Digitaler Sozialstaat in Dänemark: Wenn nur wenige Klicks reichen
Die Digitalisierung im Sozialstaat ist nicht weit vorangeschritten, viele Anträge werden noch in Papierform gestellt. Dabei macht Dänemark macht schon lange vor, dass ein digitaler Sozialstaat möglich ist. Kann Deutschland das auch?
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Ob Krankenhaus, Steuer oder Bürgerservice: Ein digitaler Zugang zu staatlichen Dienstleistungen ist in Dänemark längst Alltag.
Stellen Sie sich vor, es gäbe ein zentrales Portal für staatliche Dienstleistungen: Egal ob Wohngeld oder Sozialhilfeantrag, alles könnte über einen Zugang mit nur wenigen Klicks erledigt werden – selbst eine Scheidung wäre online möglich.
Was nach Utopie klingt, ist in Dänemark bereits seit bald 20 Jahren Realität. Denn seit 2007 gibt es dort das Portal borger.dk, auf dem sich jeder Däne mit einer persönlichen Identifikationsnummer einloggen kann. Diese Nummer ist mit der Schlüssel zum Erfolg der digitalen Verwaltung Dänemarks. Sie wurde bereits im Jahr 1968 im Rahmen des zentralen Personenregisters eingeführt und bildet bis heute die Grundlage aller digitalen Dienste des Landes. Jeder Bürger hat sie und alles, was digital erledigt werden kann, läuft über sie. Und das mit breiter Akzeptanz: Mehr als 90 Prozent der Däninnen und Dänen nutzen die digitalen Angebote des Staates.
Der Verwaltung spart das Zeit, Geld und Personal. Trotzdem werden die Menschen nicht mit der Bürokratie alleingelassen. Nach eigenen Angaben setzt borger.dk auf verständliche Sprache in Formularen. Da die verschiedenen Datenbestände der diversen behördlichen Register miteinander verknüpft sind, können bereits vorhandene Daten automatisch abgerufen und Formulare damit vorausgefüllt werden. Für drei verschiedene Leistungen dreimal dieselben Nachweise an drei verschiedene Behörden schicken? Das gibt es in Dänemark nicht.
In Deutschland ist es kompliziert
In Deutschland sieht das anders aus, mit der Digitalisierung tut man sich hier historisch schwer. Dabei könnte sie, gerade wenn es um den Sozialstaat geht, für massive Abhilfe sowohl bei den Bürgerinnen und Bürgern, die oft am komplexen System verzweifeln, als auch auf den Ämtern selbst sorgen. Zwar bieten immer mehr Kommunen auch digitale Möglichkeiten der Antragstellung an, oft existiert in den entsprechenden Ämtern dann aber keine Möglichkeit, die Daten auch digital weiterzuverarbeiten – sodass sie im schlimmsten Fall dann doch wieder in analoge Akten übertragen werden müssen.
Hinzu kommt: Durch den Föderalismus sind je nach Bundesland teils unterschiedliche Behörden für unterschiedliche Dienstleistungen zuständig. Die verschiedenen Zuständigkeiten von Bund und Kommunen machen das Ganze dann noch unübersichtlicher. Eine Vereinfachung und Vereinheitlichung dürfte also entsprechend kompliziert werden. Nicht ohne Grund äußerten Experten immer wieder Bedenken, dass vor der umfassenden Digitalisierung eine grundlegende Strukturreform des Sozialstaats stehen müsste, denn anders würden unnötig komplizierte Strukturen nur im Digitalen weiter zementiert.
Erst die Sozialstaatsreform, dann die Digitalisierung
Es ist also kompliziert, doch irgendwo muss eben auch angefangen werden. Wie das gehen kann, dazu gibt es zahlreiche Vorschläge – auch vom Thinktank „Agora Digitale Transformation“ in einem gemeinsamen Papier mit dem Deutschen Caritasverband. Das hier erklärte Ziel ist ein am Bürger orientierter, digitaler Sozialstaat. Vier Handlungsfelder werden von den Autoren identifiziert, um das zu erreichen: Der Zugang zu Sozialleistungen soll einheitlicher und verständlicher gestaltet, Bearbeitungsprozesse sollen, wo sinnvoll, durch Automatisierung beschleunigt werden. Außerdem sollen Nachweise nur noch gefordert werden, wo noch keine Daten vorliegen, und eine grundlegende Strukturreform hin zu einem kohärenten Sozialsystem soll angestoßen werden.
Nicht alles davon ist unmittelbar umsetzbar. Aktuell sei das Sozialleistungssystem für viele der vorgeschlagenen Reformen noch zu fragmentiert, heißt es in dem Papier des Thinktanks. Zunächst dürfte daher die Registermodernisierung die größte Rolle spielen. Sie ist Teil des Onlinezugangsgesetzes (OZG), das bereits unter den Vorgängerregierungen verabschiedet und weiterentwickelt wurde.
Registerabfragen und Datenaustausch
Dabei wurde auch das „Once-Only-Prinzip“ gesetzlich verankert, nach dem Bürgerinnen und Bürger ihre Daten und Dokumente künftig nur noch ein Mal mitteilen müssen. Wenn sie dann an einer anderen Stelle wieder benötigt werden, sollen Registerabfragen und ein verstärkter Datenaustausch zwischen den verschiedenen Behörden die Nachweispflicht der Bürger ersetzen.
In der Praxis scheitern solche und ähnliche Vorhaben aktuell noch an rechtlichen, technischen und organisatorischen Hürden, schreiben die Autoren des Papiers. Darin findet sich ein klarer Appell an die Politik: Auf lange Sicht dürfte die Digitalisierung des Sozialstaats auch in Deutschland unausweichlich sein.