Neue Sicherheitsstrategie: „Die USA sind keine engen Verbündeten mehr“
Die neue Sicherheitsstrategie der USA verändert das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu Europa. Welche Auswirkungen das hat und warum darin auch eine Chance liegt, sagt der außenpoltische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetovic, im Interview.
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Neue Sichheitsstrategie der USA: „ein weiterer Beleg dafür, dass die Trump-Regierung Europa nicht mehr als engen Verbündeten sieht“
Nach der Veröffentlichung der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA ist vielfach von einer „Kriegserklärung an Europa“ die Rede. Wie bewerten Sie das Papier?
Es ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Trump-Regierung Europa nicht mehr als engen Verbündeten sieht. Diese Entwicklungen konnten wir schon Anfang des Jahres bei der Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar dieses Jahres beobachten. Aber auch bereits während Trumps erster Präsidentschaft wahrnehmen. Deshalb hat mich die neue US-Strategie nicht so stark irritiert. Gleichzeitig sollten wir die Brisanz aber auch nicht unterschätzen. Viele Äußerungen Trumps müssen für uns in Europa ein Weckruf sein.
„Die Zeit der engen und integren transatlantischen Beziehungen, wie wir sie Jahrzehnte kannten, ist vorbei.“
Sind die USA noch ein Verbündeter oder inzwischen eher ein Gegner?
Amerika ist und bleibt ein Partner, sicherheitspolitisch wie ökonomisch, aber die USA sind sicher keine engen Verbündeten mehr. Verbündete reden nicht in der Art gegen uns. Ein enger Verbündeter droht nicht mit Zöllen und kündigt an, sich in unsere inneren Angelegenheiten einmischen zu wollen – genau das aber geschieht jetzt. Sie setzen sich auch nicht gegenseitig unter Druck und drohen damit, sich aus der gemeinsamen Sicherheitsarchitektur herauszuziehen. Die neue nationale Sicherheitsstrategie ist der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung. Die Zeit der engen und integren transatlantischen Beziehungen, wie wir sie Jahrzehnte kannten, ist vorbei.
Wie sollte die Europäische Union auf die neue Sicherheitsstrategie der USA reagieren?
Trump versucht sein autoritäres Playbook, das er in den USA bereits mit Tempo erfolgreich umsetzt, auf Europa zu übertragen. Sein Ziel ist eine geschwächte, fragmentierte EU, die in 27 Einzelteile zerfällt und sich in bilateralen „Deals“ leichter gegeneinander ausspielen lässt. Ein starkes, geeintes Europa steht seinen geopolitischen und ökonomischen Interessen im Weg. Die beste Antwort darauf: Ein geschlossenes und selbstbewusstes Europa, dass auf Augenhöhe mit der Trump-Regierung verhandelt. Das bedeutet: Wir müssen zügig unsere Hausaufgaben machen. Um stark zu sein, brauchen wir einen funktionierenden EU-Binnenmarkt, neue Lieferketten und Produktionsnetze und weiter an gemeinsamen Rüstungsprojekten arbeiten. Gleichzeitig muss der große Tanker EU agiler werden und sich reformieren, wie zum Beispiel durch weniger Bürokratie und eine Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip. Und die beste Antwort auf Autoritarismus und Protektionismus ist eine wachsende EU - in den Norden, in den Osten, aber auch in den Süden.
„Die Mehrheit der Staaten will, dass die Stärke des Rechts gilt und nicht das Recht des Stärkeren.“
Diese Ziele wurden schon vor der Veröffentlichung der neuen Sicherheitsstrategie immer wieder genannt. Warum tut sich so wenig?
Richtig, an politischen Erkenntnissen mangelt es nicht. Der politische Wille muss jetzt aufgebracht werden. Seit Jahren reden wir über eine digitale Souveränität für Europa. Es kann nicht sein, dass X, Meta und TikTok quasi rechtsfrei in Europa agieren können, wie sie wollen. Deshalb ist es gut, dass die EU-Kommission nun eine millionenschwere Strafe gegen X verhängt hat. Wir müssen hier aber noch deutlich mehr tun. Mit einer der größten Gefahren für unsere europäischen Demokratien ist der hemmungslose Angriff der Tech-Unternehmen.
Sollte sich die EU auch neue Verbündete suchen, etwa im Globalen Süden?
Auf jeden Fall. Auf diesen Autoritarismus und Protektionismus müssen wir als EU mit neuen Bündnissen mit Teilen des Globalen Südens reagieren. Eine geeignete Antwort wäre deshalb, endlich die jahrzehntelangen Verhandlungen über das Mercosur-Handelsabkommen abzuschließen. Parallel dazu sollten wir intensive Verhandlungen mit Indien führen, über Freihandel, aber auch über Sicherheitspartnerschaften. Länder wie Indien und Brasilien sind große Befürworter der regelbasierten Weltordnung und des Völkerrechts. Diese Länder, wie auch wir in Europa, können politisch und ökonomisch nur Erfolg haben, wenn wir in einer Welt leben, in der es Regeln und verbindliches Recht gibt – Dinge, an die sich die USA unter Donald Trump leider nicht mehr halten. Die Mehrheit der Staaten will, dass die Stärke des Rechts gilt und nicht das Recht des Stärkeren.
In der Sicherheitsstrategie wird das Ziel formuliert, Europa dabei zu „helfen“, seinen derzeitigen Kurs zu „korrigieren“. Macht Ihnen das Sorge? Selbst der Verfassungsschutz warnt ja inzwischen vor einer Einmischung der USA.
Ich nehme das sehr ernst. Wir sind als Europäer aber resilient genug, politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Niemand hat das Recht, sich von außen in die Angelegenheiten der EU einzumischen. Präsident Trump und sein Stab möchten, wie auch in den USA, mit Tempo ein autoritäres System auf unserem Kontinent etablieren. Darauf muss Europa mit Geschlossenheit und neuem Selbstbewusstsein antworten.
Mit der AfD, die von Trump und seinem Umfeld ja bereits mehrfach gelobt wurde, hat er einen Verbündeten in Deutschland, der ein Interesse hat, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu zerstören. Deshalb war ich auch einer der Erstunterzeichner, der im Bundestag den Antrag für ein Verbotsverfahren gegen die AfD unterzeichnet hat.
„Wenn wir überzeugt davon sind, stark genug zu sein, können wir den USA auch auf Augenhöhe begegnen.“
Was bedeutet all das für den künftigen Umgang Europas und Deutschlands mit den USA?
Aus den jüngsten Entwicklungen sollten wir auch Kraft ziehen. Man spürt die große Bereitschaft und Motivation, an einem starken, souveränen und selbstbewussten Europa zu arbeiten. Es muss ein neuer europäischer Stolz durch die Gesellschaften gehen. Wenn wir überzeugt davon sind, stark genug zu sein, können wir den USA auch auf Augenhöhe begegnen. Auch wenn das Klima rauer wird, werden die USA aber weiterhin ein Partner bleiben. Wir werden weiter miteinander sicherheitspolitisch und ökonomisch zusammenarbeiten. Denn die USA brauchen auch uns.
Wie gehen Sie persönlich als überzeugter Transatlantiker mit der Situation um?
Ich denke, es wird für uns Sozialdemokratie insgesamt sehr wichtig sein, enge Kontakte zur Demokratischen Partei in den USA, aber auch in die Zivilgesellschaft zu pflegen. Die vergangenen Wahlen in den USA – sei es in New York, New Jersey oder Virginia – haben gezeigt, dass die Amerikaner auch anders können als Trump wählen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.