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Neue nationale Sicherheitsstrategie: Amerikas Kriegserklärung an Europa

Die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA beendet die transatlantische Partnerschaft. Für Europa stellt sie eine doppelte Bedrohung dar. Die Antwort der EU muss daher deutlich sein.

Deckblatt und weitere Seiten der nationalen Sicherheitsstrategie der USA

Ein Dokument mit Zündstoff: Die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA hat vor allem Europa im Blick.

Die Idee des Regime Change ist zurück auf der Weltbühne. Dieses Mal ist allerdings nicht Europa der Ausgangspunkt, sondern selbst die Zielregion, in der die Administration Trump ihre Vorstellungen von gutem und richtigem Regieren applizieren will. Damit findet eine Neudefinition der viel beschworenen „transatlantischen Wertegemeinschaft“ statt.

Außenpolitik unter den Vorzeichen von America First

Das zeigt sich in der US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsstrategie 2025 (NSS 2025), in der Präsident Trump seine Vorstellungen einer Außenpolitik unter dem Vorzeichen von America First niederlegt. Das Dokument ist vollkommen anders verfasst als frühere Sicherheitsstrategien der USA. Es ist deutlich ideologischer und zugleich unverblümter in der Fokussierung auf die eigenen Interessen. Manchmal liest es sich beinahe wie eine Karikatur der USA, wie man sie entweder aus Filmen oder aus antiamerikanischen linken Zirkeln kennt. Insofern ist es durchaus feine Ironie, dass die Strategie auch davon spricht, die soft power der USA ausbauen zu wollen.

Grundsätzlich dreht sie sich darum, die Größe der USA zu wahren und auszubauen – America First eben. Das reicht von einer harten Anti-Migrationspolitik mit forciertem Grenzschutz, über den Ausbau des US-Militärs, bis hin zu internationalen Beziehungen, die auf die amerikanische Prosperität ausgerichtet sind. Für diese Ziele sollen alle Instrumente eingesetzt werden, seien es Wirtschaftsbeziehungen, der amerikanische Finanzmarkt, Technologie oder auch das Militär und die Alliierten. Amerikanische Firmen sollen direkt davon profitieren, besonders von Ländern, die am meisten von den USA abhängen und auf die Washington am meisten Druck ausüben kann.

Die Regeln bestimmen jetzt die USA

Für Europa, mit seinen zahlreichen Staaten, die sich einer „Special Relationship“ mit den USA rühmen, hat die Strategie eine ganz eigene Rolle vorgesehen. Das kann Auswirkungen auf die Wirtschafts- und die Sicherheitspolitik Europas haben, gleichzeitig aber auch innenpolitische Folgen. Sicherheitspolitisch orientieren sich die USA mit dieser Strategie weg von einer auf gemeinsamen Regeln basierenden Weltordnung. Stattdessen wird als Tatsache postuliert, dass stärkere Nationen mehr Einfluss haben. Damit die USA in dieser Logik auch weiterhin den stärksten Einfluss haben, müssen die Alliierten, und hier vor allem Europa, dazu beitragen.

Das bedeutet erstens, dass sie mehr für die eigene Sicherheit tun müssen, allerdings nicht vollständig auf eigene Verantwortung. Die USA wollen weiterhin als treibende Kraft fungieren und die Alliierten in diesen Bemühungen anleiten. Zweitens müssen Verbündete der USA weiterhin ihr Scherflein zur wirtschaftlichen Ausnahmestellung Amerikas beitragen. Das heißt, sie müssen den Abbau der Handelsbilanzdefizite vorantreiben, ihre Märkte für die USA öffnen und die Besteuerung oder Regulierung amerikanischer Unternehmen daran messen lassen, ob das Weiße Haus dies für fair und angemessen hält.

Drittens werden amerikanische Energieexporte genutzt, um die Beziehungen zu Alliierten zu vertiefen. Das heißt im Umkehrschluss, dass man Öl und Gas künftig besser bei Donald Trump kauft und fehlgeleitete Ideologien (sic!) wie Klimawandel und Net Zero ad acta legt, wenn man von den USA abhängig ist.

Russland wird weder als Bedrohung noch als Gefahr gesehen

Während diese drei Schlussfolgerungen aber unabhängig von der Geografie für alle Alliierten gelten, birgt die NSS noch einige spezielle Klauseln für die europäische Sicherheitspolitik, auch weil Europa in der für die USA besonders wichtigen westlichen Hemisphäre liegt. Stabilität wird als höchste Priorität in Europa genannt. Diese wird laut der NSS aber nicht von Russland gefährdet, das weder als Bedrohung noch als Gefahr definiert wird. Das Problem wird vielmehr darin gesehen, dass viele Europäer Russland als existentielle Bedrohung betrachten.

Daher soll strategische Stabilität im Verhältnis mit Moskau hergestellt werden und der Krieg in der Ukraine soll enden. Als einzigen konkreten Schritt in diese Richtung hält die NSS fest, dass eine Priorität der USA darin liegt, zu verhindern, dass die NATO eine sich permanent erweiternde Allianz ist. Damit werfen ausgerechnet die USA, die noch 2008 für den Beitritt der Ukraine und Georgien in die NATO geworben hatten, diese Tür vor aller Öffentlichkeit zu. Es ist zwar auch vom Überleben der Ukraine die Rede, aber lediglich als „viable state“, die sonst so viel zitierte Souveränität fehlt hier.

Schmeicheln wird Trump nicht umstimmen

Die NSS 2025 legt fest, dass Zusammenarbeit auch mit Staaten möglich sein muss, die die amerikanischen Werte nicht teilen. Ganz explizit ist beispielsweise mit Blick auf den Nahen Osten die Rede davon, regionale Traditionen zu respektieren und nicht zu versuchen, die eigenen Vorstellungen anderen Staaten aufzudrücken. Für Europa gilt das offenbar ganz und gar nicht. So wie es in der Bibel in Genesis 1 heißt „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde“, so gedenkt die Administration Trump offenbar, Europa nach ihrem eigenen Bilde zu gestalten.

Was heißt das konkret für Europa? Die NSS offenbart, dass es bei Trump nicht nur um transaktionale Beziehungen geht, sondern um ideologische Interessen. Nach Lateinamerika, wo Trump seine Verbündeten Jair Bolsonaro und später Javier Milei direkt unterstützte, indem er Brasilien hohe Zölle auferlegte und einen Kredit an Mileis Wahlsieg knüpfte, gilt dies nun ganz klar für Europa. Trumps ideologische Agenda lässt sich offensichtlich nicht durch Schmeicheln „aufweichen“, wie sich Europas Regierungschefs erhofften. Unter dieser Administration stellen die USA eine zweifache Bedrohung dar: für die EU als Projekt und für die europäischen liberalen Demokratien.

Eine Kriegserklärung an internationale Organisationen

An mehreren Stellen betont die NSS den Vorrang der Nationalstaaten und liest sich als eine Kriegserklärung an internationale Organisationen, vor allem die EU. Sie untergrabe nicht nur die politische Freiheit und die nationale Souveränität, sondern sei auch ein Hindernis für amerikanische Interessen. Diese Einschätzung sollte aber nicht überraschen. Die Ablehnung internationaler Organisationen, inklusive der EU, war schon im Project 2025 der Heritage-Stiftung zu finden, dem inoffiziellen Regierungsprogramm der Trump-Administration. Vielleicht schafft es die NSS 2025 schlussendlich, allen Europäern die Augen dafür zu öffnen.

Darüber hinaus unterminiert diese ideologische Agenda die liberale Demokratie. Die NSS 2025 setzt europäische Identität mit weißer Ethnizität und christlicher Religion gleich, die angeblich durch Einwanderung bedroht seien. Wenn Europa, wie die NSS behauptet, von einer „Auslöschung ihrer Zivilisation“ bedroht ist, dann sollten die Entscheidungsträger*innen freie Hand haben, ihre Staaten mit allen Mitteln zu beschützen. „Wer sein Land rettet, verletzt kein Gesetz“, wie es Trump im Februar auf X postete. Dadurch werden Attacken gegen die liberale Demokratie legitimiert.

Es ist gerechtfertigt, die Macht der Exekutive auf Kosten anderer Institutionen zu stärken, um die angeblich bedrohte nationale Identität und Souveränität zu beschützen. Kritische Medien, Oppositionsparteien und die Zivilgesellschaft werden als „ausländische Agenten“ verunglimpft, staatliche Behörden von „Feinden der Nation“ gesäubert. Die Rechte von Minderheiten werden etwa beschränkt, weil sie nicht zur Nation gehören und Meinungsfreiheit selektiv limitiert, um die Reputation der bedrohten Nation zu beschützen.

Das Ende einer 80-jährigen transatlantischen Partnerschaft

Für die aktuelle europäische Führung ist dieses Dokument daher ein Offenbarungseid. Es beendet das transatlantische Verhältnis der letzten 80 Jahre. Aus dem wohlwollenden Hegemon auf der anderen Seite des Atlantiks wird nun eine Weltmacht, die ähnlich wie Russland versucht, die EU zu schwächen und die politischen Verhältnisse in Europa nach eigenem Gutdünken zu ordnen. Ein Kompromiss oder Mittelweg ist nicht erkennbar. Wer es also ernst meint mit der Souveränität europäischer Staaten, muss auf einen europäischen Rütlischwur hinarbeiten.

Dazu braucht es einen forcierten Abbau der sicherheitspolitischen Abhängigkeiten Europas, den Aufbau einer europäischen Rüstungsindustrie für zentrale Systeme, die Europa gemeinsam handlungsfähig machen, eine Stärkung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit anderen Regionen sowie die Festigung internationaler Institutionen und ihrer Resilienz gegen Einflussnahme aus Washington.

Für Regierungschefs wie Orbán oder Meloni, aber auch Parteien wie die AfD und das Rassemblement National ist die neue NSS 2025 hingegen ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk und Anlass zum Frohlocken. Ihre Agenda wird von den USA als Ziel ihrer Sicherheitspolitik erkoren, damit gewinnen sie einen extrem mächtigen Verbündeten. Sie alle wollen ein ethnonationalistisches Europa schaffen. Bei Trump soll das vor allem den Interessen der USA dienen. Das große Paradox besteht aber darin, dass für ein Europa nach diesem Regime Change-Programm die Schnittmengen mit Russland deutlich größer wären. Der Trump’sche Traum von der amerikanisch dominierten westlichen Hemisphäre trägt die eigene Zerstörung schon bei der Entstehung in sich.

Der Text erschien zuerst im IPG-Journal.

Autor*in
Christos Katsioulis

leitet das Regionalbüro für Zusammenarbeit und Frieden der Friedrich-Ebert-Stiftung in Wien. Zuvor leitete er die Büros der FES in London, Athen und Brüssel.

Autor*in
Filip Milačić

ist Senior Researcher im Wiener Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung und Gastprofessor an der Central European University.

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