So bringt der Sozialdemokrat Milad Tabesch jungen Leuten Europa näher
Milad Tabesch (28) ist nach dem Studium in Berlin und New York ist in seine Heimat zurückgekehrt. Hier hat der Sozialdemokrat die Initiative „Ruhrpott für Europa“ aufgebaut – eine Erfolgsgeschichte. Doch er hat noch mehr vor. Ein Porträt.
Uta Wagner
Im Ruhrgebiet verwurzelt: Nach seinen Studienjahren will Milad Tabesch jungen Leuten in seiner Heimat die EU näherbringen.
Als er von New York erzählt, hören sie aufmerksam zu und machen große Augen. Eigentlich ist Milad Tabesch einer von ihnen, trotz aller Lokalscharmützel. Denn seine Aussage „Langendreer ist deutlich stabiler als Querenburg“ kommt bei den 13 Schülerinnen und Schülern einer Oberstufenklasse an der Erich-Kästner-Schule im Bochumer Stadtteil Querenburg erst einmal nicht so gut an.
Tabesch ist im Bochumer Stadtteil Langendreer aufgewachsen. Nach dem Studium in Osnabrück, Berlin und New York ist er zurück in seiner Heimatstadt. An einem Freitagmittag Mitte März kurz vor 13 Uhr sitzt er im Stuhlkreis, stellt sich der Klasse vor und erklärt, was sie in den folgenden zwei Stunden vorhaben. „Das Ziel ist, über Politik zu reden. Der Grund, warum ich in Bochum und nicht in Kabul geboren bin, ist Politik“, sagt der Sohn von aus Afghanistan geflüchteten Eltern. Der Grund, warum er aus den USA ins Ruhrgebiet zurückgekehrt ist, hat ebenfalls mit Politik zu tun. „Nach einer Vorlesung in New York habe ich mich gefragt, wie ich meine Stärken mit dem, was ich gerade gehört habe, in Einklang bringen kann. Für mich war klar, dass ich dorthin zurück muss, wo ich verwurzelt bin, ins Ruhrgebiet“, sagt Tabesch im Gespräch mit dem „vorwärts“. Noch von New York aus nahm er Kontakt mit der Organisation „JoinPolitics“ auf, die ihn in seinem Vorhaben unterstützte, der Gründung seiner eigenen Initiative „Ruhrpott für Europa“.
Mehr als 50 Schulen seit 2023
Anstoß dafür ist neben dem inhaltlichen Input zunächst die Europawahl im Juni 2024, bei der in Deutschland erstmals auch 16- und 17-Jährige wahlberechtigt sind. Tabeschs Vision: den Jugendlichen in seiner Heimatregion die Europäische Union näherzubringen. Für ihn ist das Ruhrgebiet ebenso traditionsreich, vielfältig und von der wirtschaftspolitischen Transformation betroffen wie die gesamte EU. Einst als Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl gegründet, ist sie heute viel mehr als das. Auch das Ruhrgebiet prägten einst Kohle und Stahl. Schon Herbert Grönemeyer sang einst über den „Pulsschlag aus Stahl“ in Bochum.
Dort will Tabesch an diesem Tag den 13 Jugendlichen der freiwilligen Projektklasse die EU näherbringen, so wie er und andere Aktivistinnen und Aktivisten von „Ruhrpott für Europa“ es bereits an 50 weiteren Schulen im gesamten Ruhrgebiet in den vergangenen zwei Jahren getan haben. Während er im Stuhlkreis sitzt und sich vorstellt, kümmern sich Selvican Sahin und Romance Bassingha hinter ihm um die Technik. Sie sind 21 beziehungsweise 19 Jahre alt und ebenfalls Teil von „Ruhrpott für Europa“. Bassingha hat selbst vor einem Dreivierteljahr an dieser Schule ihr Abi gemacht und weiß noch, welche Lehrer „cool“ sind.
Von der Heimat enttäuscht
Derweil ist die Lehrerin dieser Klasse zwar sehr neugierig, muss aber vor der Tür bleiben. Das ist Teil des Konzepts. Es soll ein geschützter Raum entstehen, in dem die Schülerinnen und Schüler offen über Politik reden können. Sie verbinden damit Ungerechtigkeit, Doppelmoral, schwere Zeiten. Nicht die positivsten Assoziationen. Ein Schüler meint, der Rechtsruck höre erst auf, wenn man ihn zwinge aufzuhören.
Dieses Thema besorgt auch Tabesch. „Ich bin von meiner Heimat enttäuscht“, sagt er mit Blick auf das starke Abschneiden der AfD im Ruhrgebiet bei der Bundestagswahl. In Gelsenkirchen erhielt die in Teilen rechtsextreme Partei die meisten Zweitstimmen.
Für Tabesch, der sich innerhalb der SPD unter anderem im Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt engagiert, ist das Ansporn, weiterzumachen. „Ruhrpott für Europa“ ist seit der Gründung so stark gewachsen, dass Tabesch inzwischen von seinem Engagement leben kann. Finanziell ermöglicht wird das unter anderem durch Zuwendungen der Stadtwerke Bochum, des Landes Nordrhein-Westfalen, aber auch von Unternehmen wie dem Eis-Hersteller Ben & Jerry’s.
Ab Mai mit eigenem Büro
Ab Mai folgt ein weiterer Schritt. Dann soll nur wenige Minuten von dem Stadtteil, in dem Tabesch aufgewachsen ist, das Fritz-Bauer-Forum eröffnet werden. Ein Ort des offenen Austauschs, benannt nach dem früheren sozialdemokratischen Juristen. Tabesch soll die Eröffnungsrede halten. Bis dahin ist auf dem Gelände noch viel zu tun. Der Stolz ist ihm dennoch anzumerken, als er über die Baustelle läuft und von dem Projekt erzählt. Die Bibliothek in einer ehemaligen Trauerhalle ist schon fertig. Lichtdurchflutet, warm, freundlich, einladend, auch wenn noch einige Regale Lücken aufweisen.
Im Hauptgebäude wird künftig auch Tabeschs Büro sein. Und wenn er mal eine Pause braucht, kann er in die Cafeteria gehen und dort seine Eltern treffen, die diese betreiben werden. Ein bisschen so wie früher in seiner Kindheit, als er sich beim Zeitunglesen in der Pizzeria seiner Eltern politisierte.
Auf den Zusammenhalt kommt es an
Bis dahin ist er häufiger noch im Tante Yurgan’s anzutreffen. Ein Café in der Castroper Straße, nur wenige Gehminuten vom Fußball-Bundesligisten VfL Bochum entfernt. Hier sitzt Tabesch gerne, trinkt Kaffee und beantwortet seine Mails. „Ich plane nicht, mit Mitte 40 noch in Schulklassen zu gehen. Irgendwann muss es in andere Hände gegeben werden, aber bis dahin möchte ich dafür sorgen, dass sich Ruhrpott für Europa im Ruhrgebiet als überparteiliche Organisation von jungen Menschen für junge Menschen etabliert“, erzählt er zu seinen Zukunftsplänen.
An diesem Tag melden sich zwei Schülerinnen, die künftig gerne Teil von „Ruhrpott für Europa“ sein wollen. Ein Mal im Jahr gibt es ein Team-Event. Im vergangenen Jahr ging das über zwei Tage, am ersten besuchten sie gemeinsam in Brühl das Phantasialand, am zweiten war Tabesch von der Achterbahn noch etwas flau im Magen. Doch dem Zusammenhalt im Team half der Auftakt.
„Ich kann den Traum leben“
„Manchmal sage ich, und das meine ich ganz ernst: Ich kann den Traum aktuell leben. Ich werde dafür bezahlt, mich um mein „Baby“ zu kümmern“, sagt Tabesch stolz. Gleichzeitig müsse er sich manchmal selbst bremsen und aufpassen, dass er sich auch genügend Pausen gönnt und nicht von montags bis sonntags durcharbeitet. Seine Mission treibt ihn an: Zu zeigen, dass ein Junge aus Bochum nach den Sternen greifen und es bis nach New York schaffen kann, aber auch den jungen Menschen im Ruhrgebiet klarzumachen, wie stolz sie auf sich selbst sein können, auf das Miteinander und die Vielfalt, die diese Region im Herzen der Europäischen Union aus seiner Sicht ausmacht.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo