Kultur

Ganz normale Helden

Man musste unter Hitler kein Übermensch sein, um Übermenschliches zu leisten: Der Dokumentarfilm „Die Widerständigen“ zeigt ganz nüchtern, wie wenige Mutige das Fortwirken der Widerstandsgruppe Weiße Rose sicherten.
von ohne Autor · 8. Mai 2015
Traute Lafrenz-Page
Traute Lafrenz-Page

Widerstand gegen den Nationalsozialismus? In den Erzählungen vieler Großeltern, die die Zeit zwischen 1933 und 1945 als Erwachsene erlebt haben, fand dieses Thema kaum oder gar nicht statt. Schließlich belegten die Aktionen jener Gruppen, dass es eben doch möglich war, von den Verbrechen des Regimes zu erfahren und sich dagegen aufzulehnen, während die Mehrheit passiv blieb. So blieb der Widerstand in weiten Teilen der Bevölkerung lange Zeit so etwas wie ein Phänomen aus einer fremden Welt.

Jahrzehnte vergingen, bis einer breiten Öffentlichkeit vermittelt wurde, wie vielschichtig das Gesicht der Auflehnung unter Hitler war. Gerade erinnert der Kinofilm „Elser“ an jenen Handwerker, dessen Attentat auf Hitler beinahe geglückt wäre. Auch die Weiße Rose wurde in mehreren Spielfilmen gewürdigt: Jene Gruppe von Münchner Studenten, die sich mit Flugblättern gegen die Nazi-Barbarei wehrten – die Geschwister Hans und Sophie Scholl und viele andere Mitglieder endeten unterm Fallbeil.

Stille Helden

Doch damit war die Geschichte der Weißen Rose keinesfalls zu Ende, wie „Die Widerständigen“ zeigt. Darin kommen Menschen zu Wort, die das Werk der Gruppe fortsetzten und damit auch dafür sorgten, dass sie nicht vergessen wurde. Menschen, die nach dem Auffliegen der Weißen Rose deren letztes Flugblatt unter Lebensgefahr in Deutschland verbreiteten. „Keiner macht das weiter, also machen wir das weiter“, beschreibt Marie-Luise Schultze-Jahn, Jahrgang 1918, in lakonischer Prägnanz die Diskussion unter ihren Kommilitonen an der Münchener Universität im Februar 1943. In einer Gruppe um den später ebenfalls hingerichteten Hans Leipelt brachte sie jene Abrechnung mit dem NS-Staat unter die Leute. Und wurde zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt.

Die ehemalige Chemiestudentin ist eine von neun Zeitzeugen, die berichten, wie heimlich Papiere getippt und verschickt wurden. Oder von den moralischen Skrupeln, die Liebsten mit der Untergrundarbeit zu gefährden, zumal, wenn gerade wieder jemand verhaftet wurde. Oder auch davon, wie viel auf dem Spiel stand, wenn einem Rädchen im Getriebe aus Gedankenlosigkeit ein am Ende womöglich tödlicher Lapsus unterlaufen war.

Nüchterner Ton

Jener nüchterne und lakonische Ton bestimmt die meisten der Berichte über die Aktivitäten – vorzugsweise in Hamburg und Berlin – , die Erhellendes auch dazu bieten, wie es sich fortan als früherer Widerstandskämpfer in beiden deutschen Staaten lebte. Er unterstreicht obendrein den zentralen inhaltlichen Aspekt: Dass man kein Übermensch sein musste, um, angesichts des kollektiven Mitlaufens oder Mitmachens, nahezu Übermenschliches zu leisten. Diese Erkenntnis ist es wert, sich voll auf die mitunter etwas verschachtelten Erzählungen zu konzentrieren, die nur durch Info-Einblendungen und Zitate aus besagter Flugschrift unterbrochen werden – die rhetorische Schärfe und Abgeklärtheit dieses Abgesangs auf Nazi-Deutschland berührt immer wieder.

Die Interviews entstanden zwischen 2000 und 2004, einige der Auftretenden sind mittlerweile verstorben. Dadurch ist der auf der diesjährigen Berlinale uraufgeführte Film eher ein Dokument der jüngeren Geschichte als eine Bestandsaufnahme aus gegenwärtiger Sicht. Dem Erkenntnisgewinn tut das allerdings keinen Abbruch. Zumal Aspekte wie Zivilcourage ohnehin in eine von zunehmenden rassistischen Ausschreitungen geprägte Gegenwart reichen. Traute Lafrenz-Page (geboren 1919) war mit den Scholls befreundet und wurde zu einer tragenden Säule der Weißen Rose wie auch von deren über das Reichsgebiet vertreuten Mitstreitern. Nach Kriegsende ging sie in die USA. Eine positive Lehre habe sie aus jener Zeit mitgenommen: „Wichtig ist, dass Menschen sich selbst erkennen und damit der Allgemeinheit dienen“, sagt sie. „Egal auf welchem Gebiet. Das macht froh!“

Authentisches Wort

Mit diesem Dokumentarfilm wollte die Regisseurin Katrin Seybold an ihren ersten Film „Die Widerständigen – Zeugen der Weißen Rose“ (2008) anknüpfen. Ihr plötzlicher Tod vor drei Jahren schien das Ende für das Projekt zu bedeuten. Ula Stöckl schloss es ab. Herausgekommen ist eine Dokumentation, die ohne das übliche Opfer-Täter-Schema und emotionalisierende Stilmittel oder Kommentare auskommt und denen eine Stimme gibt, die viel zu lange nicht gehört wurden. Gute Voraussetzungen, dass Seybolds Anspruch die gewünschte Wirkung zeigt: „Vor allem jugendlichen Zuschauern kann nur über das authentische Wort ein Eindruck vermittelt werden über das, was es bedeutete, Widerstand zu leisten.“

Info: Die Widerständigen – also machen wir das weiter... (Deutschland 2014), ein Film von Katrin Seybold und Ula Stöckl, mit Traute Lafrenz-Page, Marie-Luise Schultze-Jahn, Lieselotte Dreyfeldt-Hein u.a., 87 Minuten.

Ab sofort im Kino

0 Kommentare
Noch keine Kommentare