Altersvorsorge: Warum die gesetzliche Rente besser ist als ihr Ruf
Steigende Beiträge, hohe Zuschüsse: Über den Zustand der gesetzlichen Rente wird viel geklagt. Rentenberater Andreas Irion will mit der Schwarzmalerei aufräumen – und erklärt, warum das System oft unterschätzt wird.
IMAGO/Eibner
Die Forderung nach stabilen Renten teilen viele Versicherte. Oft wird unterschätzt, welche Vorteile die gesetzliche Altersvorsorge jetzt schon bietet.
Mit welchen Fragen kommen aktuell die Menschen auf Sie als Rentenberater zu?
Derzeit steigen die Anfragen, ob es noch sicher ist, in einigen Jahren etwas früher in Rente gehen zu können. Das ist eine gängige Frage jener, die jetzt so Anfang 60 sind und planen, in zwei oder drei Jahren in Rente zu gehen.
Wie reagieren Sie darauf?
Zunächst mit dem Koalitionsvertrag. Darin heißt es, dass die Rente für langjährig Beschäftigte nach 45 Beitragsjahren ohne Abschläge und auch die vorzeitige Rente mit Abschlägen ab einem Alter ab 63 Jahren beibehalten werden soll. Vermuten lässt sich, dass sich in absehbarerer Zeit die Höhe der Abschläge ändert. Aktuell sind das 0,3 Prozent Abschlag pro Anzahl der Monate, die man vor der Regelaltersgrenze in Rente geht. An dem Punkt fügen meine Kollegen und ich aber hinzu, dass Änderungen in der Gesetzgebung zumeist mit Vorlauf kommen – so zumindest war es in der Vergangenheit. Das heißt, die rentennahen Jahrgänge hatten da immer einen Bestandsschutz.
Haben die Ratsuchenden eine reale Vorstellung davon, was sie an Rentenansprüchen zu erwarten haben?
Ja, aber sie unterschätzen sie bisweilen auch. Zum Beispiel, die Inflationsanpassung der Rente, die wir dadurch haben, dass die Renten an die aktuellen Gehälter gekoppelt sind und die wiederum an die Inflation. In den vergangenen Jahren sind die Renten mehr gestiegen als prognostiziert. Diesen indirekten Inflationsschutz unterschätzen die Leute und wissen gar nicht, was er wert ist, gerade im Vergleich mit privaten Versicherungen.
Welche Vorteile hat die gesetzliche Rente gegenüber der privaten Alterssicherung?
Würde ich bei einer privaten Versicherung eine Summe X hinterlegen und sagen, dafür möchte ich eine Rente lebenslang, müssten Sie als 65-jährige Modellkundin rund 30 Jahre leben, um das Geld wieder rauszukriegen. Im Vergleich dazu müssen sie bei der gesetzlichen Rente nur 20 Jahre leben und haben obendrein noch einen viel besseren Inflationsschutz.
Das spricht sehr für eine gesetzliche Rentenversicherung…
Das spricht dafür, aber die Leute unterschätzen diesen Vorteil. Die haben das Geld lieber auf der hohen Kante.
Andreas
Irion
Man sollte herausstellen, dass unser System eine Inflationssicherung hat, die sich mit privaten nicht abdecken lässt. Das ist ein Riesenvorteil.
Hängt das damit zusammen, dass die gesetzliche Rente in der Öffentlichkeit schlecht geredet wird?
Das könnte sein. Dazu beitragen könnte aber auch, dass die Leute ihre eigene Lebenserwartung unterschätzen und vielleicht auch, dass man dem System misstraut. Was aus meiner Sicht unbegründet ist.
Beschäftigte, die 45 Jahre zum jeweiligen Durchschnittsgehalt gearbeitet haben, konnten 2024 mit einer Rente von 1.769 Euro brutto rechnen. Was bleibt davon netto übrig?
Ungefähr ein Achtel geht ab für Kranken- und Pflegeversicherung, das sind rund 200 Euro. Darauf müssen Sie noch mit ungefähr 35 Euro Steuern rechnen, je nachdem, was sie abzusetzen haben. Sie landen dann bei ungefähr 1.500 Euro.
Das ist nicht überragend viel…
Tatsächlich sind die Renten zumeist niedriger, aber viele haben noch andere Einkünfte.
In der aktuellen Debatte um die Rentenreform wird behauptet, dass die Kosten zulasten der jungen Generation gehen. Sehen Sie das ähnlich?
Ja und nein. Als Beispiel: Wenn ich heute schon weiß, dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung in fünf oder zehn Jahren steigen wird und damit auch weiß, dass das nicht zu Lasten derjenigen gehen wird, die zeitnah in Rente gehen, könnte ich bessere Vorsorge treffen. Ich könnte den Beitragssatz schon heute anheben und das, was ich dann zusätzlich bekomme, aber vielleicht jetzt noch nicht brauche, für die junge Generation zurücklegen. Berechtigt ist aus meiner Sicht der Vorwurf, dass man sich das nicht traut.
Wäre das eine von vielen Stellschrauben, die es aus Ihrer Sicht gibt, um die gesetzliche Rente zukunftsfest zu machen?
In der Tat, das wäre eine Stellschraube und obendrein noch eine recht unkomplizierte. Gucken wir mal nach Österreich. Da liegt der Beitragssatz bei 22,8 Prozent. Bei uns liegt er bei 18,6 Prozent. Die Vorstellung, dass unser Beitragssatz auf 22 Prozent ansteigen könnte, wird mit Horrorszenarien verknüpft. Weil das aber sukzessive verlaufen wird, also jedes Jahr ein bisschen, würde man in Wirklichkeit gar nicht dieses Erleben haben. Es wäre besser, sich freizumachen von diesen Szenarien. Warum nicht den Beitragssatz jetzt schon erhöhen, um diese Debatte über die nächsten Jahrzehnte gar nicht mehr führen zu müssen. Ich bin sicher, wir hätten uns recht schnell an 20 oder 21 Prozent gewöhnt. Der Anstieg der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung ist in den vergangenen Jahren in gleichem Umfang gestiegen. Auch damit können wir leben.
Andreas
Irion
Es gibt mehr Möglichkeiten als entweder die Beitragsätze oder die Altersgrenze zu erhöhen und Jung gegen Alt auszuspielen.
Bislang höre ich heraus, dass die gesetzliche Rentenversicherung eine gute Versicherung ist, gerade im Vergleich zu privaten Kapitalbildungen. Wie ließe sich das in die Öffentlichkeit tragen?
Man sollte herausstellen, dass unser System eine Inflationssicherung hat, die sich mit privaten nicht abdecken lässt. Das ist ein Riesenvorteil. Auch positiv ist die Umverteilung von denen, die kürzer leben, zu denen, die länger leben. Das heißt auch, das sogenannte Langlebigkeitsrisiko ist abgedeckt. Positiv ist es allerdings nur dann, wenn Sie nicht zu bestimmten Berufsgruppen gehören und beispielsweise Handwerker sind oder auf dem Bau gearbeitet haben. Statistisch betrachtet, leben Sie dann kürzer. Aus meiner Sicht wäre es wichtig, diese Umverteilung zu beenden.
Was schlagen Sie vor?
Indem man ähnlich wie in Österreich die Rentenerhöhung anders gestaltet. Wenn man in den aktuellen Rentenversicherungsbericht schaut, wird dort eine Anhebung pro Jahr von rund 2,8 Prozent der Rente für die nächsten 15 Jahre modelliert. Die Inflationserwartung liegt bei etwa zwei Prozent. Man könnte jetzt regeln, dass nur noch Renten bis zu einer bestimmten Höhe um 2,8 Prozent erhöht werden. Alle, die bereits darüber liegen, werden nur noch um zwei Prozent angehoben. Das würde die Umverteilung von arm zu reich, die es auch in der Rente gibt, zumindest reduzieren.
Was sagen Sie zum aktuellen Streit um die Rentenreform der Koalition?
Ich würde mir wünschen, dass die vorhandenen Stellschrauben mehr Beachtung finden. Es gibt mehr Möglichkeiten, als entweder die Beitragsätze oder die Altersgrenze zu erhöhen und Jung gegen Alt auszuspielen. Dieses Schwarz-Weiß-Denken ist falsch. Wenn man die anderen zehn bis fünfzehn Stellschrauben mit hinzunimmt und an allen ein bisschen dreht, haben wir kein unlösbares Problem mehr.
Andreas Irion ist Präsident vom Bundesverband der Rentenberater, einer Berufsorganisation für unabhängige Rechtsberater im Bereich des Sozialrechts und weiterer Rechtsgebiete.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.