„Das Ungesagte“: So zwiespältig blicken Menschen auf die NS-Zeit zurück
Zwischen Trauma und Tabu: In dem berührenden, aber auch verstörenden Dokumentarfilm „Das Ungesagte“ schildern Zeitzeug*innen, wie sie auf ihre Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus schauen und wie ihr späteres Leben durch diese Erfahrungen geprägt wurde.
ImFilm
Zeitzeugin Anke Gaier präsentiert Erinnerungsstücke aus den Jahren unter dem Nationalsozialismus.
Als Jakob Elzer seine Frau nach 67 gemeinsamen Jahren zu Grabe tragen musste, war er nicht in der Lage, um sie zu weinen. Nicht etwa, weil die Ehe mit ihr wenig ersprießlich gewesen wäre, sondern weil er es aus seelischen Gründen nicht konnte. Zu schrecklich sei das gewesen, was er als Soldat im Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion erlebt (und womöglich auch getan) hat. „Nach dem Krieg konnte ich nie wieder weinen“, erzählt der Hochbetagte vor der Kamera. Und auch nicht darüber reden, was ihn derartig traumatisiert hat. Wie die meisten seiner Generation.
Die Großeltern haben oft geschwiegen
Wer jemals versucht hat, mit den Großeltern über die NS-Zeit und ihre Kriegserfahrungen zu sprechen, hat oft diese Erfahrung gemacht: Außer ein paar dürren Floskeln über den Zwang, sich anzupassen oder abstrakten Beschreibungen über den Schrecken der Kämpfe kam nicht viel. Empathie für die Opfer? Kaum. Schuldgefühle? Schon gar nicht. Was diese von Tabus geprägte Haltung und die vielen ungesagten Dinge mit den Nachgeborenen und ihrem Blick auf jene Zeit gemacht hat, haben Historiker*innen und Sozialpsycholog*innen in vielerlei Büchern beschrieben.
Der Dokumentarfilm „Das Ungesagte“ holt dieses komplexe Thema von der wissenschaftlichen auf eine sehr konkrete Ebene. Neben Jakob Elzer wurden acht weitere Menschen zu ihren Erlebnissen während der NS-Zeit und ihrem Umgang damit befragt. Darunter sind sogenannte Mitläufer*innen wie ehemalige Soldaten, eine frühere Rot-Kreuz-Schwester oder ein Mitglied der damaligen NS-Jugendorganisation „Bund Deutscher Mädel“ (BDM). Aber auch die Opferseite kommt zu Wort. Zwei Männer aus Familien jüdischen Glaubens beschreiben, was sie angesichts einer immer brutaleren Verfolgung durchgemacht haben.
In mehreren Kapiteln blicken die zwischen 1920 und 1936 geborenen Zeitzeuginnen auf die Jahre zwischen dem Beginn der Nazi-Herrschaft und der frühen Nachkriegszeit zurück. Immer wieder zeigt sich, wie langlebig die Begeisterung ist, die manche als Kind für „den Führer“ und die Selbstinszenierung seines Regimes empfunden haben. Selbst dann, wenn die Berichte über die Kriegszeit voller Ernüchterung sind.
Die Erinnerung an den Nationalsozialismus bleibt lückenhaft
Diese bieten naturgemäß Lücken. Ein Zeitzeuge äußert sich aus der Rolle eines unbeteiligten Beobachters über die Schrecken der Judenverfolgung in seiner Heimatstadt. Wenig später nach seinen persönlichen Eindrücken befragt, sagt er, von all dem nichts mitbekommen zu haben. Als Korrektiv zu dieser von Verdrängung gezeichneten Perspektive der „Mehrheitsgesellschaft“ fungieren die Selbstzeugnisse der jüdischen Interviewpartner. Dass diese meist viel plastischer ausfallen als die vieler Mitläufer*innen, sagt wohl einiges.
Besonders erkenntnisreich und berührend ist der Film aber dann, wenn sich die Frauen und Männer daran erinnern, wie sie nach ihrem Krieg mit den Erfahrungen während der „dunklen Jahre“ umgegangen sind. Hier zeigen sich die vielen Gesichter des „Ungesagten“.
Nicht jeder und jedem von ihnen ist es gegeben, sich vor der Kamera zu öffnen. Manche Floskeln wirken vertraut, manch eine Distanzierung vom Leid der Opfer des Nazi-Terrors verstört. Immerhin ließ sich einem Zeitzeugen diese Schilderung entlocken: „Auf jeden Fall war es fast die Regel, dass Soldaten schweigsam waren, wenn sie heimkamen. Ich habe das erlebt an mir selbst. Hat mich auch niemand danach gefragt. Und habe nie das Bedürfnis gehabt zu erzählen. Offensichtlich niemand von meiner Umgebung, der was wissen wollte. Entweder haben die gemerkt, da ist irgendeine Mauer beim Vater, der will nicht oder der kann nicht. Es blieb also ungesagt. Es blieb begraben.“ Diese Sätze klingen wie das Porträt einer innerlich zerrissenen und von zwiespältigen Motiven getriebenen Generation.
Der Film lebt von der Vielstimmigkeit der Perspektiven
Selbst wenn sich einige Déjà-vus einstellen: „Das Ungesagte“ lebt von der Vielstimmigkeit und zum Teil auch von der Tiefe der Beschreibungen. Allerdings verlangt der mehr als zweistündige Film auch Durchhaltevermögen ab. Die Regisseur*innen Patricia Hector und Lothar Herzog verzichteten auf jegliche Dramatisierung und gaben den Gesprächsszenen in den heimischen Wohnzimmern denkbar breiten Raum. Von kritischen Nachfragen ausgelöste Momente der Reibung sind rar.
Gelegentlich sind zeitgenössische Filmaufnahmen, mitunter aus dem Fundus der Befragten, zu sehen. Immer wieder fährt die Kamera über die Dächer einer beschaulichen Kleinstadt in der Gegenwart. Wohl auch, um das trügerische Idyll und die beschränkte Sicht zu untermalen, die in manch einer Erinnerung an die Jahre des NS-Terrors mitschwingen. Auch solche Merkmale gehören zu einem Porträt dieser Generation.
„Das Ungesagte“ (Deutschland 2025), ein Film von Patricia Hector und Lothar Herzog, 143 Minuten.
Im Kino
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