Rente in Ostdeutschland: „Eine gerechte Lösung steht weiterhin aus“
35 Jahre nach der Wende ist formell auch die Einheit der Renten erreicht. Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales in Sachsen, sieht dennoch große Unterschiede zwischen Ost und West.
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Petra Kööping (SPD) ist seit 2019 Staatsministerin für Soziales in Sachsen.
Der Aufholprozess der Ostrenten ist seit diesem Jahr offiziell abgeschlossen, seit einigen Jahren gelten für Ost und West gleiche Rentenregeln und Rentenwerte. Müssen wir überhaupt noch von Ost- und Westrenten sprechen?
Ja, denn Renten im Osten und Westen sind weiterhin sehr unterschiedlich geprägt. Einerseits blicken viele Menschen in Ostdeutschland auf ein langes Erwerbsleben zurück. Anders als im Westen, wo ein traditionelles Familienbild dominierte, waren Frauen im Osten selbstverständlich berufstätig – auch mit kleinen Kindern. Der Staat brauchte die Arbeitskräfte, deswegen war das Betreuungssystem darauf abgestimmt. Frauenrenten im Osten sind heute deutlich höher als die Rente von Frauen im Westen.
Andererseits waren die Löhne im Osten nach der Wende deutlich niedriger. Die Arbeitslosigkeit war sehr hoch, in einzelnen Regionen von Sachsen bei bis zu 25 Prozent. Viele Menschen erlebten Brüche in ihren Karrieren und steckten, auch mit hoher Qualifikation, lange in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen fest. Das alles wirkt sich auf die heutigen Renten aus.
Die durchschnittlichen Altersrenten im Osten liegen heute über denen im Westen. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung lagen die Renten nach Abzug der Sozialbeiträge im Osten Ende 2024 bei 1.354 Euro und im Westen bei 1.105 Euro. Hat der Osten also aufgeholt?
Dass die Durchschnittsrente im Westen geringer ist, sagt nur bedingt etwas aus. Die kürzeren Erwerbsbiografien von Frauen im Westen senken den Schnitt, genauso wie die Tatsache, dass Berufsgruppen wie Beamte dort schon immer außerhalb der Rentenversicherung standen und in der Statistik fehlen.
„Die Menschen im Westen besitzen deutlich mehr private und betriebliche Vorsorge“
Vergleiche, die nur auf die gesetzliche Rente blicken, greifen zu kurz. Entscheidend ist, dass die Menschen im Westen deutlich mehr private und betriebliche Vorsorge besitzen. Das mittlere Vermögen ist im Westen rund viermal höher als im Osten. Viele Menschen verfügen über Kapitaleinkünfte oder Einnahmen aus Vermietung. Im Osten sind dagegen rund drei Viertel der Rentnerinnen und Rentner ausschließlich auf die gesetzliche Rente angewiesen. Die wenigsten können mit ausschließlich 1.354 Euro gut leben.
Die Bundesregierung plant eine umfassende Reform der Rente. Was erhoffen Sie sich?
Der Grundanspruch muss sein, mit einer Rente ein auskömmliches Leben führen zu können, im Osten wie im Westen. Ein Rentenniveau von 48 Prozent reicht dafür nicht aus, vor allem nicht in Großstädten, wo die Mieten hoch sind. Auf der Suche nach Lösungen sollten wir uns andere europäische Modelle anschauen. Ebenso sollten wir darüber sprechen, die Einnahmeseite der Rentenversicherung zu stärken, indem etwa auch Beamte und Selbstständige einzahlen.
Inwiefern sollte die zukünftige Rentenpolitik die Situation der Ostrentnerinnen und Ostrentner weiterhin berücksichtigen?
Eine gerechte Lösung steht weiterhin aus für die mehr als ein Dutzend Berufs- und Personengruppen, die ihre DDR-Zusatzrenten mit der Wende teils oder vollständig verloren haben, weil sie im bundesdeutschen System nicht anerkannt wurden. Dazu zählen Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn oder der DDR-Post.
„Der Frust wird von Generation zu Generation weitergegeben“
Geschiedene Frauen verloren ihren Anspruch auf Zusatzzahlungen, die ihnen in der DDR zustanden, und bekamen keinen Versorgungsausgleich wie im Westen. Ehemalige DDR-Bergleute haben heute monatlich mehrere Hundert Euro weniger auf ihrem Rentenzettel, weil ihre Bergmannsrente mit der Wende ersatzlos wegfiel. Das vergessen die Menschen nicht, der Frust wird von Generation zu Generation weitergeben und hat Einfluss auf das Wahlverhalten.
Wie könnte eine gerechte Lösung aussehen?
Mit dem Härtefallfonds wurde ein kleiner Teil von ihnen entschädigt, allerdings nur geringfügig, und längst nicht alle Berufsgruppen haben profitiert. Die Betroffenen wollen gesehen werden, sie verlangen keine Nachzahlung, sondern eine Wiedergutmachung. Da müssen wir eine Lösung finden.
Als SPD sind wir der Anwalt der Menschen, die Stabilität brauchen, das gilt für die Rentnerinnen und Rentner von heute und die von morgen. Junge Menschen sind heute überzeugt davon, keine Rentenstabilität zu bekommen. Es ist unsere Aufgabe, ihnen diese Angst zu nehmen. Ich habe großes Vertrauen in die Rentenkommission, die sich dieser Aufgabe annimmt.
FAQ: Rentenangleichung zwischen Ost und West
Wie war die Situation nach der Wiedervereinigung? Das Niveau der Renten im Osten lag im Vergleich zum Westniveau bei knapp 40 Prozent, weil die Löhne deutlich geringer waren. Private oder betriebliche Renten gab es kaum.
Was ist der Ost-Rentenwert? Nach Überführung in das westdeutsche Rentensystem existierte neben dem West-Rentenwert der wesentlich niedrigere Ost-Rentenwert. Der Rentenwert ergibt, multipliziert mit den Rentenpunkten, den Anspruch auf die Rente. Über einen Hochrechnungsfaktor wurden die niedrigeren Löhne im Osten teilweise ausgeglichen: Bei gleicher Beitragszahlung führte der Faktor im Osten zu einem etwas höheren Rentenanspruch als im Westen.
Wie funktioniert die Rentenüberleitung? 2017 wurde beschlossen, den Ost-Rentenwert jährlich anzuheben, bis er den Westwert erreicht hat. Seit Juli 2023 ist der Rentenwert bundesweit gleich.
Wie ist die Situation heute? Für einen Vergleich zwischen Ost und West sind die durchschnittlichen Renten nach 35 Versicherungsjahren, die kürzere Erwerbsbiografien ausblenden, aussagekräftiger als die Durchschnittsrenten insgesamt. Sie lagen Ende 2024 im Westen bei 1.534 Euro und im Osten bei 1.422 Euro (nach Abzug der Sozialbeiträge). Mit dem Härtefallfonds wurden laut Stiftung Härtefallfonds rund 2.700 Rentnerinnen und Rentner mit DDR-Ansprüchen über Einmalzahlungen von 2.500 bis 5.000 Euro entschädigt.