Meinung

NRW-Stichwahlen: Wo nur noch die Brandmauer hilft

Was im Osten des Landes seit einigen Jahren Alltag ist, ist nun auch in Nordrhein-Westfalen angekommen. In vier Städten haben die Bürger*innen im zweiten Durchgang nur noch die Wahl zwischen einem demokratischen Bewerber und einem der rechtsextremen AfD. Das ist ein Warnschuss für alle demokratischen Parteien.

von Jonas Jordan · 18. September 2025
Andrea Henze

Lebt seit drei Jahren in Gelsenkirchen und will bei der Kommunalwahl im September dort Oberbürgermeisterin werden: Gesundheits- und Sozialdezernentin Andrea Henze 

Hagen bezeichnet sich selbst als Tor zum Sauerland. Doch anders als in der Heimatregion von Friedrich Merz war in der Stadt mit knapp 200.000 Einwohner*innen am Rande des Ruhrgebiets die Welt für die SPD lange Zeit sehr in Ordnung. Mehr als fünf Jahrzehnte lang stellte sie nach dem Zweiten Weltkrieg durchgehend den Oberbürgermeister, im Stadtrat regierte die Partei lange Zeit mit absoluten Mehrheiten. Für ihre Wähler*innen war klar, wo sie ihr Kreuz machen müssen.

Sören Link und Andrea Henze gegen die AfD

Inzwischen ist das anders. Nicht nur die Wähler*innen der SPD sind weniger geworden, sie können sie nicht einmal mehr wählen, zumindest in der Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters am 28. September. Dann haben die Menschen in Hagen die Wahl zwischen Dennis Rehbein von der CDU und Michael Eiche von der AfD. SPD-Kandidat Thomas Köhler verpasste die Stichwahl denkbar knapp um 157 Stimmen. Wollen dessen Wähler*innen verhindern, dass ihr Rathaus an den Kandidaten einer rechtsextremen Partei fällt, müssen sie diesmal in den sauren Apfel beißen und die CDU wählen.

Ein schwacher Trost: Den Wähler*innen der CDU geht es in Gelsenkirchen und Duisburg genauso. Denn in beiden Städten verpassten die CDU-Kandidatinnen den zweiten Wahlgang deutlich. Die Entscheidung fällt hier zwischen den favorisierten SPD-Bewerber*innen Andrea Henze in Gelsenkirchen und Sören Link in Duisburg

CDU Gelsenkirchen ruft zur Wahl der SPD auf

Immerhin: In Nordrhein-Westfalen steht die Brandmauer zur AfD. Die SPD-Landesspitze rief am Montag bereits ihre Wähler*innen dazu auf, in Hagen und Bergheim vor den Toren Kölns CDU zu wählen, um einen Oberbürgermeister der Rechtsaußen-Partei zu verhindern. Am Mittwoch zog der CDU-Kreisvorstand Gelsenkirchen nach und rief dazu auf, bei der Stichwahl für Andrea Henze zu stimmen, um „ein klares Zeichen für Demokratie und Verantwortung zum Wohle Gelsenkirchens zu setzen“.

Auch wenn es dadurch unwahrscheinlich ist, dass der AfD der Durchmarsch gelingt und sie tatsächlich ein Rathaus erobert, zeigen diese Beispiele, dass das, was seit einigen Jahren in vielen Teilen Ostdeutschlands bereits Alltag ist, nun auch im Westen des Landes angekommen ist: Die Menschen haben bei der Stichwahl nur noch die Wahl zwischen einem Vertreter oder einer Vertreterin einer demokratischen Partei und einem Kandidaten der rechtsextremen AfD. 

Warnschuss für die Landtagswahl

Selbst der Blick in die großen Universitätsstädte wie Köln, Düsseldorf, Bonn, Münster oder Aachen hellen den Blick aus SPD-Sicht nur bedingt auf. Zwar spielt die AfD in diesen Städten politisch auch weiterhin keine Rolle. Doch auch die Sozialdemokratie schnitt dort vielfach historisch schlecht ab und ist mit Ausnahme von Köln nirgends mehr in der Stichwahl vertreten.

Der Ausgang der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen ist ein Warnschuss für alle demokratischen Parteien. Auch mit Blick auf die nächste Landtagswahl im Frühjahr 2027. Sie müssen darum kämpfen, Wähler*innen zurückzugewinnen und deren unmittelbare Anliegen ernst nehmen. Dass sie das verstanden hat, zeigt die SPD, indem sie vielerorts auf Themen wie Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung setzt. Themen, die lange Zeit bei sozialdemokratischen Wahlkämpfer*innen tabu, weil als CDU-Themen verschrien waren. 

Beispiel Köln: Mach et wie Mattis!

Dass es sich auszahlen kann, vor Ort präsent zu sein und dort hinzugehen, wo lange keiner mehr von der SPD war, hat ein junger Sozialdemokrat im Kölner Norden gezeigt. Im Stadtteil Chorweiler fuhr die AfD bei der Bundestagswahl noch Rekordergebnisse ein. Nun sorgte Matthis Dieterich dafür, dass die rechtsextreme Partei an Stimmen verlor und holte selbst mit 48,26 Prozent das kölnweit beste Ergebnis aller Kandidat*innen. Da kann man der SPD an Rhein und Ruhr nur raten: Mach et wie Mattis!   

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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