Inland

Pflegereform: Warum die SPD die Verteilungsfrage stellt

Die Pflegeversicherung soll grundlegend reformiert werden. Darauf hat sich die schwarz-rote Koalition verständigt. Katja Pähle, im SPD-Präsidium zuständig für Gesundheit und Pflege, spricht über die pflegepolitischen Ziele der SPD und Konflikte mit der Union. 

von Nils Michaelis · 24. September 2025
Ein Pflegeheim in Deutschland

Senioren und eine Betreuerin in einem Pflegeheim in Brandenburg: Die gesetzliche Pflegeversicherung stößt zunehmend an ihre Grenzen.

Darin sind sich Union und SPD einig: Deutschlands Pflegesystem muss grundlegend reformiert werden. Die steigende Zahl der Pflegebedürftigen und das wachsende Finanzloch der gesetzlichen Pflegeversicherung sprechen für sich. Eckpunkte für deren Reform will die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“, der Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CSU) und die Fachminister*innen der Bundesländer angehören, bis zum Jahresende vorlegen. 

Dennoch werden innerhalb der schwarz-roten Koalition beim Thema Gesundheit und Pflege immer wieder konträre Forderungen laut. Vertreter*innen von CDU und CSU, darunter Warken, brachten Leistungskürzungen und höhere Zuzahlungen der gesetzlich Versicherten ins Spiel. Und über allem schwebt das von Bundeskanzler Friedrich Merz gepflegte Mantra von Einsparungen im Sozialstaat. Die SPD setzt hingegen darauf, die Einnahmebasis für die Kranken- und Pflegeversicherung zu vergrößern. SPD-Präsidiumsmitglied Katja Pähle nennt die Gründe hierfür. 

Beim Thema Gesundheit mehren sich Forderungen aus der Union nach mehr Eigenbeiträgen oder Zuzahlungen. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) sei keine Vollkaskoversicherung, hieß es etwa. Die SPD setzt stattdessen auf eine Verbreiterung der Einnahmebasis der GKV. Droht ein ernsthafter Streit zwischen den Koalitionspartnern?

Der von der Union erweckte Eindruck, dass Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung alle Leistungen frei Haus kriegen, ist falsch. Über ihren Versicherungsbeitrag hinaus sind die Versicherten über Zuzahlungen in vielen Bereichen an den Kosten im Gesundheitswesen beteiligt. Man muss die öffentliche Diskussion über mehr Einnahmen für die GKV führen, indem man zusätzliche Einnahmequellen wie Mieteinkünfte einbezieht, bevor man in Kompromissen denkt. Ich bin mir sicher, dass innerhalb von CDU und CSU die Zustimmung für unsere Vorschläge größer ist, als es den Parteiführungen lieb ist.

Katja Pähle

SPD-Präsidium

Eine Infrastrukturabgabe für alle Versicherten würde es ermöglichen, den Beitrag für die gesetzliche Pflegeversicherung von 3,6 auf 1,8 Prozent abzusenken.

Um die Pflegekosten in den Griff zu bekommen, fordert ein Papier des SPD-Präsidiums die Einführung einer Pflegeinfrastrukturerhaltungsabgabe in Höhe von 1,5 Prozent auf Einkommen aller Art. Für die gesetzliche und private Pflegeversicherung sollen sämtliche Einkommen ohne Freibeträge und Bemessungsgrenzen herangezogen werden. Reicht das, um das für 2026 erwartete Finanzloch von rund 3,6 Milliarden zu stopfen?

Nach unseren Überlegungen und Berechnungen kann das diese Lücke schließen, weil mehr Geld ins System fließen würde. Sowohl in der Gesundheitsversorgung wie auch in der Pflege haben wir eine Infrastruktur, die zum größten Teil über die Beiträge der gesetzlich Versicherten refinanziert werden. Das ist ungerecht. 

Eine Infrastrukturabgabe für alle Versicherten würde es ermöglichen, den Beitrag für die gesetzliche Pflegeversicherung von 3,6 auf 1,8 Prozent abzusenken. Unterm Strich wäre dieses Modell für die gesetzlich Versicherten günstiger als das jetzige. Und auch die Arbeitgeber*innen, die die Hälfte der Beiträge zahlen, würden dadurch entlastet. 

Diese Senkung der Arbeitskosten müsste eigentlich auch der Union gefallen. Stattdessen redet sie nur von Einsparungen zulasten der Versicherten, nach dem Motto: Wenn der Sozialstaat zu teuer ist, müssen am Ende diejenigen zurückstecken, die ihn finanzieren und refinanzieren, nämlich die Beitragszahler*innen. Das kann und darf nicht unsere Antwort sein. Wir müssen genau an dieser Stelle die Verteilungsfrage stellen.

Welche Rolle spielen diese Punkte für die Arbeit der sozialdemokratischen Bund-Länder-Arbeitsgruppe für eine Pflegereform? 

Diese Punkte und viele Fragen darüber hinaus wurden zwischen Bundes- und Länderebene besprochen, das war wichtig. Sicherlich werden die Länder noch eigene Interessen mit einbringen und da wird es auch sicherlich unterschiedliche Sichtweisen geben, etwa bei den Investitionskosten in Altenpflegeeinrichtungen.

Die Gesprächspartnerin

Katja Pähle ist Vorsitzende der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege in der neuen Sozialstaatskommision der SPD und auch im Präsidium der Partei für diesen Bereich zuständig. Bei den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen im Frühjahr leitete sie eine entsprechende Arbeitsgruppe. Seit 2016 steht die 48-Jährige an der Spitze der SPD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt.

Katja Pähle auf dem SPD-Bundesparteuitag

Ist die von Expert*innen angenommenen Beitragserhöhung für die gesetzliche Pflegeversicherung zum 1. Januar wirklich auszuschließen, wie die SPD und Union versichern? Bundesgesundheitsministerin Nina Warken war zwischenzeitlich offenbar anderer Meinung.

Die Frage kann man heute noch nicht beantworten. Wenn wir die Beiträge stabil halten wollen, müssen wir jetzt über das, was wir aufgeschrieben haben, diskutieren. Für uns als Sozialdemokrat*innen ist es wichtig, die Bereiche Pflege und Gesundheit nicht einzeln, sondern als Teile eines gemeinsamen Sozialstaatsgefüges zu betrachten. Da gibt es viele Elemente, die für Effizienzsteigerungen stehen. Bestimme Verfahren sollten wir vereinfachen. 

Es geht nicht nur um eine Entscheidung für oder gegen höhere Beiträge, es braucht eine Gesamtidee. Deshalb ist es gut, dass die SPD jetzt ein eigenes Sozialstaatskonzept entwickelt. Menschen brauchen insbesondere im Bereich der Pflege Verlässlichkeit. Sie müssen wissen, dass das, was ihnen heute angeboten wird, auch in zehn Jahren immer noch tragen kann.

Der CDU-Wirtschaftsrat schlägt vor, anstatt fester Budgets für bestimmte Leistungen lieber Kontingente an Fachleistungsstunden pro Tag und auch je nach Pflegebedarf festzulegen. Würde die SPD da mitziehen? 

Ich würde gerne wissen, wie diese Kontingente festgelegt werden sollen. Die Feststellung des Pflegebedarfs würde auf Einzelfallprüfungen hinauslaufen. Wie viele Verwaltungsmitarbeiter bei den medizinischen Diensten, bei den Krankenkassen, bei den Pflegekassen bräuchte es, um dem auch tatsächlich gerecht zu werden? Was hat das mit Deregulierung zu tun? 

Wer eine Vereinfachung haben will, muss mit Pauschalen leben. Die gibt es bereits in Form der Pflegegrade. Wer den Eindruck hat, wir können jedem das geben, was ihm zusteht, und dann von Deregulierung spricht, der hat die beiden Seiten nicht richtig übereinandergelegt. Der Vorschlag des CDU-Wirtschaftsrats würde alles noch bürokratischer und aufwendiger machen.

Um die Pflegekosten in den Griff zu bekommen, schlägt die SPD vor, mehr auf Prävention zu setzen. Ohne milliardenschwere Investitionen dürfte das kaum zu schaffen sein.

Ja, auch Prävention kostet Geld. Die Kranken- und Pflegekassen tun auf diesem Gebiet schon sehr viel. Man könnte darüber diskutieren, Geldleistungen bei niedrigen Pflegegraden mit obligatorischen Beratungsangeboten zu verknüpfen. So könnten Pflegebedürftige fit gemacht und das Pflegesystem entlastet werden.

Wie ist der weitere Fahrplan für die Pflegereform? 

Im Rahmen der von Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas geleiteten Sozialstaatskommission der SPD, die am 29. September ihre Arbeit aufnimmt, soll der Bereich Pflege relativ zügig thematisiert werden. Einige Aspekte, die in dem Pflegepapier des SPD-Präsidiums stehen, werden sicherlich noch zu diskutieren sein, weil das auch eine Positionierung der Partei bedeutet. Danach werden wir einen Plan für eine Pflegereform vorlegen. 

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