Bürgergeld: So viel schärfer sind die geplanten Sanktionen wirklich
Die schwarz-rote Koalition will mit der neuen Grundsicherung härtere Sanktionen einführen. Viele haben Zweifel, ob das verfassungskonform ist. Aber wie sehr unterscheiden sich die Pläne von dem, was jetzt schon gilt?
IMAGO / Rene Traut
Das Bürgergeld als soziale Hängematte? Union und SPD wollen Arbeitsverweiger*innen stärker sanktionieren.
In der Debatte um die geplante Reform des Bürgergelds geht es vor allem um Sanktionen: SPD und Union wollen sanktionieren, wer wiederholt Termine versäumt oder Jobangebote ablehnt. „Wer mitmacht, der hat überhaupt nichts zu befürchten“, sagte Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) mit Blick auf die, die ihren Mitwirkungspflichten nachkommen. Aber denen, die nicht mitmachen, sollen künftig die Leistungen gekürzt werden, notfalls auch komplett.
Die neuen Sanktionen sollen schneller und effizienter greifen als bisher. Denn sanktioniert wird in den Jobcentern jetzt schon, allerdings in kleineren Schritten: Bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten können Beschäftigte das Bürgergeld derzeit um zehn Prozent kürzen, für einen Monat. Eine Pflichtverletzung liegt vor, wenn die Person sich zum Beispiel nicht bewirbt, Schulungen nicht wahrnimmt oder ein Jobangebot ausschlägt. Beim zweiten Verstoß können 20 Prozent für zwei Monate folgen. Maximal kann das Bürgergeld um 30 Prozent für drei Monate gekürzt werden.
Bislang werden maximal 30 Prozent gestrichen
30 Prozent Kürzungen sind also für jemanden, der langfristig gar nicht im Jobcenter erscheint, das derzeit höchstmöglichste Maß. Das soll sich nun ändern. In Zukunft soll das bisherige Höchstmaß direkt greifen: Pflichtverletzungen werden sofort mit 30 Prozent Kürzungen für drei Monate sanktioniert. Die Bundesregierung möchte außerdem gezielt gegen Terminversäumnisse vorgehen. Wer zweimal nicht zu einem Termin erscheint, muss mit 30 Prozent Abzug für einen Monat rechnen. Beim dritten verpassten Termin sollen die Leistungen komplett gestrichen werden, Mietzahlungen gehen dann direkt an den Vermieter. Stellt sich die Person im Folgemonat im Jobcenter vor, werden die zwischenzeitlich ausgesetzten Leistungen nachgezahlt. Tut sie das nicht, gilt sie als nicht erreichbar – das Jobcenter soll dann alle Zahlungen, inklusive der Miete, einstellen.
Ein wichtiger Punkt: Derzeit müssen Beschäftigten im Jobcenter erst auf das Versäumnis hinweisen und mit Konsequenzen drohen, bevor sie sanktionieren können. Empfänger*innen bekommen sozusagen eine letzte Chance: Sie brauchen einen triftigen Grund für verpasste Termine oder ausgeschlagene Jobangebote. Das soll auch in Zukunft so sein, die Abmahnung soll aber automatisch auf den ersten verpassten Termin und die erste Pflichtverletzung folgen.
Sanktionen gegen Totalverweiger*innen
Ein Hauptanliegen der Bundesregierung sind Sanktionen gegen sogenannte Totalverweiger*innen, die die Arbeitsvermittlung ganz ausschlagen. Deren Anzahl lässt sich unter den insgesamt 1,8 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeld-Empfänger*innen schwer beziffern, ihre Gruppe ist aber klein. In dem Papier zum Koalitionsausschuss kündigt Schwarz-Rot an, Arbeitsverweiger*innen die Leistungen „im Einklang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts“ zu streichen. Was bedeutet das?
2019 beurteilte das Bundesverfassungsgericht, dass Sanktionen bei der Grundsicherung nur greifen dürfen, wenn sich belegen lässt, dass Erwerbslose dadurch zur Arbeit bewegt werden. Das Gericht erklärte Kürzungen um 30 Prozent damals für verfassungskonform und kippte Kürzungen ab 60 Prozent und höher, da sie nachweislich Obdachlosigkeit begünstigten. Das ist der Grund, warum das Höchstmaß an Sanktionen derzeit bei 30 Prozent liegt.
Ampel-Koalition machte vollständige Kürzungen möglich
Doch die Richter*innen schlossen die vollständige Kürzung für Totalverweiger*innen damals nicht aus. Die Hürden sind durch das Grundrecht auf menschenwürdiges Existenzminimum hoch – die Sanktionen müssen im Einzelfall begründet werden. Die Ampel-Regierung schuf deswegen im Frühjahr 2024 eine gesetzliche Lösung: Der Regelsatz kann bis zu zwei Monate komplett gestrichen werden, wenn Erwerbslose innerhalb eines Jahres zwei Jobangebote ablehnen. Doch einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge machten die Jobcenter von dieser Möglichkeit nur im niedrigen zweitstelligen Bereich Gebrauch. Ex-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte weitere Verschärfungen für 2025 geplant, doch dann platzte die Koalition.
SPD und Union wollen die vollständige Kürzung für Totalverweiger*innen nun rechtssicherer und wirkungsvoller machen. „Wir verschärfen die Sanktionen bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist“, sagte Bas. Geplant ist: Leistungen können weiterhin für maximal zwei Monate komplett gestrichen werden, die Mindestdauer der Maßnahme liegt aber bei einem Monat. Für den Leistungsentzug soll es bereits ausreichen, ein zumutbares Jobangebot auszuschlagen. Es ist also nicht erforderlich, dass schon zuvor gegen eine Pflicht verstoßen wurde. Konkretes soll der Gesetzesentwurf enthalten, den Bas am Freitag dem Kanzleramt vorlegte.
Die Bundesregierung will sicherstellen, „dass es nicht die Falschen trifft“. Insbesondere Menschen mit psychischen Erkrankungen sollen persönlich vorbringen können, warum sie einer Pflicht nicht nachkommen konnten. Die Sanktionen sollen zudem keine Auswirkungen auf Familienangehörige haben, insbesondere Kinder sollen keine Nachteile erfahren. Werden einem Erwerbslosen die Leistungen gestrichen, gilt das nicht für alle Angehörigen des gemeinsamen Haushalts.