Meinung

Wir leben längst in einer Oligarchie der Reichen

Reichtum in Deutschland ist immer ungleicher verteilt. Das hat zunehmend auch Auswirkungen auf die Demokratie. Es wird deshalb Zeit, auch die demokratischen Pflichten, angemessen auf die Gesellschaft zu verteilen. Das bedeutet: Die Reichen müssen etwas abgeben.

von Svenja Behrens , Sebastian Klein · 22. September 2025
Ein gelber Lamborghini nachts vor einem Cafe mit roten Sonnenschirmen

Lamborghini in der Münchner Leopoldstraße: Wer nach oben geboren wurde, der muss sich schon sehr dumm anstellen, um seinen Platz wieder räumen zu müssen.

Was bedeutet es, in einem demokratischen Staat zu leben? Was macht eine Gesellschaft demokratisch? Was ist eine demokratische Politik und wie sieht eine demokratische Verwaltung aus? Über diese Fragen herrscht in der Forschung keine Einigkeit und die Frage, wie eine Demokratie ganz genau auszusehen hat, ist gar nicht leicht zu beantworten. Trotzdem haben die meisten Menschen irgendeine Vorstellung davon, was eine Demokratie ist, die in der Regel vermutlich eine Art von Freiheit und eine Art von Gleichheit enthält – den zwei demokratischen Grundwerten.

Wer weniger besitzt, ist weniger frei

Stellen Sie sich also eine Gesellschaft vor, in der die Vermögen so verteilt sind, dass die beiden reichsten Familien über die Hälfte aller in dieser Gesellschaft bestehenden Vermögen verfügen. Die ärmere Hälfte hingegen hat quasi überhaupt keinen Besitz oder sogar Schulden. Diese massive Ungleichheit in der Vermögensverteilung hat massive Konsequenzen für andere Gesellschaftsbereiche: Wer nicht so viel hat, hat nicht denselben Zugang zu Bildung wie wohlhabende Menschen, studiert seltener und hat schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Wird häufiger krank, leidet eher unter Stress und hat eine geringere Lebenserwartung. Kann sich selten oder keinen Urlaub leisten, hat Existenzängste – ist: nicht frei.

Auf der anderen Seite der extremen Vermögensverteilung gibt es eine kleine Gruppe sehr reicher Menschen. Ihr Vermögen haben sie auf zweifelhafte Weise angehäuft – indem sie Menschen in Fabriken bis zur Erschöpfung haben arbeiten lassen, indem sie Jüdinnen und Juden, Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter verheizt haben und bis heute Sklaven für sich arbeiten lassen. Indem sie Menschen über Zeitarbeitsfirmen anstellen, um Arbeitsrecht zu umgehen, oder sie einfach dadurch ausbeuten, dass sie ihnen weniger für ihre Arbeit zahlen, als sie eigentlich wert ist.

Wer nicht reich geboren wurde, kann kaum aufsteigen

Sie haben so viel Geld, dass sie sich damit auch einen Haufen Macht erkauft haben – sie haben sehr gute Kontakte in die Politik, wo man sie gerne anhört. Und all das geben sie von Generation zu Generation weiter. Wer nach oben geboren wurde, der muss sich schon sehr dumm anstellen, um seinen Platz wieder räumen zu müssen. Wem dieses Privileg nicht zuteil wurde, für den ist der Aufstieg empirisch so gut wie unmöglich.

Wie demokratisch ist diese Gesellschaft? Selbst wenn wir nur ein Mindestmaß von Gleichheit und Freiheit für die Demokratie annehmen wollen: Wie viel Demokratie steckt in einer Gesellschaft, in der diese Werte für einen Großteil der Menschen zugunsten der „wirtschaftlichen Freiheit“ eines sehr kleinen Teils der Menschen so gar nicht verwirklicht sind? Nicht viel, würden die meisten sicherlich sagen, klingt irgendwie eher nach dem alten Rom, wo viele für das Amüsement einiger Männer schufteten – die „demokratisch“ die politischen Entscheidungen trafen.

Ganz so auch im Deutschland von heute: Auf dem Papier sind wir eine Demokratie, doch in Wahrheit leben wir längst in einer Oligarchie, in der einige wenige, sehr reiche Menschen absolut undemokratische Mengen an Geld und Macht angehäuft haben.

Einen großen Teil erscheint die Demokratie immer nur negativ

Die haben sie erfolgreich dazu eingesetzt, uns glauben zu machen, dass ihre Interessen unser aller Interessen sind. Die Interessen der Wirtschaft und damit des ganzen Landes sind die Interessen der Unternehmenseigentümer*innen – ganz so, als wären die Menschen, die in diesen Unternehmen arbeiten, kein Teil der Wirtschaft. Denen wiederum erzählen wir immer dann etwas von der Demokratie, wenn es um ihre Pflichten geht: Sie sollen ihre Nächsten lieben, im Sinne der Gemeinschaft mehr arbeiten oder etwas anderes, bloß nicht aufbegehren, denn das können wir uns aktuell wirklich nicht leisten.

In einem System, das so ungleich ist, ist auch die Demokratie sehr ungleich verteilt: Die einen ernten die Rechte der Demokratie, während die anderen die Pflichten nehmen müssen. Und so erscheint einem großen Teil der Gesellschaft die Demokratie immer nur negativ – als Verbot von den Ventilen, die er sich gesucht hat, um mit der Ungerechtigkeit umzugehen. Die Reichen wiederum betreiben demokratisches Cherry-Picking: Die Freiheit ist zur wirtschaftlichen Freiheit verkümmert und die ist – da ist man sich einig – der höchste demokratische Wert. Von Gleichheit sprechen wir kaum noch und über den Zusammenhang beider gar nicht.

Auch die demokratischen Pflichten angemessen auf die Gesellschaft verteilen

Die massive materielle Ungleichheit ist nicht nur an sich undemokratisch, sie führt so auch dazu, dass sich immer mehr Menschen von der Demokratie abwenden und sich am rechten Rand radikalisieren. Darüber dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn wir nicht endlich anfangen, auch die demokratischen Pflichten angemessen auf die Gesellschaft zu verteilen. Und die erste demokratische Pflicht derjenigen, die so sehr von unserem Wirtschaftssystem profitieren, würde darin bestehen, von ihrem Reichtum einen nicht unerheblichen Teil abzugeben – ganz im Sinne der „Gemeinschaft“, an der ihnen so viel liegt.

Zum Weiterlesen:
Sebastian Klein, Svenja Behrens: Toxisch Reich, Warum extremer Reichtum unsere Demokratie gefährdet, oekom-Verlag 2025, ISBN: 978-3-98726-138-1

Autor*in
Svenja Behrens

ist Co-Autorin des Buchs „Toxisch Reich“ und Lektorin. Sie beschäftigt sich aus sozialphilosophischer Perspektive mit den Themen Geld und Ungleichheit.

Autor*in
Sebastian Klein

ist Unternehmer und Autor. Er gründete unter anderem „Blinkist“, durch dessen Verkauf er zum Millionär wurde. Einen Großteil gab er für gemeinnützige Zwecke ab.

Weitere interessante Rubriken entdecken

Gespeichert von Helmut Gelhardt (nicht überprüft) am Mo., 22.09.2025 - 13:18

Permalink

Es ist gut, dass die Autor*innen dieses Thema aufgreifen! Nur - es ist kein neues Phänomen! Es ist spätestens tendenziell vorhanden seit der "Geistig-moralischen Wende" ab 1982 unter Helmut Kohl. Und dieser Zustand schreitet fort und fort und fort ...
Und die neue Groko aus BlackRock-Merz-CDU und Klingbeil-SPD hat dagegen kein Mittel.
Die Merz/Reiche CDU will es nicht. (Wie FDP und AfD!) Die Klingbeil-SPD kann es nicht, weil Genosse Klingbeil
bei BlackRock Merz "auf dem Schoß sitzt" und die wirkliche, harte Auseinandersetzung mit Merz und Co. über dieses Thema scheut! Wenn die derzeitige SPD-Bundestagsfraktion hier keinen Sozial-ökologischen Befreiungsschlag führt, der diesen Namen auch verdient, wird die SPD bundesweit eher die 10-Prozent-Marke
unterschreiten als die 15-Prozent-Marke deutlich überschreiten. Und das erste Opfer dieser potenziellen Entwicklung könnte in RLP MP Alexander Schweitzer werden. RLP hatte mit Scharping/Beck/Dreyer eine gute Entwicklung!

Gespeichert von Helmut Gelhardt (nicht überprüft) am Mo., 22.09.2025 - 13:42

Permalink

Dabei waren Scharping, Beck und Dreyer keine August Bebels, Wilhelm Liebknechts oder Rosa Luxemburgs - was man durchaus bedauern kann !!! Aber Scharping/Beck/Dreyer haben RLP gut gesteuert und fanden breite Zustimmung.
Auch Alexander Schweitzer ist ein guter MP/Landesvater. Er ist kompetent und ehrlich - verdient Vertrauen.
(Auch wenn auch er kein Wilhelm Liebknecht ist.) Aber die CDU in RLP ist auf Merz/Klöckner-Linie. Sie sind dabei und werden weiter versuchen Alexander Schweitzer "sturmreif zu schießen"! Sie dürstet nach dem Machtwechsel in RLP! Die SPD insgesamt muss endlich ihr Sozial-Ökologisches Profil sehr, sehr erheblich steigern und zeigen, dass der ausgegebene Anspruch, die Schutzmacht der sozial Schwachen/Bedürftigen/Benachteiligten zu sein, keine Worthülse ist, sondern ehrliches Selbstverständnis der Sozialdemokratie. Ein solches Selbstverständnis muss sie in die politische Waagschale werfen und mit Zähnen und Klauen verteidigen - gegen jedwede BlackRock-DNA !!!

Schreibe einen Kommentar

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.