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Pflegereform: Was eine Pflegevollversicherung bedeuten würde

Eine große Mehrheit der Deutschen wünscht sich eine Pflegevollversicherung. Kritiker*innen warnen dagegen vor höheren Sozialbeiträgen. Wichtige Fragen und Antworten zu dem Versicherungsmodell.

von Nils Michaelis · 30. Oktober 2025
Ein Senior mit Rollator in einem Pflegeheim

Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt seit Jahren. Und damit auch die Kosten.

Bund und Länder suchen nach Lösungen für die chronische Kostenkrise des Pflegesystems. Für das kommende Jahr wird eine Finanzierungslücke von bis zu 3,6 Milliarden Euro erwartet. 

In diesem Zusammenhang wird wieder einmal über die Einführung einer Pflegevollversicherung diskutiert. 65 Prozent der Bevölkerung befürworten ein entsprechendes Versicherungsmodell, das alle Bürger*innen einbeziehen würde. Das hat eine Umfrage des „Bündnisses für eine solidarische Pflegevollversicherung“ ergeben. 18 Prozent bevorzugen demnach eine verpflichtende private Zusatzversicherung, über die derzeit ebenfalls debattiert wird. 

Was bedeutet das Konstrukt einer Pflegevollversicherung? Wie verläuft die öffentliche Diskussion zu dem Thema? Ein Überblick.

Was steckt hinter dem Konzept einer Pflegevollversicherung?

Unter einer Pflegevollversicherung versteht man ein System, das alle pflegebedingten Kosten, nicht aber weitere Kosten, wie etwa für die Unterbringung,  vollständig übernehmen würde. Es wäre eine Abkehr von der heutigen gesetzlichen Teilkostenversicherung, für die Pflegebedürftige einen Eigenanteil leisten müssen. Für eine Pflegevollversicherung gibt es unterschiedliche Modelle. Das sogenannte solidarische Modell sieht vor, alle Bürger*innen einzubeziehen. Ein Alternativvorschlag umfasst zusätzlich zur bestehenden Pflegeversicherung eine begrenzte Eigenbeteiligung, die durch private Vorsorge abgedeckt werden könnte. 

Warum fordern Befürworter*innen eine Pflegevollversicherung?

Ziel der Pflegevollversicherung ist es, die finanzielle Belastung für Betroffene und Angehörige zu reduzieren und zugleich die pflegerische Versorgung abzusichern. Das ist das Hauptargument der Unterstützer*innen dieses Modells. Dazu zählen unter anderem der Paritätische Gesamtverband und andere Sozialverbände, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) sowie der Bundesverband der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen (BKSB), die das „Bündnis für eine solidarische Pflegevollversicherung“ gegründet haben. 

Was sagen Kritiker*innen?

Konservative und Wirtschaftsverbände gehen davon aus, dass nach der Einführung einer Pflegevollversicherung die Sozialversicherungsbeiträge weiter steigen würden. Der Verband der Privaten Krankenversicherung verweist auf eine eigene Berechnung, wonach eine umlagefinanzierte Pflegevollversicherung den Beitragssatz der bestehenden Pflegeversicherung um 0,8 Prozentpunkte klettern lassen würde. Um höhere Beiträge zu verhindern, bringt der Paritätischen Gesamtverband eine deutlich höhere Beitragsbemessungsgrenze ins Spiel.

Außerdem kritisiert der Verband der Privaten Krankenversicherung, dass eine Pflegevollversicherung weniger den sozial Benachteiligten helfen würde als wohlhabenden Pflegebedürftigen, weil deren Vermögen nicht mehr zur Finanzierung von Pflegeleistungen herangezogen würde. Zudem hätten im Jahr 2023 gut zwei Drittel der deutschen Rentnerhaushalte die Eigenanteile an den stationären Pflegekosten aus eigener Kraft stemmen können. Ein Drittel der Pflegebedürftigen war also auf Sozialhilfe angewiesen.

Wie steht die SPD zur Pflegevollversicherung?

„Unser Ziel bleibt die solidarische Pflegevollversicherung“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Dagmar Schmidt und Christos Pantazis, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Doch ohne die Union ist dieses Vorhaben nicht realisierbar. Daher hat aktuell ein anderes Thema Vorrang: die Deckelung der Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen über den Sockel-Spitze-Tausch. „Würde in der Pflege darf keine Frage des Geldbeutels sein“, so Schmidt und Pantazis. Pflegebedürftige und ihre Familien bräuchten Verlässlichkeit und Planbarkeit.

Wie hoch sind die Kosten, die Pflegebedürftige derzeit zu tragen haben?

Gegenwärtig zahlen Pflegebedürftige für die stationäre Versorgung im ersten Jahr einen monatlichen Eigenanteil von durchschnittlich 3.100 Euro. Davon entfallen etwa 1.600 Euro auf die reinen Pflegeleistungen, der Rest fließt unter anderem in die Kosten für die Unterkunft. Die Summen variieren je nach Träger und Region. Laut dem Paritätischen Gesamtverband würde eine Pflegevollversicherung die monatliche Eigenbelastung auf etwa 1.500 Euro für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen reduzieren.

Wie soll eine Pflegevollversicherung finanziert werden?

Laut einem Gutachten des „Bündnisses für eine solidarische Pflegevollversicherung“ wäre diese ohne große Beitragssteigerungen möglich, und zwar durch die Einführung einer Bürgerversicherung, die sämtliche Personen- und Einkommensgruppen, also auch die bislang Privatversicherten, einschließt. Zudem würden demnach Sozialversicherungsbeiträgen auf alle Einkunftsarten, also auch auf Aktiengewinne und Mieteinnahmen, erhoben.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Pflegevollversicherung kommt?

Für eine Pflegevollversicherung fehlt derzeit eine politische Mehrheit. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat sich dagegen ausgesprochen. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Pflegereform sucht nach Wegen, um den Anstieg der Eigenanteile zu dämpfen, doch eine Pflegevollversicherung wurde bislang nicht gefordert. 

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