Geschichte

Hugo Sinzheimer: Der Vater des deutschen Arbeitsrechts und sein trauriger Tod

Seine Schriften prägten die Entstehung des Arbeitsrechts in der Weimarer Republik. Nach der „Machtergreifung“ der Nazis kam der Jurist und Sozialdemokrat Hugo Sinzheimer in „Schutzhaft“. Am 16. September 1945 starb er entkräftet nach mehr als drei Jahren im Untergrund.

von Klaus Wettig · 16. September 2025
Schwarz-weiß-Porträt von Hugo Sinzheimer

Hugo Sinzheimer: „Vater des Arbeitsrechts“ und jüdischer Sozialdemokrat

Als „Vater des Arbeitsrechts“ wird Hugo Sinzheimer häufig bezeichnet. Genauer betrachtet müsste ihm diese Ehrung gemeinsam mit Arthur Stadthagen (1857-1917) zugesprochen werden, der zunächst als einziger Jurist der SPD-Reichstagsfraktion in der Kaiserzeit die Last des sozialdemokratischen Kampfes gegen das arbeitnehmerfeindliche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) trug. Ein Arbeitsrecht existierte bis dahin nur rudimentär, geprägt von der Benachteiligung der Arbeitenden. Auch das BGB änderte daran wenig, trotz des Kampfes von Stadthagen. 

Hugo Sinzheimer: Der Erbe Arthur Stadthagens

Gegen diesen richtete sich in dieser Zeit die volle Wucht der monarchistischen-bürgerlichen Gesellschaft. Stadthagen wurde die Anwaltslizenz entzogen, seinen Lebensunterhalt bestritt er mit Vorträgen. Erst ab 1906 erhielt er die neu eingeführte Abgeordnetenentschädigung. Trotz heftiger antisemitischer Angriffe verteidigte er stets seinen Reichstagswahlkreis gegen die bürgerlichen Konkurrenten, die vor keiner antisemitischen Schmähung zurückschreckten. Durch Stadthagens Tod 1917 konnte dieser an der Entwicklung des Arbeitsrechts in der Weimarer Republik nicht mehr mitwirken. Sein Erbe wurde Hugo Sinzheimer.

Hugo Sinzheimer wurde am 11. April 1875 in Worms geboren. Er stammte aus einer wohlhabenden Unternehmerfamilie, sodass ihm der Gymnasialbesuch und das Studium der Rechtswissenschaften möglich waren. An der liberalen Universität Heidelberg wurde er zum Doktor der Rechte promoviert. Nach abgeschlossener juristischer Ausbildung richtete sich Sinzheimers Interesse nicht auf die Wissenschaft oder die öffentliche Verwaltung. Stattdessen gründete er eine Anwaltskanzlei im liberalen Frankfurt. Die materielle Lage seiner Familie erlaubte ihm einen prominenten Standort in der Goethe-
straße.

Vom Anwalt zum SPD-Politiker

Die strenge Verfolgung sozialdemokratischer Politik – Umtriebe genannt – im Königreich Preußen, zu dem Frankfurt am Main seit 1866 gehörte, ließen Sinzheimer offiziell Abstand zur SPD halten. Erst als 1914 mit Beginn des Ersten Weltkrieges infolge der „Burgfriedenspolitik“ der Sozialdemokrat*innen der Verfolgungsdruck der preußischen Behörden auf die SPD nachlässt, entschließt er sich zum Parteieintritt.

Mit der Novemberrevolution 1918 wird Hugo Sinzheimer provisorischer Polizeipräsident von Frankfurt am Main. Bald darauf stellt ihn die SPD für die Wahl der Nationalversammlung auf. Hier wird er zu einer prägenden Figur bei der Ausarbeitung der Weimarer Reichsverfassung (WRV). Die Wirtschafts- und Sozialartikel der WRV tragen seine Handschrift. Sein wichtigster Beitrag wird die Verankerung des Rätewesens im Artikel 165. Auf dem SPD-Parteitag 1919 verteidigt Sinzheimer diese Regelung.

Gefragter Schlichter in zahlreichen Tarifkonflikten

Die Weimarer Republik eröffnet ihm ein breites Arbeitsfeld: Sinzheimer erhält eine Professur für Arbeitsrecht und Rechtssoziologie der Universität Frankfurt. Die Akademie für Arbeit in der Mainmetropole verdankt ihm ihre Gründung. Sinzheimer engagiert sich im „Republikanischen Richterbund“ dessen justizkritische Zeitschrift „Die Justiz“ er mit dem sozialdemokratischen Rechtspolitiker Gustav Radbruch herausgibt. Als Schlichter ist Sinzheimer in zahlreichen Tarifkonflikten gefragt. Einen besonderen Beitrag leistet er in der vom sozialdemokratische ADGB berufenen Kommission, die ein Modell für eine „Wirtschaftsdemokratie“ ausarbeitet. Diese Überlegungen gehen in der Bundesrepublik in die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der SPD und der Gewerkschaften ein.

Daneben entfaltet Hugo Sinzheimer eine reiche Lehr- und Vortragstätigkeit und seine Schriften beeinflussen Gesetzgebung und Auslegung des sich in der Weimarer Republik zügig entwickelnden Arbeitsrechts. Einflussreich wird sein Lehrbuch „Grundzüge des Arbeitsrechts“ von 1921, das mehrere Auflagen erlebte.

Verfolgt von den Nationalsozialisten

Die „Machtergreifung“ 1933 unterbricht brutal die politische und wissenschaftliche Arbeit Hugo Sinzheimers. Schon im Februar 1933 wird der bekennende Jude und bekannte Sozialdemokrat in „Schutzhaft“ genommen. Weitere Verfolgung entzieht er sich durch die Flucht in die Niederlande, wo er sehr bald eine Professur für Rechtssoziologie erhält. Im Deutschen Reich verliert er die Lehrbefugnis im September 1933. Die Nazi-Politik gegen jüdische Staatsbürger führt 1937 dazu, dass ihm die Universität Heidelberg 1937 den Doktortitel aberkennt.

Hugo Sinzheimer zögert zu lange bei der Flucht nach England, sodass er 1940 nach der Besetzung der Niederlande durch die Wehrmacht erneut Verfolgungen ausgesetzt ist. Aus der Professur wird er entlassen. Nach mehrfachen Verhaftungen gelingt ihm ab 1942 ein Leben im Untergrund. Die Befreiung der Niederlande erlebt er noch, doch das Leben im Untergrund an wechselnden Orten hat ihn entkräftet. Hugo Sinzheimer stirbt am 16. September 1945.

Autor*in
Klaus Wettig

war von 1975 bis 1976 Politikberater für die sozialistische Partei im revolutionären Portugal. Als Mitglied des Europäischen Parlamentes war er Vorsitzender des Ausschusses für den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft.

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