Kultur

„To A Land Unknown“: Zwei Palästinenser kämpfen in Athen gegen die Wüste

Um ihren Traum von einem besseren Leben zu verwirklichen, kennen Reda und Chalita keine Grenzen: Das packende Kinodrama „To A Land Unknown“ erzählt vom aussichtslosen Dasein palästinensischer Geflüchteter am Rand Europas.

von Nils Michaelis · 28. November 2025
To a Land Unknown

Gestrandet in Griechenland: Reda (Aran Sabbah) und Chatila (Mahmood Bakri) sind palästinensische Geflüchtete.

So gut hat sich Reda lange nicht mehr gefühlt. Der junge Mann aalt sich in der Badewanne und schmaucht genüsslich einen Joint. Man meint, dass er sich in diesem Moment nicht nur den Schmutz von den Straßen Athens waschen möchte, sondern überhaupt alles, was ihn belastet. Dieser selige Moment erscheint ihm als Teil seines Weges hin zu einem besseren Leben. 

Mit Diebstählen und Prostitution über Wasser halten

Reda, eine der beiden Hauptfiguren des Films „To A Land Unknown“ ist Palästinenser und im Libanon aufgewachsen. Mit seinem Cousin Chatila ist er in der griechischen Hauptstadt gestrandet. Mit kleinen Diebstählen und Prostitution halten sich die beiden Geflüchteten mühsam über Wasser. Während sie durch die Straßen ziehen oder in ihrer heruntergekommenen Unterkunft herumsitzen, sind sie von dem Traum einer Zukunft in Deutschland beseelt. Das Land erscheint ihnen als Paradies der Chancen, selbst wenn sie kaum etwas darüber wissen.

Um diese Vision wahr werden zu lassen, brauchen sie gefälschte Pässe. Fast haben die Kleinkriminellen das nötige Geld zusammen, doch dann verliert der drogensüchtige Reda seinen Anteil. Also wieder alles auf Anfang. Und zwar mit einem besonders verwegenen Plan, um die Sache zu beschleunigen. 

„To a Land Unknown“ erzählt aus dem Leben von Menschen, die in Medienberichten nur selten ein Gesicht bekommen: Geflüchtete, zumal palästinensische, die in Griechenland festsitzen und wegen ihrer aussichtslosen Lage unbedingt weiterziehen wollen. Auf legale Weise ist dies nahezu unmöglich. So versinken viele unfreiwillig in kriminellen Strukturen, wo alle nur an sich denken. So wie Reda und Chatila. „Wenn man Menschen wie Tiere behandelt, fressen sie einander“, sagt Reda.

Dokumentarische Alltagsszenen und Thrillerelemente

Dieser Film über zwei Getriebene verknüpft dokumentarisch anmutende Alltagsszenen mit Thrillerelementen und einem fast schon märchenhaften Handlungsstrang. Während die Cousins auf ihre Reise nach Deutschland hinarbeiten, greifen sie einem anderen Menschen unter die Arme: Malik, ein geflüchteter palästinensischer Junge, ist ohne seine Eltern in Athen angekommen und möchte zu seiner Tante nach Italien. Fast schon aufopfernd nehmen sich die sonst so instinktgetriebenen Reda und Chatila seiner an. 

Für den Flug nach Italien braucht Malik allerdings eine Begleitperson. Chatila, im Vergleich zum häufig unsicheren Reda weitaus strukturierter und nie um einen Plan verlegen, findet sie in Tatiana. Die einsame Alkoholikerin macht sich mit dem Jungen auf den Weg. Derweil funktionieren Chatila und Reda Tatianas Wohnung zur Basis für eine zynische Unternehmung um, die ihnen das Geld für die ersehnten Pässe einbringen soll. Dort kommt Reda in den Genuss des besagten Wannenbades.

YouTube wurde aufgrund Ihrer Cookie-Einstellungen blockiert.
Zum Anzeigen des Inhalts müssen Sie die Marketing-Cookies akzeptieren .

„Als Sohn palästinensischer Flüchtlinge, der in Dänemark aufgewachsen ist, ist dies meine Geschichte“, sagt Regisseur Mahdi Fleifel über sein Spielfilmdebüt, das 2024 seine Premiere in Cannes feierte. Schon bei den Dreharbeiten zu seinem Film „A World Not Ours“ (2012) hatte sich der 46-Jährige intensiv mit der von Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit geprägten Situation palästinensischer Jugendlicher in Griechenland beschäftigt. Inspiration fand er auch in Ghassan Kanafanis Roman „Men In The Sun“, der davon erzählt, wie palästinensische Männer die Wüste durchqueren, um in Kuwait Arbeit zu finden.

Athen als urbane Wüste

„Heute ist Athen diese neue urbane Wüste“, so Fleifel in einem Interview. Diese Wüste zeigt sich als gnadenloses und kaum Hoffnung bietendes Reich der Enttäuschungen. Bildsprache und Erzählweise orientieren sich ganz bewusst am US-Kino der späten 60er- und 70er-Jahren, als sozialer Realismus verbreitet war. Wenn Reda und Chatila gemeinsam durchs graue Athener Häusermeer geistern, möchte man fast an Jon Voight und Dustin Hoffman in „Asphalt Cowboy“ (1969) denken. In dem Fokus auf ein ungleiches Duo zeigen sich aber auch Einflüsse aus den 80er-Jahre-Blockbustern über Männerfreundschaften.

Fleifel hat diese Wesenszüge zu einer atmosphärisch dichten Erzählung verwoben. Dass manch ein Handlungsstrang Fragment bleibt oder in letzter Konsequenz konstruiert wirkt, mag Zuschauende enttäuschen. Tatsächlich spiegelt sich in dieser Unvollendetheit der begrenzte Blick von Reda und Chatila auf eine Welt wider, die ihnen schlussendlich über den Kopf wächst. 

Diesen Prozess zu verfolgen, ist ein Erlebnis. Der palästinensische Schauspieler Mahmood Bakri bringt Chatilas widersprüchliche Facetten äußerst berührend zum Ausdruck und auch der ebenfalls aus den Palästinsergebieten stammende Laiendarsteller Aram Sabbah liefert iin einem Debüt vor der Kamera einen starken Auftritt ab. Da lässt sich sogar verschmerzen, dass man der wie immer sehr eindrucksvoll agierenden Angeliki Papoulia, einem der bekanntesten Kinogesichter Griechenlands, in ihrer Rolle als Tatiana deutlich mehr Filmminuten gewünscht hätte.

„To A Land Unknown“ (Griechenland, Dänemark, Vereinigtes Königreich, Niederlande, Saudi-Arabien, Deutschland, Katar, Palästina 2024), Regie: Mahdi Feifel, Drehbuch: Mahdi Fleifel, Fyzal Boulifa, Jason McColgan, mit Mahmood Bakri, Aran Sabbah, Angeliki Papoulia, Mohammad Alsufara u.a.

Im Kino

Realfictionfilme.de

Weitere interessante Rubriken entdecken

Noch keine Kommentare
Schreibe einen Kommentar

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.