Zur Kritik an der Aktivrente: „Länger zu arbeiten, wird immer attraktiver“
Wer im Rentenalter freiwillig weiterarbeitet, soll von der Aktivrente profitieren. Das findet nicht nur Zustimmung, sondern sorgt auch für Kritik. Bernd Rützel, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales, reagiert auf Vorbehalte.
IMAGO/Zoonar
Wer im Alter weiterarbeiten möchte, soll das nach den Plänen von Schwarz-Rot können.
Die Bundesregierung will ältere Menschen dazu motivieren, über das gesetzliche Rentenalter hinaus zu arbeiten. Wer freiwillig länger arbeitet, soll ab Januar 2026 bis zu 2.000 Euro pro Monat steuerfrei hinzuverdienen können. Doch bei vielen kommen die Pläne nicht gut an. Der SPD- Bundestagsabgeordnete Bernd Rützel, Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Deutschen Bundestags, äußert sich zur Kritik.
Die Regierung rechnet damit, dass jährlich nur rund 25.000 Fachkräfte die Aktivrente nutzen. Lohnt sich die Maßnahme überhaupt?
Um eines klar zu sagen: Es wird mit mir und der SPD keine Verlängerung der Regelaltersgrenze geben. Wer aber freiwillig länger arbeiten will, dem sollte die Politik keine Steine in den Weg legen, sondern Anreize schaffen. Länger zu arbeiten, wird immer attraktiver. Das können ein paar Stunden pro Woche sein, ein Minijob oder auch mehr. Die Motivation dahinter ist oft, unter Menschen zu sein, gebraucht zu werden. Und einige brauchen auch einfach das Geld.
Der Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) kritisiert, die Aktivrente sei nur für gesunde Menschen in wenig belastenden Berufen attraktiv. Menschen mit körperlich anstrengenden Jobs profitierten dagegen kaum, weil sie nicht weiterarbeiten können. Wie sehen Sie das?
Das Wichtigste ist, gesund zu bleiben. Nur wer die Regelaltersgrenze erreicht, hat auch die Möglichkeit zur Aktivrente. Wer beeinträchtigt ist, weil der Beruf zu stark an den Knochen oder der Seele genagt hat, kann oftmals nicht bis zum Schluss arbeiten. Deshalb steigen auch die Zahlen der Erwerbsminderungsrenten. Hier haben wir als SPD in den Regierungen seit 2014 schon dreimal deutliche Verbesserungen für Rentner*innen mit Erwerbsminderung durchgesetzt. Ich verstehe aber auch alle, die 45 Jahre auf dem Buckel haben und mit 64 Jahren und zwei Monaten abschlagsfrei in Rente gehen.
Das Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) warnt vor sogenannten Mitnahmeeffekten: Menschen, die ohnehin schon im Rentenalter weiterarbeiten, können das dank der Aktivrente nun steuerfrei.
Die werden sich jetzt freuen, dass sie für 2.000 Euro pro Monat keine Steuern mehr bezahlen müssen. Ich gönne es ihnen. Sie werden gebraucht und arbeiten freiwillig länger. Was will man denn noch?
Ende 2023 arbeiteten rund 600.000 Menschen im Rentenalter. Nach Berechnungen des IW würde das Steuerausfälle von 2,8 Milliarden Euro ergeben, wenn all diese Menschen 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdienen. Ist das verhältnismäßig?
Menschen, die länger arbeiten, bringen ganz viel Know-how mit. Sie sind Fachleute auf ihrem Gebiet. Das hilft den Unternehmen, den Menschen selber, aber auch der ganzen Gesellschaft. Vieles würde sonst einfach nicht mehr so gut funktionieren. Also, sind wir dankbar, dass viele fleißig weiterarbeiten und jammern wir jetzt nicht über fehlende Steuereinnahmen!
Entlastet die Aktivrente wirklich den Fachkräftemangel oder verlängert sie nur die Erwerbstätigkeit einiger weniger?
Für die Behebung des Fachkräftemangels braucht es schon mehr als die Aktivrente. Fast drei Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren haben keine Berufsausbildung. Wir müssen sie qualifizieren, es ist nie zu spät für eine Ausbildung. Die Erwerbstätigenquote von Frauen muss angehoben werden. Dazu braucht es bessere Kitabetreuungsmöglichkeiten. Menschen mit Behinderungen müssen viel stärker in Arbeit eingebunden werden. Sie sind oftmals sehr gut qualifiziert und ausgebildet, haben aber trotzdem große Vermittlungsprobleme. Und wir brauchen natürlich Zuwanderung von außen in unseren Arbeitsmarkt.
Könnte die Aktivrente dazu führen, dass Arbeitgeber*innen ältere, erfahrene Arbeitskräfte günstiger beschäftigen – statt jüngere Arbeitnehmer*innen einzustellen oder Arbeitsbedingungen zu verbessern?
Warum sollte es günstiger sein, ältere Arbeiternehmer*innen weiter zu beschäftigen? Sozialbeiträge müssen geleistet werden. Und ich hoffe doch, dass Arbeitnehmer*innen schon wissen, was sie wert sind. Dort wo es Tarifverträge gibt, ist ohnehin alles geregelt. Wer schlechte Arbeitsbedingungen bietet, wird auch keine Menschen finden, die freiwillig über das 67. Lebensjahr hinaus arbeiten. Wenn ein Unternehmen nicht auf Nachwuchs setzt, wird es keine Zukunft haben.
Der Arbeitgeberverband kritisiert widersprüchliche Anreize: Zum einen sollen Arbeitnehmer*innen nach dem Renteneintrittsalter weiterarbeiten können, zum anderen können sie abschlagsfrei früher in Rente gehen, wenn sie langjährig versichert waren. Was sagen Sie dazu?
Das ist kein Widerspruch. Wer 45 Jahre versichert war, soll früher in Rente gehen können. Wer aber die Regelaltersgrenze erreicht hat und weiterarbeiten möchte, soll auch diese Möglichkeit bekommen. Die Regelaltersgrenze beträgt derzeit 66 Jahre und zwei Monate und steigt bis 2031 auf 67 Jahre. Wer weiterarbeitet, kann durch die Aktivrente 2.000 Euro pro Monat steuerfrei dazuverdienen. Niemand wird gezwungen, es entstehen Anreize für Arbeitnehmer*innen und Möglichkeiten für Arbeitgeber*innen.
Das Interview wurde schriftlich geführt.