Inland

Mehr Geld, mehr Urlaub: Was ein Tariftreuegesetz bewirkt – und was nicht

Beschäftigte mit Tarifvertrag verdienen mehr Geld und haben mehr Rechte. Das Kabinett hat am heutigen Mittwoch ein Tariftreuegesetz für den Bund auf den Weg gebracht. Wie es funktioniert und was es bewirken kann, erklären wir hier.

von Vera Rosigkeit · 6. August 2025
Symbolfoto mit Tariftreue und Mindestlohn

Wer künftig staatliche Aufträge ab 50.000 Euro erhalten will, muss gerechte Löhne zahlen und Tarifstandards einhalten. So regelt es das neue Tariftreuegesetz

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert schon lange eine Tarifwende. Die Rahmenbedingungen für mehr Tarifbindung sollen gestärkt werden. Am heutigen Mittwoch hat das Kabinett nun den von Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) und Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) vorgelegten Entwurf für ein Tariftreuegesetz auf den Weg gebracht. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was ist ein Tariftreuegesetz?

Ein Tariftreuegesetz war bereits im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vereinbart, konnte aber aufgrund des frühzeitigen Aus der Koalition im vergangenen Herbst nicht mehr umgesetzt werden. In der neuen Koalition mit der Union hat sich die SPD erneut zum Ziel gesetzt, die Tarifautonomie, die Tarifpartner und die Tarifbindung zu stärken. So stand es auch im Programm der Sozialdemokrat*innen für die Bundestagswahl.

Dazu soll „wer Vergaben des Bundes ausführt, künftig seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tariflich entlohnen“, erklärte Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas am Mittwoch im Anschluss an die Kabinettssitzung in Berlin. Gerade in Zeiten großer öffentlicher Investitionen sei das ein wichtiges Signal, betonte sie. „Das Tariftreuegesetz sorgt für fairen Wettbewerb, schützt gute Arbeitsbedingungen und stärkt die Tarifbindung.“ Wer künftig staatliche Aufträge ab einem Wert von 50.000 Euro erhalten will, muss seine Beschäftigten nach Tarif bezahlen. Tarifverträge seien das Rückgrat guter Arbeitsbedingungen, garantierten faire Löhne und soziale Sicherheit, so die Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dagmar Schmidt.

Wo gibt es Tariftreuegesetze bereits?

In nahezu allen Bundesländern, ausgenommen in Bayern und Sachsen, gibt es gesetzliche Regelungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge, die von den jeweiligen Ländern ausgeschrieben werden. Für Ausschreibungen, die aus der Kasse des Bundes finanziert werden, gibt es eine solche Regel bislang nicht. 

Die Gesetze der Länder unterscheiden sich in ihren Vorschriften, zum Beispiel in der Höhe des Auftragswertes, ab dem die Regelung greift. Beispiel Bremen: Ein sogenanntes Tariftreue- und Vergabegesetz wurde hier bereits 2002 eingeführt, galt zunächst allerdings nur für das Baugewerbe und den öffentlichen Personennahverkehr. Geregelt wurde damit, dass öffentliche Aufträge nur an tariftreue Unternehmen vergeben werden dürfen. Seit 2023 werden in Bremen nun bei allen öffentlichen Bau- und Dienstleistungsaufträgen die Betriebe zur Zahlung von Tariflöhnen verpflichtet. 

Zweites Beispiel Saarland: Hier wurde 2021 ein Tariftreuegesetz eingeführt, „Fairer-Lohn-Gesetz“ genannt. Für die damals dort amtierende SPD-Wirtschaftsministerin und heutige Ministerpräsidentin Anke Rehlinger eine „kluge Erfindung“. Nach dem Beschluss des SPD-Parteivorstands zur Stärkung der Tarifbindung im Februar 2022 erklärte sie in einer Pressekonferenz: „Die öffentliche Hand kommt damit ihrem Vorbildcharakter nach und macht deutlich, dass mit Steuergeldern nur gute Arbeit finanziert wird.“

Was regelt ein Tarifvertrag?

Verhandelt und abgeschlossen wird ein Tarifvertrag zwischen Arbeitgeber*innen und Gewerkschaften. Darin geregelt werden Arbeitsbedingungen wie Lohn bzw. Gehalt, Sonderzahlungen, Arbeitszeit und Urlaubsanspruch. Diese Regelungen gehen zumeist über gesetzliche Mindeststandards hinaus. So weist der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) darauf hin, dass gesetzlich (laut Bundesurlaubsgesetz) ein Mindestanspruch von 24 Werktagen bezahltem Erholungsurlaub festgelegt ist, während ein tarifvertraglich geregelter Urlaubsanspruch meist 30 Tage umfasst.

Liegen tarifvertraglich geregelte Arbeitszeiten je nach Branche zwischen 35 und 40 Wochenstunden, ist gesetzlich eine Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden möglich. Für Weihnachts- oder Urlaubsgeld gibt es gar keine gesetzlichen Vorgaben, sie werden ausschließlich in Tarifverträgen festgelegt. Dass Gewerkschaften und Arbeitgeber*innen Tarifverträge eigenständig aushandeln (sogenannte Tarifautonomie), wurde 1949 mit dem Tarifvertragsgesetz geregelt. 

Welche Vorteile hat ein Tarifvertrag für Arbeitnehmer*innen?

Aus den oben genannten Beispielen wird ersichtlich, dass ein Tarifvertrag deutliche Vorteile für Beschäftigte hat. Zahlen unterstreichen die Vorteile: So bekommen laut einer Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes (Sonderauswertung für den DGB, Stand: April 2022) Beschäftigte, die in einem Betrieb mit Tarifvertrag arbeiten, pro Monat im Durchschnitt 844 Euro brutto mehr als Arbeitnehmer*innen, die ohne Tarifvertrag arbeiten. Auch eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung belegt, dass Betriebe mit Tarifvertrag deutliche bessere Arbeitsbedingungen als vergleichbare Betriebe ohne Tarifbindung bieten. Danach arbeiten Vollzeitbeschäftigte in tariflosen Betrieben wöchentlich rund 54 Minuten länger und verdienen trotzdem elf Prozent weniger.

Wie hat sich die Tarifbindung in Deutschland entwickelt?

Waren laut WSI im Jahr 2000 noch 44 Prozent der Betriebe und 68 Prozent der Beschäftigten in Tarifbindung, sank die Zahl der tarifgebundenen Betriebe bis 2022 auf 24 Prozent. Nur noch 51 Prozent der Beschäftigten arbeiteten mit Tarifvertrag.

Welche Nachteile hat eine abnehmende Tarifbindung? 

Der deutliche Rückgang der Tarifbindung bringt Nachteile nicht nur für Beschäftigte (geringerer Lohn, weniger Freizeit) mit sich. Er wirkt sich auch negativ auf die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten aus und verringert die Einnahmen von Sozialversicherungen wie Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung sowie der öffentlichen Hand.

Wie kann Tarifbindung die Demokratie stärken?

Für die Gewerkschaften ist das Tarifvertragsgesetz von 1949 ein Meilenstein der deutschen Demokratie. Es regelt grundsätzlich, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber*innen Tarifverträge eigenständig aushandeln und damit die Demokratie in den Betrieben verankert und die Tarifautonomie zum Grundstein der deutschen Arbeitswelt macht. Dass Tarifverträge und Sozialpartnerschaft über Arbeitsbeziehungen hinaus eine wichtige Funktion für die Demokratie haben, besonders in Krisenzeiten, betonte zuletzt der ehemalige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf der Veranstaltung 75 Jahre Tarifvertragsgesetz im April 2024 in Berlin.

Autor*in
Avatar
Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

Weitere interessante Rubriken entdecken

Noch keine Kommentare
Schreibe einen Kommentar

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.