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Stahlgipfel: Warum die Industrie für Deutschland so wichtig ist

Bereits im Juni hat die SPD auf ihrem Parteitag einen Stahlgipfel gefordert. Am 6. November findet er nun statt: im Kanzleramt. Die wichtigsten Fragen zur deutschen Stahlindustrie beantworten wir hier.

von Vera Rosigkeit · 5. November 2025
Zahnräder aus Stahl

In Deutschland sind insgesamt rund vier Millionen Menschen in stahlintensiven Branchen beschäftigt, so im Baugewerbe, dem Maschinenbau oder der Automobilindustrie.

Für Armand Zorn, den Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion, ist Stahl „das Rückgrat unserer Industrie“. Würde die Produktion ins Ausland verlagert, stünden nicht nur zehntausende Arbeitsplätze auf dem Spiel. Deutschland würde zudem die Kontrolle über zentrale Wertschöpfungsketten verlieren und industrielle Sicherheit, die auch für die Verteidigungsfähigkeit wichtig sei, erklärte er im vorwärts-Interview. Von der Bundestagsfraktion über den Parteivorstand ist sich die SPD daher einig: Die Regierung muss in die Zukunft der deutschen Stahlindustrie investieren. 

Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung unterstreicht den Handlungsdruck: Danach droht der deutschen Wirtschaft ein Wertschöpfungsverlust von bis zu 50 Milliarden Euro jährlich für den Fall, dass sie ohne inländische Stahlproduktion in einen globalen „Stahlschock“ geriete. Für die Autoren Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk steht fest, dass wirtschaftliche „Resilienz für Deutschland und Europa“ eine starke deutsche Stahlindustrie voraussetzt, „die zeitnah und breit auf klimafreundliche Produktion umstellt“.

Was setzt die deutsche Stahlproduktion unter Druck?

Die Gründe sind vielfältig und reichen von weltweiten Überkapazitäten vor allem der Stahlindustrie in China über zunehmende Handelskonflikte durch Zölle bis hin zu teuren Energiekosten. Darüber hinaus gibt es einen hohen Investitionsbedarf für den Umbau hin zu einer klimaneutralen Produktion von grünem Stahl. Dafür müsste Kokskohle künftig durch Wasserstoff ersetzt werden, wofür rund dreimal so viel an Kosten anfallen würden.

Wo steht Deutschland weltweit?

Deutschland ist der größte Stahlproduzent in der Europäischen Union und stellt etwas mehr als ein Viertel der gesamten europäischen Stahlmenge her. Mit rund 37 Millionen Tonnen Rohstahlerzeugung lag Deutschland im vergangenen Jahr weltweit auf Platz sieben. 2024 lag die Wertschöpfung laut der Wirtschaftsvereinigung Stahl bei rund sieben Milliarden Euro und ermöglichte indirekt 12,7 Milliarden Euro in nachgelagerten Branchen, wie dem Baugewerbe, dem Maschinenbau und der Automobilbranche. Zu den größten Stahlherstellern gehören die Thyssenkrupp AG mit Sitz in Essen und Duisburg, die Deutschlandtochter ArcelorMittal mit Hüttenwerken in Bremen und Eisenhüttenstadt, die Salzgitter AG in Salzgitter und die Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH (HKM) in Duisburg.

Wie viele Arbeitsplätze hängen am Stahl?

Laut Bundeswirtschaftsministerium arbeiten rund 90.000 Menschen in der Stahlindustrie. Ihre Produkte werden insbesondere in der Bauwirtschaft, dem Maschinenbau und der Automobilbranche verarbeitet. Gebraucht werden sie für Windkraftanlagen, für Brücken und Schienen, für Autos, aber auch für Küchengeräte und Werkzeuge. Laut Wirtschaftsvereinigung Stahl sind insgesamt etwa vier Millionen Menschen in den größten stahlintensiven Branchen beschäftigt, das sind zwei von drei Industriearbeitsplätzen in Deutschland. Die Industrie- und Handelskammer spricht zudem von 4.600 Ausbildungsstellen.

Was sagen Wirtschaftswissenschaftler?

Die Wirtschaftsforscher Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk gehen bei ihrem prognostizierten Wertschöpfungsverlust von 50 Milliarden Euro von dem Szenario aus, dass aufgrund von geopolitischen Konflikten oder Lieferkettenproblemen große Stahlexporteure wie beispielsweise China ihre Ausfuhren nach Europa drosseln könnten. Als aktuelle Beispiele nennen sie die Probleme bei Computerchips oder seltenen Erden. Um eine solche Abhängigkeit zu vermeiden, sei ihrer Meinung nach die politische Unterstützung der Transformation in der Stahlbranche ökonomisch sinnvoll. Mit diesem Blick würden sich „gewisse Mehrkosten aus Gründen der Resilienz“ langfristig bezahlbar machen.

Außerdem warnen sie vor hohen sozialen und politischen Kosten, „wenn allein in der Branche zehntausende Arbeitsplätze wegfallen würden, räumlich konzentriert auf die Stahlregionen“. 

Was fordert die SPD?

Am Montag hatte SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf ein Sieben-Punkte-Papier des Parteivorstands vorgestellt, in dem die Partei sich für eine aktive Investitionspolitik ausspricht. Darin setzt sie sich für staatliche Förderung und einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis ein, fordert allerdings als Gegenleistung von der Industrie auch Standorttreue. 

Für den Chef der SPD-Bundestagsfraktion Matthias Miersch ist das Bekenntnis zum Standort Deutschland, „Patriotismus im besten Sinne“, der auch den „Rückenwind der Politik“ verdiene, erklärte er am Dienstag vor der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin. Diese hatte ihre Forderungen bereits im Oktober in einem Positionspapier deutlich gemacht.

Gefordert wird zudem auch ein klares Bekenntnis zur Tariftreue. Ein entsprechender Gesetzentwurf  zur Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ab einem geschätzten Wert von 50.000 Euro wurde im Oktober bereits im Bundestag beraten.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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