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Zoll-Deal mit den USA: „Wir müssen jetzt das Beste für die EU herausholen“

Der Vorsitzende des Handelsausschusses des Europaparlaments, Bernd Lange, übt scharfe Kritik am Zoll-Deal zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump. Im Interview sagt Lange, wo er Gefahren sieht und was er noch verhandeln will.

von Kai Doering · 8. September 2025
SPD-Europapolitiker Bernd Lange blickt in die Kamera von oben aufgenommen

Hat große Vorbehalten gegen das Zollabkommen der EU mit den USA: SPD-Europapolitiker Bernd Lange

Die Sozialdemokraten im Europaparlament wollen dem Zoll-Deal zwischen der EU und den USA in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Was kritisieren Sie?

Es gibt mehrere Kritikpunkte. Ein ganz entscheidender ist, dass es in dem Abkommen keine Stillstandsklausel gibt. Das bedeutet, dass Donald Trump das Abkommen jederzeit nach Belieben wieder brechen kann, was wir seit seinem Handschlag mit Ursula von der Leyen in Schottland Ende Juli auch schon zweimal erlebt haben: Zwei Wochen danach haben die Vereinigten Staaten mehr als 400 Produkte von der 15-Prozent-Zoll-Quote ausgenommen und mit den Zöllen auf Stahl und Aluminium gleichgesetzt. Hier gelten Zölle von bis zu 50 Prozent. Zum anderen wurde vereinbart, dass die US-Seite die Zölle auf Auto- und Autoteilimporte von 27,5 auf 15 Prozent absenkt. Auch das ist bisher nicht geschehen. Ein Abkommen, bei dem Verabredungen nicht eingehalten werden, können wir nicht akzeptieren.

Ursula von der Leyen hat Trump als harten, aber fairen Verhandler gelobt. Teilen Sie das Urteil?

Nein. Abgesehen davon, dass Ursula von der Leyen für ein solches Abkommen gar kein alleiniges Mandat hat, hätte ich dem Abkommen so auch nicht zugestimmt, sondern weiterverhandelt. Trumps Verhalten in den vergangenen Wochen zeigt ja auch, dass er alles andere als fair und nicht berechenbar ist. Am vergangenen Montag hat er auf „Truth Social“ eine Mitteilung abgesetzt, in der er gefordert hat, dass Länder, die digitale Dienste regulieren, diese umgehend abschaffen müssten, weil sie sonst mit zusätzlichen Zöllen und Exportbeschränkungen belegt würden. Und wer weiß, was Trump noch so für Ideen im Kopf hat. Umso wichtiger ist es, dass im Abkommen ein Mechanismus vorgesehen ist, mit dem wir schnell auf Veränderungen aus den USA reagieren können. Daran arbeiten wir jetzt im Parlament.

Auch, um nicht erpressbar zu sein?

Genau. Das Erpressungspotenzial der USA ist enorm. Ich denke, das war auch das Hauptmotiv von Ursula von der Leyen, dass sie diese Vereinbarung mit Trump eingegangen ist, obwohl sie wirtschaftlich zum Nachteil der EU ist. Es ging Trump aber offenbar auch nicht nur um die Zölle. Er hat in den Gesprächen in Schottland auch immer wieder durchblicken lassen, dass die USA die Unterstützung für die Ukraine beenden könnten, wenn Europa seinen Vorgaben nicht zustimmt. Das hat der Handelskommissar mir bestätigt. Ein zweiter Punkt, an dem wir stark von den USA abhängig sind, sind die großen digitalen Plattformen wie PayPal oder Microsoft. Wenn die plötzlich in Europa abgeschaltet oder eingeschränkt werden, haben wir ein massives Problem. Deshalb müssen wir in nächster Zeit dringend daran arbeiten, hier unabhängiger zu werden.

Bernd
Lange

Mit der vorliegenden Vereinbarung würden viele Länder auf dem EU-Markt benachteiligt, weil auf US-Waren niedrigere Zölle erhoben werden.

Welche Möglichkeiten hat die EU überhaupt, hier gegenzuhalten?

Ganz wehrlos sind wir zum Glück nicht. Es gibt ja bereits eine Anti-Zwangsmaßnahmen-Gesetzgebung, die verhindern soll, dass Zölle als politisches Druckmittel genutzt werden. Die müssen wir im Zweifelsfall aktivieren und schnell scharf stellen.

Der aktuelle Stand des Abkommens widerspricht auch den Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Könnte die EU so etwas mit gutem Gewissen unterschreiben?

Nein, auf keinen Fall. Ein Kernproblem des Abkommens ist, dass es gegen die Grundprinzipien des multilateralen Handelssystems verstößt: Gegenseitigkeit und Nichtdiskriminierung. Die geplante Aufhebung der Zölle auf Industriegüter und Agrarprodukte kommt allein den USA zugute. Die sogenannte Meistbegünstigungsklausel der WTO wird hier eindeutig unterlaufen. Sie besagt, dass alle Zollzugeständnisse, die einem Land gewährt werden, ohne Einschränkungen auf alle anderen WTO-Mitglieder ausgedehnt werden müssen. Mit der vorliegenden Vereinbarung würden viele Länder auf dem EU-Markt benachteiligt, weil auf US-Waren niedrigere Zölle erhoben werden. Gerade die Länder des Globalen Südens haben einen scharfen Blick auf die Europäische Union, weil sie für sie ein Hort der multilateralen und fairen Handelsordnung ist. Diesen Ruf würden wir mit dem Abkommen in seiner jetzigen Form riskieren.

Im Zuge des Zollstreits waren Sie mehrfach in den USA. Wie wird der Deal zwischen von der Leyen und Trump eigentlich dort bewertet?

Der Deal ist in den USA sehr umstritten, auch bei den Republikanern. Sie merken, dass dadurch riesige Probleme für die USA entstehen können, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Gerade versucht der Kongress zum Beispiel, die Zölle gegen Indien zu kippen, weil sie Sorge vor Gegenmaßnahmen haben. Die USA importieren ja sehr viel aus Indien und die Sorge ist groß, dass sich Indien wegen der Zölle von den USA abwenden und eher Ländern wie China zuwenden könnte. Zudem gab ja auch mehrere Gerichtsentscheide, dass Trump mit seinen Zöllen seine Kompetenzen überschritten und die Rechte des Kongresses übergangen hat. Die endgültige Entscheidung muss jetzt der Supreme Court treffen. Im Moment traut sich in den USA aber noch niemand, voll in die Kontroverse gegenüber Trump zu gehen. Das könnte sich aber ändern, etwa mit Blick auf die Zwischenwahlen im kommenden Jahr, wenn Senat und Repräsentantenhaus drohen, an die Demokraten verloren zu gehen.

Bernd
Lange

Die Einigung ist da und jetzt müssen wir damit umgehen.

Am Dienstag wird Ursula von der Leyen im Europaparlament ihre jährliche „Rede zur Lage der Union“ halten. Was erwarten Sie, wird sie zu Zoll-Deal mit den USA sagen?

Ich glaube, zu dem Thema wird sie gar nicht so viel sagen. Frau von der Leyen weiß, dass sie für einen solchen Deal gar kein Mandat hatte und sie sich bei den Verhandlungen nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Wenn sie den Deal in ihrer Rede anspricht, wird sie sicher sagen, dass es das Beste war, was sie rausholen konnte, auch wenn es dafür überhaupt keine Belege gibt. Aber wie gesagt: Ich denke, sie wird ohnehin eher über andere Themen sprechen, etwa über die Positionierung der EU gegenüber der israelischen Regierung.

Würden Sie sagen, kein Deal mit Trump wäre besser als dieser Deal?

Nein. Die Einigung ist da und jetzt müssen wir damit umgehen. Entscheidend wird sein, in den Verhandlungen die klaren Defizite so gut es geht zu beheben. Wir müssen jetzt sehen, wie wir das Beste für die EU herausholen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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1 Kommentar

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Mo., 08.09.2025 - 15:23

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Es war wohl eher ein Zoll-Diktat, dem sich Flintenuschi ohne besondere Vollmacht und vor allem ohne Kompetenz und Würde, die eine Kommissionspräsidentin einer Wirtschaftsgemeinschaft, die den größten Teil Europas umfasst, wahrzunehmen hätte. Aber dazu fehlen ihr sowohl die Fähigkeit, deren Manko sie bereits als Bundesministerin bewiesen hatte wie durch die Verausgabung ihres Ministeretats für Beraterverträge, als auch der Durchsetzungswille, überhaupt nur im Geringsten die Forderungen der EU-Institutionen geltend zu machen.
Dabei fehlt ihr auch jegliches demokratisches Grundverständnis, wenn sie z.B. Parlamentsbeschlüsse missachtet, indem sie dem Diktator Orban Gelder bewilligte.