Inland

Schüler erstellen Graphic Novel: Lottes Schicksal als Mahnung

24. December 2025 10:55:00

80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg haben Schüler*innen in Gelnhausen das Leben einer Jüdin in ihrer Heimatstadt recherchiert. Daraus ist eine Graphic Novel entstanden, die jungen Menschen heute etwas mitteilt.

Die Graphic Novel „Wo ist Lotte?“ zeichnet das Leben der jungen Jüdin Lotte Sondheimer nach.

Die Graphic Novel „Wo ist Lotte?“ zeichnet das Leben der jungen Jüdin Lotte Sondheimer nach.

Gelnhausen trug einst einen unrühmlichen Titel. Die hessische Kleinstadt mit ihren knapp 30.000 Einwohner*innen vor den Toren Frankfurts rühmte sich zur Zeit des Nationalsozialismus, als erste Stadt in Deutschland „judenfrei“ zu sein. Eine der aus der Stadt Vertriebenen war die Jüdin Lotte Sondheimer, 1907 in Gelnhausen geboren, später aus dem Internierungslager Gurs in Südfrankreich – in dem auch die Philosophin Hannah Arendt zeitweise interniert war, ehe sie fliehen konnte – nach Auschwitz deportiert und schließlich für tot erklärt.

„Die Sondheimers waren eine bekannte Familie, die Villa Sondheimer kennt jeder in Gelnhausen. Darüber wollte ich mehr erfahren“, sagt der 18-jährige Max Rümmele. Er ist einer von 24 Gymnasiast*innen aus Sondheimers Heimatstadt, die sich gut 80 Jahre später auf die Suche nach Spuren von Lotte Sondheimer gemacht haben. Die Schüler*innen des Grimmelshausen-Gymnasiums recherchierten über Monate in Zeitungen, Archiven und Bibliotheken, um das Leben der jungen Frau nachzuzeichnen. „Über Lottes Zeit in Paris haben wir die meisten Informationen gefunden, zum Beispiel ihre Studienbescheinigung und Abschlussarbeit“, sagt der 16-jährige Felix Ortmann.

Vertriebene jüdische Familie: Erstmals ein Foto entdeckt

So wurde beispielsweise, angestoßen durch die Recherchen der Jugendlichen, im Archiv des sprachwissenschaftlichen Instituts der Sorbonne in Paris erstmals ein Foto Sondheimers gefunden. Dort studierte sie in den 1930er Jahren und schrieb ihre Doktorarbeit über die deutsche Sprache.

Das Ergebnis der umfangreichen Recherchearbeit: die Graphic Novel „Wo ist Lotte?“, die Vergangenheit wieder sichtbar macht und die 80 Jahre nach Kriegsende sowie angesichts des Erstarkens rechtsextremer Parteien fast überall in Europa auch als Mahnung an junge Menschen heutzutage gesehen werden darf. Entstanden ist sie in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Hannah Brinkmann, die Sondheimers Weg stilvoll in Bilder übersetzt hat. Maßgeblich beteiligt an diesem Projekt war außerdem Arolsen Archives, die weltgrößte Sammlung von Schriftstücken zu Opfern des Nationalsozialismus im nordhessischen Bad Arolsen.

Aus der Geschichte lernen

Die Lehrerin Christine Bischoff, die sich für das Geschichtsprojekt an ihrer Schule starkgemacht und es begleitet hat, schreibt darüber in einem Beitrag: „Mich hat beeindruckt, mit welcher Energie die Jugendlichen zu Lotte Sondheimer, zur NS-Verfolgung und zu jüdischem Leben geforscht haben. Wir haben die Recherche als spannende Detektivarbeit erlebt, bei der sich Stück für Stück Puzzleteile zu einem Mosaik zusammensetzten.“

Damit verbunden sei die Reflexion der Schüler*innen gewesen, wie sie selbst in einer vergleichbaren Situation wohl gehandelt und ob sie den Mut gehabt hätten, gegen das Unrecht aufzustehen. So sagt die 16-jährige Maike Janssen: „Wir haben gelernt, noch genauer hinzuschauen. Denn ich finde es traurig, wie wenig manche Menschen aus der Geschichte gelernt haben. Sie ignorieren einfach, was passiert ist.“

Weitere Informationen gibt es unter arolsen-archives.org

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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