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SPD-Fraktion auf Tour: Weil Bayern mehr als München ist

Anders als sonst trifft sich die bayerische SPD-Fraktion nicht zu ihrer Klausur im Landtag, sondern ist vier Tage lang mit einem Reisebus in allen sieben Bezirken des Freistaates unterwegs. Um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und einen Rechen zu überreichen.

von Jonas Jordan · 25. September 2025
Verleihung des „Frankenrechens“ der SPD-Landtagsfraktion durch den Vorsitzenden Holger Grießhammer (Mitte) an die Kabarettisten Volker Heißmann (l.) und Martin Rassau

Verleihung des „Frankenrechens“ der SPD-Landtagsfraktion durch den Vorsitzenden Holger Grießhammer (Mitte) an die Kabarettisten Volker Heißmann (l.) und Martin Rassau

Eigentlich soll Holger Grießhammer an diesem Abend einen Preis verleihen. Und doch ist es eine Ehre, die ihm zuteil wird, als der Kabarettist Volker Heißmann über das politische Wirken des bayerischen SPD-Landtagsfraktionsvorsitzenden sagt: „Holger, des bassd scho‘!“ Ein größeres Kompliment könne es für einen Franken gar nicht geben, fügt er an. Grießhammer, selbstständiger Malermeister und fünffacher Familienvater, kann in jüngster Zeit auf eine steile politische Karriere zurückblicken. Nach eineinhalb Jahrzehnten in der Kommunalpolitik zog der 42-Jährige im Herbst 2023 erstmals in den bayerischen Landtag ein. Wenige Monate später übernahm er den Fraktionsvorsitz, sorgte für Einigkeit und führte nun ein Novum ein.

Wo die SPD in Bayern regiert

Statt wie üblich hinter verschlossenen Türen im Landtag trifft sich die 17-köpfige SPD-Fraktion in dieser Woche in einem Reisebus zu ihrer Fraktionsklausur und tourt vier Tage lang durch ganz Bayern. Während seit Samstag Tourist*innen aus aller Welt nach München zum Oktoberfest strömen, brachen die Genoss*innen am Montagmorgen aus der Landeshauptstadt auf, um alle sieben Bezirke des Freistaates zu besuchen. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) schickte sie um kurz nach 8 Uhr auf dem Marienplatz auf die Reise.

Auffällig mit Blick auf den Tourplan: Mit Ausnahme der Landeshauptstadt bereisen die Sozialdemokrat*innen eher kleinere Orte. Statt Augsburg, Nürnberg, Regensburg oder Passau stehen Friedberg, Roth, Neustadt an der Waldnaab oder Neufahrn auf dem Programm. Sie alle eint: Hier regiert die SPD. „Wir sind in den Kommunen noch erfolgreich bei der Bayern SPD. Diesen Erfolg wollen wir gerne verteidigen. Denn die Bayern SPD ist dort am besten, wo wir direkt mit den Menschen in Kontakt stehen“, macht die Landesvorsitzende Ronja Endres im Gespräch mit dem „vorwärts“ deutlich.

Mittagessen im Reisebus

Deswegen stehen neben Besuchen in Unternehmen, sozialen Einrichtungen und sozialdemokratisch regierten Rathäusern auch jede Menge Infostände auf dem Programm. Zum Beispiel in Schweinfurt, wo sich Menschen auf dem Weg in die Mittagspause über die außergewöhnliche Präsenz der SPD wundern. Am Stand können sie an einem Glücksrad drehen oder mit Abgeordneten ins Gespräch kommen. Die derzeit größte Sorge in der Industriestadt: Arbeitsplatzverlust. 6.000 Stellen stehen in Schweinfurt auf der Kippe. Allein bei Schaeffler werden 590 Stellen sicher abgebaut, etwa 100 sollen neu entstehen. Auch darum geht es beim Unternehmensbesuch der Abgeordneten.

Pünktlich um 14 Uhr sind alle wieder zurück am Schillerplatz. Der Bus startet aus Unterfranken nach Oberfranken. Die Reise gleicht zwischenzeitlich einer Klassenfahrt. Manche telefonieren, andere unterhalten sich, scherzen, machen ein Nickerchen oder schminken sich. Einer fragt kurz nach dem Frühstück schon nach dem Mittagessen. An diesem Tag gibt es wahlweise Gnocchi oder Kichererbsen mit Reis aus Plastikverpackungen mit Einwegbesteck im Bus. Das ist nicht schön, aber praktisch.

Brauerei-Besuch in Kulmbach

Die SPD-Landtagsabgeordneten mit ihrer Landesvorsitzenden Ronja Endres (2.v.l.) und Braumeister Martin Sack (r.): Doris Rauscher, Ruth Müller, Martina Fehlner, Christiane Feichtmeier und Harry Scheuenstuhl

Die SPD-Landtagsfraktion beim Brauereibesuch in Kulmbach

Denn um 16 Uhr wartet schon der nächste Stopp: Kulmbach, bekannt für seine Braukunst. Entsprechend schwärmt eine Gruppe in die Kulmbacher Brauerei aus, probiert sich durch Weihnachtsbier und Pils. Für Ronja Endres keine Neuigkeit. „Ich habe schon in meiner Ausbildung Bier gebraut“, erzählt die gelernte Chemielaborantin. Natürlich sind die Dimensionen hier um einiges größer. Braumeister Martin Sack berichtet aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung, während er die großen Braukessel zeigt. Generalsekretärin Ruth Müller wirft stolz ein, dass das ohne den Hopfen aus ihrer Heimat, der Hollertau, nicht möglich wäre. 86 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Hopfens werden dort produziert. Gemeinsam mit Malz, Wasser und Hefe steckt in der richtigen Mischung das Geheimnis eines jeden Bieres.

Frankenrechen für „Waltraud und Mariechen“

Wie das Bier zu Kulmbach gehören Martin Heißmann und Volker Rassau zu Franken. Die beiden Kabarettisten sind seit mehr als drei Jahrzehnten gemeinsam auf Bühnen unterwegs und vor allem in ihren Paraderollen als fränkische Witwen „Waltraud und Mariechen“ in der fränkischen Fastnacht berühmt geworden. Doch nicht nur dafür, sondern auch für ihr großes soziales Engagement verleiht die SPD-Landtagsfraktion den beiden am Dienstagabend den „Frankenrechen“. Der Andrang für die Feierstunde ist groß. „Wir mussten gerade noch Stühle reintragen. Das passiert bei der SPD nicht so oft“, sagt Grießhammer während seiner Begrüßung.

Für ihn ist die Veranstaltung auf der altehrwürdigen Kulmbacher Plassenburg ein Heimspiel. Sein Heimatort ist nur gut 30 Kilometer entfernt. Oberbürgermeister Ingo Lehmann ist ein Genosse, genau wie seine Vorgängerin Inge Aures, die Heißmann und Rassau liebevoll aufs Korn nehmen. Man kennt sich in Franken. Entsprechend will auch beinahe jeder der 150 Gäste noch ein Foto mit den beiden Kabarettisten und ihrem frisch verliehenen Rechen, eigens von einem lokalen Unternehmen von Hand geschmiedet.

Infostand in Weiden in der Oberpfalz

Insgesamt acht Infostände stehen während der viertägigen Tour auf dem Programm, um wie hier im oberpfälzischen Weiden mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen.

SPD-Infostand im oberpfälzischen Weiden

Am nächsten Morgen rollt der Bus aus Oberfranken weiter in die Oberpfalz, wo es die SPD schon länger schwer hat. Inzwischen ist sie dort jedoch nur noch mit einer Abgeordneten im Landtag vertreten. Nicole Bäumler erwartet den Bus gemeinsam mit einem Kamerateam des Bayerischen Rundfunks auf dem Oberen Markt. Dort angekommen, beginnt die geübte Praxis. Ein Teil bleibt am Infostand, der Rest schwärmt mit Kleinbussen aus. Es geht zu einer Mittelschule und ins benachbarte Neustadt an der Waldnaab, nur 30 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt. Die Stadt ist einst durch die Glasindustrie groß geworden. 

Bitte an den Bürgermeister: „Macht eine Petition!“

Heute gibt es in der Nähe des Marktplatzes viel Leerstand. Ein weiteres Problem ist der soziale Wohnungsbau, wie SPD-Bürgermeister Sebastian Giering berichtet. Ein Teil des Bestands ist veraltet und müsste dringend saniert werden. „Es ist alles bereit, aber wir bekommen keine Fördergelder“, klagt Giering. Der SPD-Landtagsabgeordnete Horst Arnold echauffiert sich über CSU-Bauminister Christian Bernreiter. Dessen Hinhaltetaktik gegenüber den Kommunen sei „Sozialzynismus“. Arnolds Fraktionskollegin Sabine Gross rät Giering: „Ich möchte euch bitten: Macht eine Petition an den Bauausschuss! Da schreibt ihr alles rein. Nur so kriegen wir Öffentlichkeit.“

Es wird deutlich: Bezahlbarer Wohnraum ist nicht nur im Großraum München ein Thema, wenngleich mit anderen Vorzeichen. Die gemeinnützige städtische Wohnungsbaugesellschaft in der oberpfälzischen Stadt vermietet ihre 326 Wohnungen für durchschnittlich 4 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. In der Landeshauptstadt, wo die viertägige Fraktionsklausurtour am Donnerstagnachmittag endet, ist es inzwischen ein Vielfaches.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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