Entbürokratisierung: Wie der Staat digitaler und einfacher werden kann
Bund und Länder haben eine Modernisierungsagenda beschlossen, die entscheidet, wer unsere digitale Infrastruktur kontrolliert – Tech-Konzerne oder demokratisch gesteuerte, transparente Verwaltungen. Darin liegt auch eine Chance für einen Staat, der besser funktioniert.
IMAGO/Bihlmayerfotografie
Einen moderneren Staat mit weniger Bürokratie hat sich die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben. Die Digitalisierung könnte dabei helfen.
Die im Dezember beschlossene Föderale Modernisierungsagenda von Bund und Ländern markiert einen politischen Wendepunkt. Erstmals wird offen anerkannt, dass sich staatliche Handlungsfähigkeit im 21. Jahrhundert nicht mehr allein an Gesetzen, Zuständigkeiten oder Haushaltslinien entscheidet, sondern an der Frage, wie der Staat digital organisiert ist und wem er dabei Macht überlässt.
Denn die digitale Transformation entscheidet nicht nur darüber, wie effizient Verwaltungen arbeiten. Sie entscheidet darüber, wer Kontrolle über zentrale gesellschaftliche Infrastrukturen ausübt: über Daten, Verfahren, Algorithmen und Zugänge. Und damit über Teilhabe, Transparenz und demokratische Kontrolle.
Digitale Abhängigkeit ist kein Effizienzproblem, sondern ein Demokratierisiko
Heute wird ein erheblicher Teil staatlicher Digitalisierung von wenigen internationalen Tech-Konzernen getragen. Sie liefern die Software, betreiben die Plattformen und definieren die Standards, nach denen Verwaltungen arbeiten. Diese Abhängigkeit ist bequem, aber sie hat ihren Preis.
Wo zentrale Verwaltungsprozesse in herstellerspezifischen Systemen ablaufen, entzieht sich ihre Funktionsweise öffentlicher Kontrolle. Entscheidungen werden technisch vermittelt, aber politisch kaum noch nachvollziehbar. Steuerung verlagert sich aus demokratisch legitimierten Institutionen in geschlossene Systeme privater Anbieter.
Genau hier beginnt ein demokratisches Problem. Oder, um es mit den Worten von SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf zu sagen: Die Steuerung digitaler Räume darf nicht das intransparente Privileg weniger Milliardär*innen bleiben.
Entbürokratisierung heißt: Macht neu zu ordnen
In der politischen Debatte wird Entbürokratisierung oft als Synonym für Beschleunigung verstanden. Das greift zu kurz. Entbürokratisierung meint nicht weniger Staat, sondern einen handlungsfähigen Staat. Sie zielt darauf, Verfahren so zu gestalten, dass sie nachvollziehbar, kontrollierbar und veränderbar bleiben, auch im digitalen Raum. Digitale Technologien sind dabei ein Mittel, nicht das Ziel: Entscheidend ist, wer Regeln setzt, Systeme kontrolliert und Verantwortung trägt.
Die Föderale Modernisierungsagenda setzt hier an, indem sie Koordination stärkt, Doppelstrukturen abbaut und digitale Prozesse vereinheitlicht. Ihr eigentlicher Wert liegt jedoch tiefer. Sie eröffnet die Möglichkeit, staatliche Digitalisierung aus der Logik großer Generalunternehmer*innen zu lösen und als steuerbares, transparentes System neu zu denken.
Sicherheit, Resilienz und die Freiheit offener Systeme
Die Zunahme hybrider Angriffe auf staatliche IT macht deutlich: Digitale Sicherheit ist kein Spezialthema, sondern Teil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Systeme, die außerhalb einzelner Anbieter kaum überprüfbar sind, schaffen sicherheitspolitische und demokratische Blindstellen.
Transparente, überprüfbare Softwarearchitekturen erhöhen dagegen Resilienz. Sie ermöglichen unabhängige Prüfungen, schnelle Anpassungen und kollektives Lernen. Offenheit ist kein Naivitätsprojekt, sondern ein Sicherheitsprinzip, gerade im öffentlichen Raum.
Entbürokratisierung als Wirtschaftspolitik von unten
Ein oft übersehener Effekt überkomplexer Verfahren: Sie schließen systematisch kleine und mittlere Unternehmen aus. Lange Vergabeprozesse, überdimensionierte Lose und starre Spezifikationen begünstigen jene Akteure, die über große Rechts- und Vertriebsapparate verfügen.
Wo Verfahren transparenter gestaltet werden, entstehen neue Räume für regionale Anbieter, Start-ups und spezialisierte Mittelständler. Entbürokratisierung wird so zu aktiver Strukturpolitik: Sie stärkt Wettbewerb, Innovation und regionale Wertschöpfung. Das sind zentrale Anliegen sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik.
Der Staat als aktiver Gestalter
Der entscheidende Paradigmenwechsel besteht darin, den Staat nicht länger als bloßen Besteller fertiger Lösungen zu begreifen. In einer digitalen Gesellschaft muss er Rahmen setzen, Standards definieren und Ökosysteme aktiv steuern.
Die Föderale Modernisierungsagenda kann dafür der institutionelle Hebel sein. Nicht, indem sie Technik vorschreibt, sondern indem sie Handlungsfähigkeit zurückholt: in die Verwaltung, in die Parlamente und letztlich in die demokratische Öffentlichkeit.
Warum das eine sozialdemokratische Kernfrage ist
Vertrauen in den Staat entsteht dort, wo staatliches Handeln nachvollziehbar, fair und wirksam ist. In einer digitalisierten Gesellschaft entscheidet sich dieses Vertrauen zunehmend an Software, Prozessen und Schnittstellen.
Entbürokratisierung ist deshalb kein technisches Nebenprojekt. Sie ist eine demokratische Infrastrukturaufgabe. Wer sie ernst nimmt, stärkt Teilhabe, schützt Freiheit und macht den Staat zukunftsfest.
Oder anders: Wer die digitale Infrastruktur kontrolliert, kontrolliert die Demokratie.
Privat
ist Cybersicherheitsreferent im Innenministerium des Saarlandes und befasst sich mit digitaler Transformation und Staatsmodernisierung. Er wurde als Young Leader in GovTech ausgezeichnet.