Meinung

Zukunft der Industrie: Was Deutschland jetzt entscheiden muss

Deutschlands Industrie steht unter Druck – politisch, technologisch, ökologisch. Während ein Gipfel den nächsten jagt, fehlt eine klare Richtung. Es ist Zeit, Industriepolitik neu zu denken.

von Gustav Horn · 12. November 2025
Stahlindustrie in Duisburg

Am Standort Duisburg droht der Verlust von tausenden Arbeitsplätzen in der Stahlindustrie.

Ein Gipfel jagt den nächsten. Jüngst folgte der Stahlgipfel dem Autogipfel und wer weiß, welcher politische Berg als nächstes zu besteigen ist. Am Ende sieht man ernste Gesichter und Entschlossenheit etwas zu tun. Dabei ist das Thema eigentlich immer das Gleiche. Es geht um nicht und nicht weniger als um die Frage, wie man den Industriestandort Deutschland erhält. 

Ohne Zweifel stehen die Industriestandorte unter Druck. Er kommt gleichzeitig aus drei Richtungen. Im Fokus stehen derzeit besonders die geopolitischen Konflikte. Mit der Trumpschen imperialen Handelspolitik und chinesischen Machtspielen ist die multilaterale Welthandelsordnung zusammengebrochen. Handel ist zum Konfliktfeld wirtschaftlicher Großmächte geworden. 

Europäische Industrie im Wettbewerbsnachteil

Neben diesem gerade sehr akuten politischen Druck ist in den vergangenen Jahren ein akuter technologischer getreten. Der steile Anstieg der KI-Fähigkeiten und deren Nutzung erfordert teilweise massive organisatorische und technologische Anpassungen. Schlussendlich lauert mit zunehmender Dringlichkeit im Hintergrund der grundlegende Wandel der Produktion in Richtung Nachhaltigkeit. Ziel ist, in Deutschland 2045 und auf EU-Ebene 2050 weitgehend emissionsfrei produzieren zu können. 

All das kostet Geld, weil dieser Wandel massive Investitionen erfordert. Da es sich zudem um eine erst allmählich herausbildende neue Wirklichkeit handelt, ist die Anpassung mit erheblicher Unsicherheit behaftet. Belastend ist auch, dass der Anpassungsdruck nicht überall auf der Welt gleich stark ist. 

Da die EU bislang nur vergleichsweise maßvolle Gegenzölle vor allem gegenüber den USA und China erhebt, sind deren Unternehmen durch die geopolitischen Konflikte bislang spürbar geringer betroffen. Da diese beiden wirtschaftlichen Großmächte zudem ihren Unternehmen geringere Auflagen zur ökologischen Nachhaltigkeit machen, entsteht für die europäischen Industrieunternehmen ein Wettbewerbsnachteil auf den globalen Märkten. 

Markt nicht gegen Macht ausspielen

Das gilt in besonderem Maße für die deutschen Unternehmen, die im europäischen Vergleich durch hohe Energiekosten belastet sind. Das liegt nicht nur an dem Verlust Russlands als billiger Energielieferant, sondern auch an der relativ hohen Abgabenlast, mit der Energie in Deutschland konfrontiert ist.     

Aus dieser Drucksituation gibt es zwei Auswege. Entweder man läßt, wie es neoliberale Ökonom*innen vorschlagen, die Marktkräfte ungehindert wirken, was die bisherige Industrie allmählich untergehen oder doch mindestens stark schrumpfen lassen würde. Oder man versucht, den Druck auf die Industrie zum mindern, weil sie in Zukunft, nachdem sie sich an die neuen Gegebenheiten angepasst hat, wieder ein Treiber für Wohlstand sein kann. 

Die erste Position ist schon deshalb unhaltbar, weil der Druck auf die Industrie im Kern wenig mit Marktkräften zu tun hat. Weder die Trumpsche Zollpolitik noch die chinesischen Importbeschränkungen und ihre Subventionen oder Putins Krieg haben etwas mit Marktwirtschaft zu tun. Es sind pure Machtspiele. Beim Kampf Macht gegen Markt verliert aber zumindest kurzfristig der Markt. 

Mehr Zölle für Importe aus China

Vor allem aber sprechen die Zukunftsaussichten für einen Erhalt der Industrie. Eine auf neuestem Stand digitalisierte Industrieproduktion, die zudem nachhaltig ist, wird in einer Welt, in der die Nachfrage nach umweltschonenden Technologien von großer Bedeutung sein wird, ein ökonomischer Schatz sein. Deshalb versucht China ja mittels seiner strategischen Machtspiele sich die europäische Industrie gefügig zu machen. 

Wenn dem aber so ist, dann muss die Bundesregierung im Verbund mit anderen EU-Regierungen und der EU-Kommission einen anderen Kurs als den einer reinen Marktwirtschaft fahren. 

Zum einen sind Zollanhebungen für Importe aus China unvermeidlich, um die Industrie vor Dumping zu schützen. Zum zweiten müssen die Energiekosten für nicht fossile Energien von Steuern und Abgaben befreit werden, um den  Umstieg schon kurzfristiger rentabel zu machen. Das sollte für alle gelten. Die Kosten des Aufbaus eines Netzes aus erneuerbaren Energien sollte als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden, die von den Steuerzahlenden zu tragen ist. 

CO2-Abgaben unverändert fortsetzen

Gleichzeitig sollten Investitionszulagen für den technologischen Umstieg auf nachhaltige Produktion aus dem Klima und Transformationsfonds gezahlt werden, während die CO2-Abgabe unverändert fortgesetzt wird, um den Anreiz für den Umstieg zu erhalten. Schließlich sollte die Wirtschaftspolitik für eine dynamische Konjunktur auf dem europäische Binnenmarkt sorgen. Das würde die Unsicherheiten deutlich mindern und die Investitionsbereitschaft stärken. 

Mit einem solchen Programm könnte man sich weitere anstrengende Gipfelanstiege sparen, und die Welt sähe wieder etwas freundlicher aus. 

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Gustav Horn

ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

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