Kultur

„Memory Wars“: Wenn die eigene Erinnerung zur Verräterin wird

Vor Gericht spielen die Aussagen von Zeug*innen eine zentrale Rolle. Doch wann kann man ihnen trauen? Die US-Psychologin Elizabeth Loftus hat dieser Frage ihr Lebenswerk gewidmet. Ein Dokumentarfilm stellt sie jetzt vor.

von Nils Michaelis · 12. September 2025
Szene mit Elizabeth Loftus im Film "Memory Wars"

Was taugen die Aussagen von Zeug*innen? In vielen prominenten Gerichtsprozessen kam Elizabeth Loftus als Gutachterin zum Einsatz.

Als die Anfeindungen gegen Elizabeth Loftus unerträglich wurden, besorgte sich die bekannt US-Psychologin eine Pistole. Notfalls würde sie sich damit verteidigen, so war ihr Plan. Das Vorhaben zeigt, wie sehr Loftus immer wieder Teile der Öffentlichkeit gegen sich aufgebracht hat, weil sie ihre Arbeit gemacht hat.

Medien und Stress beeinflussen die Erinnerung

Studien über die Grenzen und Tücken der kollektiven oder individuellen Erinnerung füllen ganze Bibliotheken. Elizabeth Loftus hat in ihrem langen Forscherinnenleben, das sie dem menschlichen Gedächtnis und dessen Fähigkeit gewidmet hat, aus der Erinnerung die Vergangenheit zu reproduzieren, dazu beigetragen. In Experimenten konnte die Psychologin nachweisen, dass Erinnerungen nicht automatisch das tatsächlich Erlebte wiedergeben. Faktoren wie Stress, Angst oder auch Medienberichte können sie erheblich beeinflussen und somit das Bild verfälschen.

Die mittlerweile 80-Jährige begnügte sich allerdings nicht mit der reinen Welt der Wissenschaft. Immer wieder begab sie sich dorthin, wo Erinnerungen über menschliche Existenzen entscheiden können, in Gerichtssäle. Seit den 1970er-Jahren trat Elizabeth Loftus in etlichen Prozessen als Gutachterin auf und bewertete die letztendlich auf Erinnerung basierenden Aussagen von Zeug*innen. 

In der Regel wurde die Expertin von den Verteidiger*nnen engagiert, was ihr den Ruf einbrachte, sie würde sich unter dem Denkmantel der Wissenschaft für Angeklagte wie den wegen Sex-Skandalen verurteilten Filmmogul Harvey Weinstein oder Timothy McVeigh, den rechtsextremen Attentäter von Oklahoma City, einsetzen. Loftus war dafür vulgärster Kritik ausgesetzt und wies Vorwürfe der Parteilichkeit stets ausdrücklich zurück. Sie sah sich bei ihren Gutachten nach eigenem Bekunden allein der wissenschaftlichen Objektivität verpflichtet.

Elizabeth Loftus: eine der 100 einflussreichsten Psychologinnen

Wer ist diese Frau, die in einem Ranking der Zeitschrift „Review of General Psychology“ auf Platz 52 der 100 bedeutendsten Psychologinnen landete? Was ist von ihrer Arbeit zu halten? Wie steht es um das Spannungsfeld zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit? Und: Können wir unserem Gedächtnis trauen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Dokumentarfilm „Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung“. 

Der Titel illustriert, wie bei oftmals von großem Medienecho begleiteten Gerichtsverhandlungen erbitterte Auseinandersetzungen zwischen Befürworter*innen von Anklage und Verteidigung um den Wahrheitsgehalt von Erinnerungen geführt wurden. So auch im Fall der vier Polizisten, denen 1992 die Misshandlung des Afroafrikaners Rodney King in Los Angeles zur Last gelegt wurde. Ihr Freispruch hatte damals Massenunruhen in der Metropole ausgelöst. Mehr als 50 Menschen kamen ums Leben. Und eine war bei diesen Konflikten immer mittendrin: Elizabeth Loftus. 

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Die Erzählung des deutschen Filmemachers Hendrik Löbbert lebt vom Blick zurück: Wenn die inzwischen 80-jährige Loftus vom heimischen Wohnzimmer aus vergangene Prozesse Revue passieren lässt, werden dazu Fernsehaufnahmen aus dem Gerichtssaal eingeblendet. Dann erleben wir, wie sie auch penetrantesten Nachfragen mit um unerschütterliche Objektivität bemühten Ausführungen und fast schon stoischem Gleichmut begegnet. 

Zuschauenden fällt es allerdings nicht leicht, sich dabei ein eigenes Bild vom Agieren der Gutachterin zu machen. Was auch daran liegt, dass die Perspektive der Protagonistin nur selten durchbrochen wird und ihre Ausführungen selten hinterfragt werden. Über weite Strecken beschreibt der Film, wie Elizabeth Loftus ihren Weg vom Mathematik-Studium zu ihrem psychologischen Lebensprojekt fand und darin zu einer Autorität wurde. Hierbei macht sich eine latente erzählerische und auch visuelle Monotonie breit: Meist wechselt die Kamera vom Zuhause der Interviewten zu Autokolonnen irgendwo auf den Straßen Kaliforniens.

Elizabeth Loftus musste Niederlagen einstecken

Dass Elizabeth Loftus keinesfalls unangefochten ist, Niederlagen einstecken musste und selbst zum Gegenstand bisweilen heftiger Debatten wurde, wird vergleichsweise selten und erst relativ spät deutlich, etwa am Beispiel des Prozesses um den Serienmörder Ted Bundy, der in den 70er Jahren mindestens 30 Mädchen und Frauen umgebracht hat. Als Gutachterin hatte Loftus versucht, die Aussage einer Zeugin, die sie auf eine manipulierte Vernehmung durch die Polizei zurückgeführt hatte, zu demontieren. Bundy wurde trotzdem verurteilt. 

Berührend wird der Film immer dann, wenn die Hauptperson am eigenen Beispiel vorführt, wie beeinflussbar die Erinnerung ist, etwa beim Betrachten eines Fotos ihrer Eltern. Wie aus dem Nichts wird sie dabei von tiefen Emotionen übermannt. Kurz danach telefoniert Elizabeth Loftus mit ihrem Bruder. Dieser würdigt sie in einer deutlichen Weise, die der Film allenfalls andeutet: „Du stehst auf der Mauer zwischen Unschuldsvermutung und Vorverurteilung durch die Massen. Wir brauchen dich, um die Integrität und das Vertrauen in unser Justizsystem zu bewahren.“

„Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung“ (Deutschland 2024), ein Film von Hendrik Löbbert, mit Elizabeth Loftus u.a., OmU, 91 Minuten.

Im Kino

Weitere Informationen unter mindjazz-pictures.de

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