anderer Seite im Fall von Charlie Kirk jetzt auch. Das zeigt, dass die Spaltung in den USA sehr, sehr tief ist und die Frage ist, ob es die Politik – die Regierung wie die Opposition – schafft, dieser tiefen Entfremdung und auch Verachtung gegenüber der anderen politischen Gruppe etwas entgegenzusetzen oder ob sich die weiter verschärft – bis zu einem militanten Kulturkampf.
Reinhard
Krumm
Die USA befinden sich im Augenblick in einem seit langer Zeit nicht mehr gesehenen Fieberzustand.
Donald Trump hat drei Tage Trauerbeflaggung angeordnet, sein Vize J.D.Vance hat bei der Überführung von Kirks Sarg geholfen. Ist das wahre Anteilnahme oder versuchen sie, auch politisch Kapital aus der Ermordung zu ziehen?
Beides. Gerade Vance hatte offenbar eine engere Beziehung zu Kirk. Er war für ihn mehr als nur eine Person, die Wahlkampf gemacht hat für die Republikaner. Auf der anderen Seite wollen Trump und Vance die Situation natürlich nutzen. Sie prägen gerade die Erzählung, dass ihre Politik nur durch Gewalt gestoppt werden kann und dass die andere Seite gar nicht mehr in der Lage ist, Argumente vorzubringen. Das ist unverantwortlich, weil bei dieser Gewalt Menschen sterben, sowohl bei den Demokraten als auch bei den Republikanern. Dadurch entsteht ein Klima, in dem es jederzeit wieder zu einem Attentat kommen könnte. In den USA brodelt es gerade.
Und das ein gutes Jahr vor den Zwischenwahlen. Wird sich die Situation eher noch zuspitzen?
Das ist sehr schwer zu sagen. Wahlkämpfe sind in den USA immer schmutzig – es bedarf eines Gegners, eines Helden und dann des Siegs des Helden. Es gibt inzwischen an beiden Enden des politischen Spektrums Persönlichkeiten, die versuchen, dem aufziehenden Wahlkampf ihren Stempel aufzudrücken.
Nach wie vor liegen die Demokraten in der Beliebtheit hinter den Republikanern und auch Trump. Sie haben einiges aufzuholen. Ob und inwieweit ihnen das gelingen wird, werden wir schon in diesem Jahr sehen können. In Virginia finden Gouverneurswahlen statt, in New York wird über einen neuen Bürgermeister abgestimmt. Klar ist: Die Sicherheitsvorkehrungen werden noch einmal verschärft werden.
Und wie steht Donald Trump da?
Die USA befinden sich im Augenblick in einem seit langer Zeit nicht mehr gesehenen Fieberzustand. Es wird sehr viel angegangen, es wird sehr viel radikal geändert oder gar zerstört, aber Resultate sind freilich noch völlig unklar.
Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Wirtschaft abgewürgt wird. Es kann aber auch sein, dass die Wirtschaft in manchen Bereichen funktioniert – die Zölle haben Milliarden in den Staatssäckel gespült. Insofern leben wir in einer sehr unklaren Zeit und der Mann, der vorgibt, alle Probleme lösen zu können – bisweilen innerhalb von 24 Stunden – kommt kaum voran, auch wenn sein Instagram-Kanal anderes verkündet. Und das gilt sowohl für die Innen- als auch für die Außenpolitik. Eigentlich ist damit alles angerichtet, dass nach dem Mord an Charlie Kirk noch Weiteres passieren kann.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.