Rente unter Druck: Zu Unrecht?
Die gesetzliche Rente steht unter Druck, zumindest in der öffentlichen Debatte. Dina Frommert von der Deutschen Rentenversicherung erklärt im Interview, dass sich der Kollaps, der aktuell herbeigeredet wird, nicht aus Zahlen ableiten lässt. Im Gegenteil wurde bereits Vorsorge getroffen – auch für die Baby-Boomer.
IMAGO/Horst Galuschka
Die Rentenversicherung ist gut aufgestellt, wenn es um die Zukunft geht
Es gibt Streit über die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung. Behauptet wird, dass der Steuerausschuss aus Bundesmitteln enorm gestiegen und nicht mehr bezahlbar sei. Ist die Rente zu teuer?
Nominal betrachtet steigen die Bundesmittel tatsächlich an. Allerdings kann man in einer sich entwickelnden Volkswirtschaft nicht mit Nominalbeträgen argumentieren, denn alles wird teurer. Sinnvoller ist es, die Summe anteilig darzustellen: zum Beispiel als Anteil am Bruttoinlandsprodukt. So betrachtet haben wir seit dem Jahr 2002 bis 2024 die Situation, dass der Anteil des Bundes an Bundesmitteln und Bundeszuschüssen nicht steigt, sondern leicht rückläufig ist.
Wofür werden Bundesmittel und Bundeszuschüsse gebraucht?
Die Bundesmittel haben ganz unterschiedliche Funktionen. Die größten Posten der Bundesmittel bilden die sogenannten Bundeszuschüsse mit über 70 Prozent und Beiträge für Kindererziehungszeiten, die seit dem Jahr 1999 gezahlt werden, mit ca. 15 Prozent. Die Bundeszuschüsse, die im Jahr 2023 ungefähr 84 Milliarden Euro umfassten, dienen vor allem der Finanzierung von nicht beitragsgedeckten Leistungen. Allerdings ist der Begriff Bundeszuschuss für viele irreführend, denn es handelt sich dabei nicht um eine Subvention der Rentenversicherung, sondern um die Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben, die nicht durch Beiträge gedeckt sind.
Welche Leistungen sind danach nicht beitragsgedeckt?
Ein Beispiel wäre die Mütterrente. Hier werden Erziehungszeiten, für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, bei der Rente angerechnet, es sind dafür aber keine Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt worden. Oder nehmen sie das Beispiel, dass Beschäftigte mit besonders langen Versicherungszeiten ohne Abschläge vorzeitig in Rente gehen können. Auch die Höherwertung der Entgeltpunkte Ost verursacht Kosten, die nicht durch Beitragseinnahmen gedeckt sind. All das sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die die Rentenversicherung übernimmt. Die Finanzierung sollte aber nicht allein zu Lasten der Beitragszahlenden gehen. Sachgerecht ist die Finanzierung durch alle Steuerzahlenden, aus Steuermitteln.
Dina
Frommert
Es ist ärgerlich, wenn fast schon ein Kollaps herbeigeredet wird, der sich aus den Zahlen nicht ableiten lässt.
Auf die gesetzliche Rente kommt eine große Finanzierungslücke zu, heißt es. Durch den demografischen Wandel arbeiten immer weniger junge Beschäftigte für immer mehr Rentner*innen. Ist diese Herausforderung neu?
An dieser Entwicklung ist nichts neues. Wir erleben schon seit Jahrzehnten eine Alterung der Gesellschaft. Einerseits steigt die Lebenserwartung, andererseits kommen weniger Kinder nach und dadurch ergibt sich eine Verschiebung der Altersklassen. Der erste, der sich Sorgen gemacht hat, was das für das Umlageverfahren heißt, war ein Herr Gustav Hartz Mitte der 1930er. Er fragte sich, wer die Renten zahlt, wenn man immer älter wird? Auch die Wochenzeitung „Der Spiegel“ titelte Mitte der 1980er: „Wer zahlt im Jahr 2000 die Renten?“ Diese Entwicklung wird derzeit mit großer Dramatik inszeniert. Allerdings wird es jetzt zu einem großen Alterungsschub durch die Babyboomer-Jahrgänge kommen.
Wie ist die Rentenversicherung auf den demografischen Wandel vorbereitet?
Wir hatten bereits extreme Alterungsschübe, beispielsweise zwischen 1990 und 2010. Was jetzt auf uns zukommt, ist vergleichbar. Wir rechnen damit, dass die finanziellen Mittel knapper werden. Deswegen wird der Beitragssatz laut unserer Vorausberechnungen ab 2028 steigen. Das wäre der erste Anstieg seit 2007. Der Beitrag hätte sogar in den vergangenen Jahren gesenkt werden können, aber mit Blick auf den demografischen Wandel hatte die damalige Regierung Regelungen getroffen, die es der Rentenversicherung ermöglicht haben, einen Puffer aufzubauen. Den werden wir in den kommenden Jahren nutzen, um Beitragssatzsteigerungen abzufedern.
Es wurde also bereits vorgesorgt?
Auf jeden Fall. Nehmen wir als aktuelles Beispiel die monatliche Nachhaltigkeitsrücklage, die maximal 1,5 Monatsausgaben betragen soll. In den vergangenen Jahren wurde dieser Betrag stets überschritten. Laut geltender Rechtslage hätte man als Folge den Beitragssatz senken müssen. Das wurde nicht gemacht, um Vorsorge für die Boomer-Jahrgänge zu treffen. Seit Anfang der 1990er Jahre gab es an die 100 Reformen und Gesetze, die das Rentenversicherungssystem angepasst haben. Der Beitragssatz lag in den 1990ern bereits bei über 20 Prozent. Als gesellschaftlicher Konsens gilt, dass der Beitragssatz bis 2030 nicht über 22 Prozent steigen sollte. Laut Vorausberechnung werden wir diesen Wert nicht einmal im Jahr 2040 erreichen.
Die zeitweise Panikmache in den Medien ist also unbegründet?
Die Rentenversicherung ist gut aufgestellt, was ihre Tragfähigkeit angeht. Deshalb ist es auch ärgerlich, wenn wie aktuell fast schon ein Kollaps herbeigeredet wird, der sich aus den Zahlen nicht ableiten lässt. Der Vorteil an dem Umlagesystem sind die vielseitigen Gestaltungsmöglichkeiten.
Dina
Frommert
Durch Zuwanderung, insbesondere aus den europäischen Ländern, ist die Anzahl an versicherungspflichtiger Beschäftigung in den vergangenen Jahren gestiegen.
In der aktuellen Debatte geht es darum, dass das Rentenniveau bei 48 Prozent stabilisiert wird. Geht das zu Lasten der Jüngeren?
Wenn wir ein Rentenniveau stabilisieren, müssten die Jüngeren höhere Beiträge zahlen. Sie haben dann aber, wenn sie in Rente gehen, auch ein höheres Rentenniveau. Aktuell ist allerdings vorgesehen, die Stabilisierung aus Steuermitteln zu finanzieren. Schlussendlich bleibt es aber bei der Frage, wie viel Leistung soll das Rentensystem erbringen und was darf es kosten? In einer alternden Gesellschaft ist diese Frage konfliktbehaftet.
Gibt es Vorausberechnungen, wie sich das Rentenniveau entwickeln wird?
Nach unseren Vorausberechnungen läge es 2032 einen Prozentpunkt niedriger, also nicht bei 48, sondern 47 Prozent. Würde also die aktuell im Gesetz verhandelte Linie über das Jahr 2031 hinaus nicht mehr wirken, läge man künftig immer um rund einen Prozentpunkt niedriger.
Würde das bedeuten, dass die Renten weiter sinken?
Es gibt eine Rentengarantie in Deutschland. Renten können also nicht einfach sinken. Die Renten sind grundsätzlich an die Lohnentwicklung gekoppelt. Mit sinkendem Rentenniveau würden sie im Vergleich zu den Löhnen weniger stark steigen.
Was braucht die Rente zur Stabilisierung?
Es hilft, wenn neue Beschäftigte hinzukommen. Frauen beispielsweise, die nicht berufstätig sind und in den Job zurückkommen, helfen. Und auch Zuwanderung in den Arbeitsmarkt trägt zur Stabilisierung bei. Durch Zuwanderung, insbesondere aus den europäischen Ländern, ist die Anzahl an versicherungspflichtiger Beschäftigung in den vergangenen Jahren gestiegen.
Wie verhält sich die Geburtenrate zur Rentenfinanzierung?
Um die Kennzahlen der Rentenversicherung positiv beeinflussen zu wollen, müssten künftig schon sehr viele Kinder geboren werden. Und auch dann nützt es nur, wenn sie versicherungspflichtig beschäftigt sind und nicht, wenn sie beispielsweise selbstständig arbeiten und gar nicht einzahlen.
Wie lässt sich die Rente zukunftsfest machen?
Zentral ist die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Die Rentenversicherung ist darauf angewiesen, dass möglichst viele Menschen in Lohn und Brot sind und auch entsprechende Lohnsteigerungen haben. Ansonsten gibt es die klassischen Stellschrauben: Beitragssatz, Bundeszuschuss und auch Renteneintrittsalter können steigen, oder man könnte das Leistungsniveau in den Blick nehmen z.B. über das Rentenniveau. Darüber braucht es eine sehr ehrliche Debatte. Hier müssen wir als Gesellschaft versuchen, einen Konsens zu finden.
Dina Frommert leitet die Abteilung Forschung und Entwicklung der Deutschen Rentenversicherung Bund. Die Abteilung befasst sich mit statistischen Analysen, Sozialpolitik sowie Finanzen und Verteilung und bildet die Schnittstelle zur Wissenschaft für die Bereiche Daten und Alterssicherung.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.