EU-Abgeordneter René Repasi: „Trump hat Europas Schwächen massiv ausgenutzt“
Immer häufiger suchen die Konservativen im EU-Parlament Mehrheiten rechts der Mitte. Warum das ein Problem ist und wie die Sozialdemokratie dagegenhalten will, erklärt der SPD-Abgeordnete René Repasi im Interview.
IMAGO/Christian Ohde
Noch bevor es in Kraft trat, wurden große Teile des EU-Lieferkettengesetzes wieder abgeschafft, wie der SPD-Abgeordnete René Repasi kritisiert.
Die EU ist aktuell von innen wie von außen – auch mit Blick auf die jüngsten Äußerungen von Elon Musk, der auf X eine Zerschlagung der EU forderte – so stark bedroht wie selten zuvor. Ist die EU stark genug, um den Kampf gegen diese Bedrohungen zu bestehen?
Ja, die Europäische Union ist stark genug. Wir haben die passenden Instrumente dafür, aber wir müssen das Selbstbewusstsein entwickeln, von ihnen Gebrauch zu machen. Es ist spätestens in den vergangenen Wochen deutlich geworden, dass man den Gefahren in der Welt nicht entgegentreten kann, indem man sich klein macht, sondern indem man ins Risiko geht und sich groß macht, aber sich trotzdem der eigenen Schwächen bewusst ist.
Trump hat die Schwächen der europäischen Selbstverteidigung massiv ausgenutzt und dadurch einen Handelsdeal hinbekommen, der unserer Größe und unserer Relevanz nicht gerecht wird. Deshalb müssen wir an unseren Schwächen arbeiten, um uns selbstbewusst aufstellen zu können. Grundsätzlich ist die EU ökonomisch stark, wir sind technologisch stark und unsere größte Stärke ist: Wir sind trotz aller Kompliziertheit geeint in Vielfalt.
Warum Europa momentan ein Abwehrkampf ist
Mit Blick auf die jüngsten Entscheidungen im Europäischen Parlament stellt sich dennoch die Frage: Macht Ihnen Europa aktuell Spaß?
Ja, Europa macht immer noch Spaß, weil es eine zivilisatorische Meisterleistung ist und bleibt, dass ein Block von Staaten Teile der Souveränität aufgegeben hat, um sich gemeinsam in dieser Welt aufzustellen, und das Ganze an ein Parlament demokratisch rückbindet. Das hat zur Folge, dass es entsprechend auch andere Mehrheiten gibt, wenn der politische Zeitgeist in eine andere Richtung geht. Trotzdem bleibt die EU etwas Besonderes, das es so nirgendwo anders auf der Welt gibt. Deswegen kämpfe ich weiterhin für dieses Projekt Europa, auch wenn es im Moment ein Abwehrkampf ist.
René
Repasi
Es war naiv, dass man Frau von der Leyen zu sehr einen Freifahrtschein gegeben hat.
Nach der Europawahl im vergangenen Jahr stimmten die SPD-Europaabgeordneten für die Wiederwahl von der Leyens als Kommissionspräsidentin, unter der Bedingung, dass diese keine Mehrheiten mit rechten Kräften im Europaparlament suche. Nun macht es die konservative EVP-Fraktion trotzdem. Waren Sie zu naiv?
Man war naiv, dass man Frau von der Leyen zu sehr einen Freifahrtschein gegeben hat. Wir haben im Vertrauen, dass sie auch in den vorherigen fünf Jahren progressive Politik gemacht hat, darauf gesetzt, dass sie weiterhin Garantin dafür ist, dass man das hinbekommt. Doch das sehen wir jetzt nicht mehr in dem Maße. Da muss man sie als Kommissionsvorsitzende zur Verantwortung ziehen. Wir hätten aber vor unserer Stimmabgabe viel mehr Garantien noch festzurren müssen, als es gemacht worden ist.
Aber der Kommissionspräsidentin vorzuwerfen, dass ihre Fraktion im Europäischen Parlament von der Stange läuft, das ist im Kontext, wie die europäischen Institutionen aufgebaut sind, nicht vertretbar, weil wir nicht in einer Situation sind, wie hier in Deutschland, wo der Bundestag die Bundesregierung trägt und wenn die Kanzlerfraktion abweicht, es ein Problem für den Kanzler ist. Die Institutionen sind getrennt voneinander. Die Kommission wird von den Staaten vorgeschlagen und wir bestätigen sie. Deswegen sind die Interaktionen zwischen Fraktion und Kommission deutlich begrenzter.
Repasi: Weber trägt die Verantwortung
Von der Leyen dirigiert die EVP nicht und sie hat auch keine Instrumente, die EVP wieder auf Linie zu bringen, außer darauf hinzuweisen, dass sie ihre Mehrheit in der Mitte haben möchte, darauf zu setzen, dass ein Misstrauensvotum vermieden wird. Die EVP-Fraktion selbst hat sich sehr unabhängig von der Kommissionspräsidentin aufgestellt. Deswegen ist die Verantwortung für das Verhalten der Fraktion bei ihrem Vorsitzenden Manfred Weber zu suchen und nicht bei der Kommissionspräsidentin.
Welche Handhabe hat die sozialdemokratische S&D-Fraktion gegenüber der EVP-Fraktion, wenn diese vermehrt Mehrheiten rechts der Mitte sucht?
Es gibt formal gesehen nur die Nuklearoption, ein Misstrauensvotum zu beantragen, aber die Hürde dafür ist sehr hoch. Es ist nur dann erfolgreich, wenn zwei Drittel der abgegebenen Stimmen, die mindestens der absoluten Mehrheit der Abgeordneten entsprechen müssen, sich für das Misstrauen aussprechen. Ich glaube aber nicht, dass die Sozialistische Fraktion mit anderen zusammen über die notwendigen Stimmen dafür verfügt. Außerdem halte ich das in der Situation auch nicht für ein angemessenes Instrument.
Daneben haben wir nur begrenzt Möglichkeiten. Wenn die EVP-Fraktion selbst nicht mehr bereit ist, einen politischen Preis dafür zu bezahlen, dass man in der Mitte bleibt, dann ist das Einzige, was wir machen können, unsere politischen Preise selbst auch zu senken und damit unser Profil aufzugeben. Das ist wiederum ein Preis, den wir nicht bezahlen sollten, aber auch nicht bezahlen werden. Deswegen können wir nur eindeutig in unserer politischen Kommunikation zu sein, dass wir weiterhin die Mehrheit in der Mitte suchen. Dafür müssen wir uns entsprechend selbstbewusst aufstellen in den Gesetzgebungsdossiers, bei denen die EVP keine Alternative mit Rechtsaußen hat, wie etwa beim Haushalt oder bei Fragen der Verteidigung.
Repasi: Rechte Mehrheiten kein Zufall
Sind die Mehrheiten der EVP-Fraktion mit Rechtsaußen Zufall oder welche Agenda verfolgt CSU-Mann Manfred Weber?
Nein, das sind keine Zufallsmehrheiten. Wenn man sich beim sogenannten Nachhaltigkeitsomnibus, mit dem das EU-Lieferkettengesetz zurückgebaut wurde, das Abstimmungsverhalten anschaut, sieht man, dass Änderungsanträge der EVP- mit der EKR-Fraktion, in der Melonis postfaschistische Partei Fratelli d'Italia, aber auch die polnische PiS-Fraktion vertreten ist, abgestimmt waren. Es ist naiv, anzunehmen, dass man Änderungsanträge im luftleeren Raum stellt. Wer Anträge stellt, von denen er weiß, dass er nur mit Rechtsaußen Erfolg hat, der koaliert mit Rechtsaußen. Die Frage ist: Ist die EVP-Fraktion bereit, einen politischen Preis dafür zu bezahlen, mit den Sozialdemokraten eine Mehrheit zu bekommen oder nicht? Wenn man nicht bereit ist, muss man auch die politische Verantwortung dafür übernehmen.
Das Wort Omnibus klingt harmlos. Was verbirgt sich dahinter?
Der Name Omnibus ist bewusst so gewählt, dass man nicht kapiert, um was es geht. Was unter diesem Namen aktuell in Brüssel und Straßburg passiert, ist, dass Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte zurückgebaut werden. Im Fall des EU-Lieferkettengesetzes wurde sogar ein Gesetz abgeschafft, das noch nicht mal in Kraft getreten war. Wir sehen, dass Lobby-Forderungen aus Wirtschaft und Industrie in diese Omnibus-Verfahren getragen werden, die nicht das Leben einfacher machen, sondern nur rechtliche Anforderungen senken.
Doch wer in einer globalisierten Welt selbst die Standards nicht setzt, verlangt von seinen Unternehmen, dass sie sich den Standards anderer Weltregionen unterwerfen. Wer selbst die Regeln nicht macht, unterwirft sich den Regeln anderer. Das führt dazu, dass wir einen Teil unseres Einflusses auf dieser Welt abgeben, und zwar in dem Sinne, dass wir einen Ausgleich zwischen wirtschaftlicher Freiheit und wirtschaftlicher Verantwortung gegenüber Umwelt und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben wollen.
Europaweit gegen hohe Mieten und Energiepreise kämpfen
Was können Sie dem entgegensetzen, um ein soziales Europa stärker voranzutreiben?
Es ist die große Herausforderung, dass wir beim Umbau der europäischen Wirtschaft hin zu einer nachhaltigen und CO₂-neutralen Wirtschaft, gute Arbeitsplätze in Europa erhalten müssen. Dabei dürfen wir Industriearbeitsplatz-Standards nicht verlieren. Deswegen brauchen wir ein Arbeitsrecht, das sichert, dass Mitbestimmung weiterhin gilt, das sichert, dass Arbeitsstandards eingehalten werden, dass Tarifverträge eingehalten werden. Die neue Arbeit muss auch gute und qualitativ wertvolle Arbeit sein. Der Wettbewerbsfähigkeitsmodus darf nicht zu einer Absenkung von Dingen führen, die wir vor 100 Jahren als sozialdemokratische Bewegung hart erstritten haben.
Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die europäischen Gelder – wir verhandeln gerade über den neuen EU-Haushalt – auch in soziale Fragen investiert werden. Der europäische Sozialfonds ist das einzige Finanzierungsinstrument, das in die Armutsbekämpfung investiert. Den müssen wir stärken und der neoliberalen Idee eines trickle-down-Effekts entgegenhalten. Denn wer die Armutsbekämpfung ignoriert, der hält die Axt an das soziale Europa. Deshalb müssen wir auch dafür sorgen, europaweit die Energiepreise und die hohen Preise im Bereich Wohnungsbau zu senken.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo