NRWSPD-Generalsekretär: „Wir werden uns verändern“
Bei der NRW-Kommunalwahl im September hat die Sozialdemokratie ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren. Das wollte die NRWSPD nicht einfach hinnehmen und ist in den Dialog getreten. Generalsekretär Frederick Cordes erklärt nun, warum er hoffungsvoll auf die Landtagswahl 2027 blickt.
Pascal Skwara
Zuhör-Tour der NRWSPD in Gelsenkirchen: Die Menschen waren aufgefordert, ihre Meinung zu sagen.
Die NRWSPD hat Ende Oktober ihre „Wir haben verstanden“-Kampagne vorgestellt. Was haben Sie verstanden?
Wir haben verstanden, dass wir oft zu weit weg waren, Probleme nicht klar benannt haben und Anliegen übersehen oder ignoriert, die unseren Wählerinnen und Wählern wichtig sind. Zu häufig sprachen wir über langfristige Visionen, während die Herausforderungen im Hier und Jetzt keinen Aufschub dulden. Zu oft wirkten wir mit uns selbst beschäftigt, obwohl die Menschen eine geschlossene, selbstbewusste SPD brauchten. Die SPD hat über viele Jahre Vertrauen verloren. Wir haben von Wahl zu Wahl viele Denkzettel bekommen.
Mehr als 1.000 Rückmeldungen für NRWSPD
Deswegen haben wir uns für einen radikalen und mutigen Schritt entschieden. Denn wir werden uns verändern. Im ersten Schritt haben wir zugehört – gerade denen, die sich enttäuscht abgewendet haben. Wir wollten Klartext: ehrlich, direkt, unverblümt. So lassen sich die über 1.000 Rückmeldungen auf verstanden.nrw und bei der Zuhör-Tour zusammenfassen. Viele berichten von wachsender Distanz zur SPD – zugleich ist der Wunsch nach einer erneuerten Sozialdemokratie in alter Stärke deutlich. Das zeigt, dass die Menschen immer noch eine emotionale Bindung zu uns haben, auch wenn sie uns beim letzten Mal nicht mehr gewählt haben.
Wie haben Sie die Orte für Ihre Zuhör-Tour ausgewählt?
Wir waren mit unserer Zuhör-Tour in den zehn Städten, in denen wir in den vergangenen 20 Jahren in absoluten Zahlen besonders viele Stimmen verloren haben. Dort sind wir mit einem Curry-Wurst-Wagen hingefahren. Wir haben die Menschen vorher per Flyer informiert. Sie konnten direkt mit uns sprechen, auf einen Zettel schreiben, was wir ändern müssen, oder uns eine Sprachnachricht aufnehmen. Für sehr viel Frust hatten wir auch ein Hau-den-Lukas.
Wie groß war der Frust? Ist das Gerät noch intakt?
Es ist intakt, denn es ging dabei nicht nur um Kraft, sondern vor allem um Geschicklichkeit.
Was waren die wichtigsten Anliegen der Bürger*innen?
Das war sehr unterschiedlich. Zum Beispiel habe ich mich länger mit zwei älteren Schwestern unterhalten, die zunächst sehr wütend waren. Nach zehn Minuten im Gespräch stellte sich heraus, was eigentlich ihre Sorgen sind. Da ging es um die kaputte Heizung, den arbeitsunfähigen Mann oder Sorgen um die Rente.
Frederick
Cordes
Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir innerhalb von fünf Jahren 17.000 Faschos mehr in der Stadt haben.
In zwei der zehn Städte – Duisburg und Bergheim – ist die AfD in der Stichwahl gelandet. Inwieweit ist die rechtsextreme Partei in NRW ernsthafte Konkurrenz für die SPD?
Wir haben von der Kommunalwahl keine wissenschaftlichen Erhebungen über Wählerwanderungen. In meiner Heimatstadt Oberhausen hat die AfD um rund 17.000 Stimmen zugelegt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass wir innerhalb von fünf Jahren 17.000 Faschos mehr in der Stadt haben. Deswegen müssen wir Angebote schaffen, diese Menschen wieder zu uns in die demokratische Mitte zu holen. Gerade die Städte im Ruhrgebiet sind von Einwanderung geprägt. Anders hätten der Bergbau oder die Stahlindustrie gar nicht so groß werden können.
SPD sieht „riesengroßes Potenzial“
Viele Menschen wählen dort nicht die AfD, weil sie grundsätzlich etwas gegen Zuwanderung haben. Aber sie sind unzufrieden, weil sie merken, dass sich bei ihnen vor der Haustür aufgrund der leeren Kassen in den Städten und Gemeinden zu wenig tut, während sich andere Kommunen schneller entwickeln. Gleichwertige Lebensverhältnisse sind im Kern eine Gerechtigkeitsfrage – und darum geht’s. Menschen empfinden es als ungerecht, wenn sie ihr Leben lang arbeiten gehen, aber am Ende nur ein paar hundert Euro mehr Rente in der Tasche haben als jemand, der noch nie gearbeitet hat. Auf diese Ungerechtigkeit müssen wir eine Antwort finden. Denn viele von ihnen hoffen auf ein Comeback der SPD und darauf, uns wieder wählen zu können. Das Potenzial ist riesengroß.
Unter den zehn Städten waren mit Herne, Gelsenkirchen oder Duisburg auch solche, bei denen die SPD bei der Kommunalwahl noch verhältnismäßig gut abgeschnitten hat. Warum waren Sie trotzdem dort?
Weil wir in diesen Städten zwar jetzt noch gewonnen, aber in absoluten Zahlen in den vergangenen Jahren deutlich an Stimmen verloren haben. Wir wollen in diesen Städten dauerhaft stärkste Partei bleiben. Auch darum ging es bei unserer Tour.
Was passiert jetzt mit den Erkenntnissen?
Wir haben eine Cluster-Struktur entwickelt, mit der wir die verschiedenen Einsendungen versuchen, in Themenbereiche einzusortieren. Wir unterscheiden dabei einzelne Themenbereiche und versuchen mit verschiedenen Auswertungsmethoden den roten Faden in die vielen Rückmeldungen zu legen. All das werden wir bis zur Klausurtagung Ende Januar auswerten und im Landesvorstand einen Beschluss fassen, wie wir damit weiterarbeiten.
Und daraus entstehen dann die „27 Punkte für 27“, das Programm zur Landtagswahl im übernächsten Jahr?
Genau. Aber wir werden im Januar noch nicht 27 Punkte vorlegen, sondern diese mit Blick auf die Landtagswahlen entwickeln. Mit den 27 Punkten für 27 wollen wir sehr konkrete Forderungen aufstellen, die das Leben der Menschen in NRW wirklich besser machen. Denn wir sehen, dass sich die schwarz-grüne Landesregierung null um die Probleme in diesem Land kümmert.
NRW mit Schwarz-Grün im Abstiegskampf
Die Menschen in Nordrhein-Westfalen haben keinen Grund zufrieden zu sein. Unser Wirtschaftsland steckt im Abstiegskampf. Schulen schneiden so schlecht ab wie in kaum einem anderen Bundesland, Schulabbrüche nehmen zu. In ehemaligen Arbeiterstadtteilen verfallen Quartiere, viele Menschen fühlen sich in ihrem Umfeld zunehmend unwohl. NRW steht regelmäßig still – auf Autobahnen und im Bahnchaos. Zukunftsängste wachsen, viele fühlen sich abgehängt. Dass NRW in immer mehr bundesweiten Vergleichen zurückfällt, erleben die Menschen konkret: bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum oder nach einem Pflegeplatz für Angehörige. Wo Mut, Klarheit und soziale Handschrift fehlen, wächst Frust und Chancen bleiben ungenutzt.
Was macht Ihnen Hoffnung, dass die Menschen der SPD 2027 wieder Vertrauen?
Wir haben einen Plan und wir haben auch relativ wenig zu verlieren. Wir versuchen, Vertrauen aufzubauen und nicht kaputt zu machen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo