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Wahl in Kanada: Wie Trump den ihm so verhassten Liberalen den Sieg brachte

Ein Land im Krisenmodus: In Kanada sichern Polarisierung und Angst vor US-Präsident Donald Trump dem liberalen Premierminister Mark Carney den Wahlsieg. Nun beginnt eine schwierige Phase für das Land.

von Jordan Leichnitz · 30. April 2025
So sehen Sieger aus: Ministerpräsident Mark Carney wird von seinen Anhängern am Wahlabend des 28. April 2025 gefeiert.

So sehen Sieger aus: Ministerpräsident Mark Carney wird von seinen Anhängern am Wahlabend des 28. April 2025 gefeiert.

Am Montag haben die Kanadier in einer vorgezogenen Neuwahl abgestimmt – mit einem Ergebnis, das die politischen Prognosen der letzten Monate auf den Kopf stellt und dem Land einen erneuten Kurswechsel inmitten internationaler Krisen beschert hat. Die Parlamentswahl vom 28. April fand im Schatten von Donald Trumps Handelskrieg statt und brachte ein fragmentiertes Ergebnis hervor, das den ehemaligen Notenbankchef und politischen Neuling Mark Carney im Amt des Premierministers bestätigt hat – mit dem Auftrag, Kanada durch eine Phase wirtschaftlicher und außenpolitischer Unsicherheit zu steuern.

Die Wahl war insofern außergewöhnlich, als sie zu einer seltenen Polarisierung im traditionell pluralistischen Parteiensystem Kanadas führte. Zum ersten Mal seit über einem Jahrhundert erzielten sowohl die Liberalen als auch die Konservativen über 40 Prozent der Stimmen. Kleinere Parteien wie die sozialdemokratische Neue Demokratische Partei (NDP) sowie die separatistische Bloc Québécois wurden in den Hintergrund gedrängt und verloren Sitze – obwohl sie in einem zersplitterten Parlament künftig das Zünglein an der Waage spielen könnten.

Der Erdrutschsieg der Konservativen blieb aus

Diese Entwicklung markiert den vorläufigen Höhepunkt einer ungewöhnlichen politischen Dynamik, die sich in den vergangenen Monaten aufgebaut hatte. Die wirtschaftlichen Nachwehen der Pandemie hatten viele Kanadier mit massiv gestiegenen Lebenshaltungskosten konfrontiert – insbesondere bei Wohnraum und Lebensmitteln. Das Vertrauen in die Regierung von Justin Trudeau, der seit 2015 im Amt war, war tief erschüttert. Ende 2024 hielten es kaum mehr als zehn Prozent der Kanadier für gerechtfertigt, der Regierung ein weiteres Mandat zu erteilen. Beobachter rechneten fest mit einem Erdrutschsieg der Konservativen bei der regulären Wahl im Herbst 2025.

Doch dann kam es Anfang Januar zu zwei dramatischen Entwicklungen: Justin Trudeau trat zurück – gedrängt durch wachsenden parteiinternen Widerstand – und Donald Trump wurde erneut als US-Präsident vereidigt. Der republikanische Amtsinhaber versprach Strafzölle, die die exportorientierte kanadische Wirtschaft schwer treffen würden, und äußerte sich sogar öffentlich darüber, Kanada zu annektieren und als „51. Bundesstaat“ in die USA einzugliedern. In diesem Klima der Unsicherheit wählten die Liberalen zügig den renommierten Wirtschaftsexperten Mark Carney zu ihrem neuen Parteichef. Carney, ehemaliger Gouverneur der Zentralbanken von Kanada und Großbritannien, war zuvor politisch nicht in Erscheinung getreten, genoss aber hohes Vertrauen in wirtschaftlichen Fragen. Bereits neun Tage nach seiner Amtsübernahme als Premierminister rief er Neuwahlen für Ende März aus – und traf damit den Nerv der Zeit: Die Sorge um Kanadas Souveränität und wirtschaftliche Stabilität verdrängte alle anderen Themen.

Gamechanger: Wechsel von Trudeau zu Carney

Die Konservativen unter Pierre Poilievre, einem rechtsgerichteten Populisten, verloren daraufhin ihren riesigen Vorsprung in den Umfragen. Poilievre hatte seine Kampagne vollständig auf die Ablösung Trudeaus ausgerichtet – doch dessen Rücktritt ließ die Strategie ins Leere laufen. Zwar versuchte er, Carney als Fortsetzung der alten Regierung darzustellen, doch die öffentliche Wahrnehmung sah in dem neuen Premier eine glaubwürdige Alternative. Inhaltlich versuchte Poilievre zwar, mit Versprechen zu Steuersenkungen und besseren Lebensbedingungen zu punkten – doch seine aggressive Rhetorik wirkte auf viele progressive Wähler abschreckend. In einem Klima, das stark von der Angst vor Trump und einem eskalierenden Handelskonflikt geprägt war, sammelten sich viele progressive Stimmen hinter Carney – selbst jene, die traditionell eher der NDP nahestanden.

Für die Neue Demokratische Partei war die Wahl ein Debakel. Der ohnehin schwache progressive Lagerwahlkampf wurde durch strategisches Wählen vieler Unterstützer zugunsten der Liberalen weiter geschwächt. Die Partei fiel von 24 auf nur noch sieben Sitze zurück – unter die Schwelle, die für den offiziellen Fraktionsstatus und entsprechende parlamentarische Mittel erforderlich ist. Zwei Faktoren bestimmten den Kollaps: einerseits der Wunsch vieler progressiver Wähler, ein konservatives Wahlszenario zu verhindern, andererseits die Wahrnehmung, dass die NDP keine realistische Regierungsoption habe. Angesichts des Mehrheitswahlrechts bedeutete das in vielen Wahlkreisen, dass die NDP-Stimmede facto verloren gewesen wäre – oder durch Spaltung sogar konservative Siege begünstigt hätte.

Kanada befindet sich im Krisenmodus

Mark Carney übernimmt ein Land im Krisenmodus – und aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer Minderheitsregierung. Während die finalen Stimmen noch ausgezählt werden, deutet alles darauf hin, dass er für die Umsetzung seiner Agenda auf die Zustimmung mindestens einer Oppositionspartei angewiesen sein wird. Sein Programm ist ambitioniert: eine umfassende wirtschaftliche Neuausrichtung, weniger Abhängigkeit von den USA, neue Handelsabkommen mit Trump und anderen Partnern sowie eine entschlossene Bekämpfung der Wohnungsnot und der Inflation. In seiner Siegesrede warnte Carney: „Die kommenden Tage und Monate werden herausfordernd sein – und sie werden Opfer erfordern.“ Wie lange die gegenwärtige Unterstützung für seine Regierung hält, wird davon abhängen, ob die Kanadier schnelle Ergebnisse spüren.

Zwar konnten die Konservativen ihren Stimmenanteil steigern und auch mehr Sitze gewinnen – doch das Ziel einer Regierungsübernahme wurde klar verfehlt. Besonders bitter: Pierre Poilievre verlor sogar seinen eigenen Wahlkreis an einen liberalen Herausforderer. Zwar kündigte er an, im Amt zu bleiben, doch parteiintern mehren sich die Stimmen, die eine Neuausrichtung fordern.

Richtungsentscheidung steht an

Auch die NDP steht vor einer Richtungsentscheidung: Sollte sie sich als konstruktiver Partner einer Minderheitsregierung profilieren oder sollte sie ihre Unabhängigkeit bewahren und die Reorganisation mit langfristiger Perspektive angehen? Carney, wirtschaftlich eher konservativ geprägt, bietet Raum für linke Gegenvorschläge. Auf regionaler Ebene ist die Partei zudem weiterhin stark: In sechs Provinzen stellt sie Regierung oder Opposition.

Die Wahl 2025 hat Kanadas politische Landschaft neu gezeichnet – inmitten globaler Unsicherheiten. Premierminister Mark Carney muss ein zutiefst polarisiertes Land durch ökonomische und außenpolitische Turbulenzen führen. Die Konservativen suchen nach einer Strategie für die Zeit nach Poilievre, die Sozialdemokratie nach einem Weg zurück zur Relevanz. Für die Bürgerinnen und Bürger beginnt eine schwierige Phase: Die nationale Einheit, die wirtschaftliche Resilienz und das Vertrauen in die politische Führung werden auf die Probe gestellt – in einer Welt, die immer instabiler erscheint.

Dieser Text erschien zuerst im IPG-Journal.

Autor*in
Jordan Leichnitz

ist Programmverantwortliche für transatlantische Beziehungen und Kanada des Washingtoner Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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