Parteileben

Was die SPD Frauen im Bundestag voranbringen wollen

Die Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge ist neue Co-Chefin der SPD Frauen. Auch im Parlament will sie Frauenrechte stärken. Das dürfte eine Herausforderung werden, denn im Koalitionsvertrag seien gleichstellungspolitische Vorhaben „überschaubar“, wie Co-Vorsitzende Ulrike Haefner sagt.

von Vera Rosigkeit · 24. November 2025
Plakat mit der Aufschrift: Mind the Gap und Freunzeichen

Wir als SPD-Frauen im Parlament werden liefern bei Gewaltschutz, digitaler Gewalt, reproduktiver Selbstbestimmung und auch Parität, sagt die neue Co-Vorsitzende Carmen Wegge

Frau Haefner, Sie sind schon seit einigen Jahren Co-Chefin der Arbeitsgemeinschaft SPD FRAUEN. Was kommt auf Carmen Wegge als ihre neue Partnerin im Amt zu?

Ulrike Haefner: Es ist für die SPD FRAUEN grandios, dass, in der Nachfolge der fantastischen Maria Noichl, eine frauenpolitisch profilierte Politikerin und Bundestagsabgeordnete den Staffelstab übernommen hat. Gerade rechtspolitische Fragen, beispielsweise zur Wahlrechtsreform und Parität oder den elenden Paragrafen 218 StGB loszuwerden und das Gewaltschutzgesetz, sind brandaktuell. Die Erwartungen sind entsprechend hoch, zumal wir in den letzten Jahren keine Möglichkeiten hatten, uns prospektiv an die Themen des Bundestags und der SPD-Fraktion zu beteiligen. 

So manches Mal konnten wir den für Frauen relevante Debatten und sich anbahnenden Entscheidungen nur hinterherlaufen, statt mit konzertierten Aktionen unsere Forderungen und Ansprüche sichtbar zu vertreten. Ich bin sicher nicht die Einzige, die sich von Carmen Wegge erhofft, dass die SPD FRAUEN noch sichtbarer werden und wir kraftvolle Allianzen schmieden, die den Frauen bundesweit zugutekommen und künftig auch das Gesicht der SPD nicht mehr so männlich gelesen wird.

Frau Wegge, welche inhaltlichen Schwerpunkte wollen Sie als neue Co-Vorsitzende der größten Arbeitsgemeinschaft der SPD setzen?

Carmen Wegge: Ich will drei Dinge voranbringen. Erstens echte Sicherheit für Frauen. Dazu gehören ein verlässlicher Zugang zu Schutz und Beratung, klare Standards für Frauenhäuser, konsequente Umsetzung der Istanbul Konvention und wirksamer Schutz vor digitaler Gewalt sowie vor erheblicher verbaler sexueller Belästigung. Zweitens ökonomische Unabhängigkeit. Wir brauchen gleiche Bezahlung, starke Tarifbindung, mehr Entgelttransparenz, eine gute Infrastruktur für Care von der Kita bis zur Pflege und eine moderne Familienarbeitszeit. Drittens gleiche Macht. Das heißt Parität in Parlamenten und Parteien, mehr Frauen in Führungspositionen und klare Regeln gegen Sexismus in Politik und Verwaltung.

Carmen Wegge

ist Sprecherin für Recht und Verbraucherschutz in der SPD-Bundestagsfraktion und Sprecherin der Parlamentarischen Linken. Seit dem 15 November ist sie Co-Chefin der Arbeitsgemeinschaft SPD Frauen

SPD-Abgeordnete Carmen Wegge: Der Verfassungsschutz bestätigt jetzt etwas, das wir im Parlament schon lange sehen konnten.

Wie bewerten Sie den Koalitionsvertrag und die Arbeit der Bundesregierung aus feministischer Sicht? 

Carmen Wegge: Wir haben uns mit der Union darauf einigen können, den Schutz vor Gewalt in allen Formen und Nachstellung deutlich zu erhöhen. Außerdem bereiten wir – was ein riesiger Erfolg von uns als SPD ist - eine Regelung vor, die erhebliche verbale sexuelle Belästigung (Catcalling) rechtssicher und klar erfasst. Auch das Thema Femizid als Mordmerkmal konnten wir platzieren. 

Was gerade eine große Herausforderung darstellt und wo wir noch immer an vielen Stellen auf taube Ohren bei unserem Koalitionspartner stoßen, ist die Absicherung reproduktiver Gesundheit und einer verlässlichen Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen – und das trotz der Einigung im Koalitionsvertrag. Darüber hinaus sehen wir dringenden Handlungsbedarf in der Schließung von Lohnlücken durch endlich mehr Transparenz und bessere Durchsetzung von Rechten, stärkerer Tarifbindung und Erleichterungen des Wegs in gute Arbeit. Bezahlbares Wohnen bleibt weiter auch zentral, denn hohe Mieten treffen vor allem Alleinerziehende und Frauen mit kleinen Einkommen besonders. Kurz gesagt: Wir müssen Schutzlücken schließen, wirtschaftliche Sicherheit stärken und gleiche Teilhabe für alle sichern.

Ulrike Haefner: Demokratie ist nie ohne Gleichstellung zu denken. Sie ist immer Teil der Lösung. Dass die ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie fortgeführt werden soll, finden wir immens wichtig und das richtige Signal. Die im Koalitionsvertrag genannten frauen- und gleichstellungspolitischen Vorhaben sind jedoch überschaubar. 

Gleichstellung ist zwar als Leitprinzip benannt, doch nicht verankert. Wir hatten uns mehr erhofft. Denn Geschlechtergerechtigkeit kann nicht auf bessere Zeiten warten. Als eigenständige Arbeitsgemeinschaft gehört es zu unseren Aufgaben, zur politischen Willensbildung beizutragen und dabei die Bundespolitik kritisch zu begleiten. Wir sind nicht dazu da, die Loyalitäten mit dem Regierungshandeln zu sichern, sondern Themen, Positionierungen und Vorschläge in die Gesamtpartie einzubringen.

Folge 16 - mit Ulrike Häfner
SPDings – der „vorwärts“-Podcast

SPDings – der „vorwärts“-Podcast, Folge 16 mit Ulrike Häfner

Ulrike Häfner ist Co-Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) und Vizepräsidentin des Frauenfußball-Bundesligisten FFC Turbine Potsdam. In der aktuellen Podcast-Folge erzählt sie, wie beides zusammen passt und warum sie sich gerne mit dem Kanzler unterhält.

Verfügbar auf: Spotify radiopublic Pocket Casts Google Podcasts

Wie lassen sich frauenpolitische Themen in der schwarz-roten Regierung voranbringen?

Carmen Wegge: Frauenpolitik wird in dieser Legislatur vor allem im sozialdemokratisch geführten Justizministerium gemacht. Es freut mich, dass Stefanie Hubig als unsere Ministerin hier seit ihrem Amtsantritt klar gemacht hat, dass der Gewaltschutz für sie und auch für uns als Sozialdemokratie in dieser Wahlperiode höchste Priorität hat. Wir als SPD-Frauen im Parlament werden liefern bei Gewaltschutz, digitaler Gewalt, reproduktiver Selbstbestimmung und auch Parität.

Und ja, ich erwarte so ein engagiertes Arbeiten für die Frauen auch von anderen Ressorts. Bei Frau Prien als neue Frauenministerin sehe ich das allerdings noch nicht: Ich erlebe vor allem viel Debatte über Bildung oder über Kulturkampfthemen, aber wenig greifbare Frauenpolitik aus ihrem Ministerium. Ich hoffe, dass man sich dort seiner Verantwortung noch bewusst wird. Parallel werden wir im Parlament dafür sorgen, dass die engagierten Vorhaben aus dem Justizressort zügig kommen und dann im parlamentarischen Verfahren auch schnell umgesetzt werden.

Ulrike Haefner: Dass das Frauenministerium nicht mehr SPD-geführt wird, war und ist für uns hart. Wir sind Teil der institutionalisierten Frauenbewegung und haben ein wichtiges Gegenüber verloren. Auch im Bundestag sitzen zu wenig Frauen, um eine machtpolitisch relevante feministische Gemeinschaft zu bilden. Gleichzeitig sind wir mit gefährlichen antifeministischen, sexistischen und anti-genderistischen Angriffen konfrontiert. 

Frauenrechte stehen unter Druck. Die traditionelle Geschlechterordnung scheint wieder attraktiv zu werden, obgleich sie nachweislich zur Exklusion von Frauen aus der Erwerbsarbeit, der politischen Mitbestimmung und universitärer Wissensproduktion führt. Männliche Übergriffe auf den weiblichen Körper und Gewalt gegen Frauen nehmen zu. Bei aller kluger Rechtsprechung und dem Engagement im Justizressort – das allein wird Femizide kaum verhindern. Wir brauchen neben Sanktionen und strukturellen Veränderungen endlich eine gesellschaftlich spürbare Ächtung von Männergewalt. Unsere wichtigste Aufgabe besteht darin, uns mit aller Kraft dem erstarkenden Antifeminismus entgegenzustemmen und das Unrechtsbewusstsein von Frauen und Männern zu schärfen. Dafür schaffen wir kraftvolle Bündnisse und organisieren die kritische Öffentlichkeit.

Ulrike

Haefner

Wir SPD FRAUEN wünschen uns ein feministisches Grundsatzprogramm. Alles andere wäre indiskutabel.

Wie sieht es innerhalb der eigenen Partei aus? Werden hier Frauen und ihre Themen ausreichend debattiert?

Carmen Wegge: Nein, es reicht nicht. Frauen und ihre Themen sind sichtbarer, aber Gleichstellung ist noch immer zu oft ein Extra. Und ja, auch in unserer eigenen Partei müssen wir uns da öfter an die eigene Nase fassen. Für mich gilt der Satz aus dem alten Grundsatzprogramm noch immer: wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden. Ich selbst sitze im Programmrat zum Grundsatzprogramm. Wir wollen, dass in jedem Themenbereich die Perspektive von Frauen auftaucht. Denn wir sind kein „nice to have“. Wir sind die Hälfte der Gesellschaft. Wer uns Frauen nicht anspricht, kann keine Volkspartei sein. Frauen wählen demokratisch, Frauen wählen sozial. Frauen müssten SPD wählen. Im Grundsatzprogramm müssen wir deshalb auch die Zukunft von Frauen in der Gesellschaft klar zeichnen. 

Ulrike Haefner: Wir SPD FRAUEN wünschen uns ein feministisches Grundsatzprogramm. Alles andere wäre indiskutabel.

 

Dieses Interview wurde schriftlich geführt.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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