Inland

Wie unser Steuersystem Reichtum schützt und Armut zementiert

Großerben und Superreiche werden in Deutschland weitgehend von Steuern verschont. Gleichzeitig fehlt Geld in den öffentlichen Kassen. Das hat Folgen – auch für den sozialen Zusammenhalt. Die SPD will das ändern.

von Vera Rosigkeit · 3. September 2025
Eine Männerhand häuft unterschiedlich hohe Haufen Geldstücke an.

Wer hat, dem wird gegeben: Das deutsche Steuersystem ist sehr ungerecht. Die SPD will das ändern.

Höhere Steuern für Vermögende und Superreiche? Die Debatte um die Finanzierung des Bundeshaushalts 2027 hat die Frage nach einer gerechteren Verteilung von Reichtum in Deutschland neu entfacht. Mit seinem Vorschlag, sehr hohe Vermögen und Einkommen stärker in die Pflicht zu nehmen, stieß SPD-Bundesfinanzminister Lars Klingbeil beim Koalitionspartner CDU/CSU auf heftige Kritik: Denn erstens sieht der Koalitionsvertrag dieses Vorhaben nicht vor und zweitens ist die Union grundsätzlich gegen Steuererhöhungen.

Deutschland ist Schlusslicht bei der Besteuerung von Milliardenvermögen

Anders die SPD: In ihrem Regierungsprogramm plante sie eine grundlegende Steuerreform, um 95 Prozent der Steuerzahler*innen zu entlasten und allerhöchste Einkommen mehr in die Verantwortung zu nehmen. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer sollten reformiert und die ausgesetzte Vermögensteuer wiederbelebt werden. Und dies nicht als Selbstzweck, sondern weil die Steuerlast hierzulande sehr ungleich verteilt ist und Deutschland inzwischen Schlusslicht in Europa ist, wenn es um die Besteuerung von Milliardärserbschaften und -vermögen geht.

Danach gefragt, was schief läuft in Deutschland, antwortet Juso-Chef Philipp Türmer, dass es ein ganzes System sei, „das Reichtum schützt und Armut zementiert“. Die „strukturelle Ungleichheit“ werde befördert durch Steuergeschenke an Reiche, die Abschaffung der Vermögensteuer und eine Erbschaftsteuer voller Schlupflöcher für Überreiche. „Während Millionen von Menschen trotz harter Arbeit kaum über die Runden kommen, wächst das Vermögen der reichsten zehn Prozent weiter, oft leistungsfrei.“ Das gefährde auch den sozialen Zusammenhalt, so Türmer.

„Riesige Unwucht bei der Besteuerung zwischen Einkommen und Vermögen“

Laut Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin besteuert kaum ein Land der Welt „Arbeitseinkommen stärker und Vermögen geringer als Deutschland“. Durch die „riesige Unwucht bei der Besteuerung zwischen Einkommen und Vermögen“ entstehe ein erheblicher wirtschaftspolitischer und gesellschaftlicher Schaden, betont der Ökonom.

Tatsächlich werden in Deutschland Arbeitseinkommen in der Spitze mit bis zu 42 Prozent für jeden Euro ab einem Jahreseinkommen von 68.480 Euro (2025) besteuert. Dagegen liegt der Steuersatz bei Einkünften aus Kapitalanlagen wie Zinsen oder Gewinnen aus dem Verkauf von Wertpapieren pauschal bei 25 Prozent. Zudem werden auf Arbeitseinkommen noch 19,7 Prozent Sozialabgaben für Rente, Gesundheit, Pflege etc. fällig, bei Kapitalvermögen lediglich ein Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5 Prozent auf die Steuer, macht bei 25 Prozent effektiv 1,375 Prozent.

„Mal im Ernst“, sagt SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf, „im Vergleich mit anderen europäischen Ländern sind bei uns die Steuern auf Vermögen extrem niedrig und die auf Arbeitseinkommen – inklusive Sozialabgaben – extrem hoch. Das halte ich nicht für besonders gerecht“.

Erbegesellschaft statt Leistungsgesellschaft

Dabei ist die ungleiche Besteuerung von Arbeit im Vergleich zu Kapitalerträgen nur ein Problem. Auch bei der Besteuerung von Milliardärserbschaften ist Deutschland Schlusslicht in Europa. Großerb*innen und Reichbeschenkte bleiben vom deutschen Steuersystem verschont, erklärt Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Deutschland verstehe sich zwar „als Leistungsgesellschaft, ist mittlerweile aber vielmehr eine Erbengesellschaft“. Derzeit würden jährlich schätzungsweise 300 bis 400 Milliarden Euro vererbt und verschenkt.

Was Fratzscher als „Unwucht“ bezeichnet, verdeutlichen Jirmanns Zahlen: „Im Jahr 2022 lagen die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer bei rund neun Milliarden Euro. Zum Vergleich: bei der Tabaksteuer waren es mehr als 14 Milliarden Euro; bei der Lohnsteuer rund 230 Milliarden Euro.“ Daraus folgert sie, dass der durchschnittliche Steuersatz auf das gesamte Erb- und Schenkungsvermögen bei gerade einmal 2,3 bis drei Prozent lag. Dazu ein passendes Beispiel von Tim Klüssendorf: „In Deutschland kann es passieren, dass jemand mit einer 40-Stunden-Woche als Lehrerin oder Pflegefachkraft auch mal mehr Steuern zahlt als jemand, der 400 Wohnungen in bester Lage erbt.“ 

Deutschland könnte pro Jahr 73 Milliarden mehr einnehmen

Und noch an einer anderen Stelle geht der Staat leer aus: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995 wird die Vermögensteuer in Deutschland seit 1997 nicht mehr erhoben. Laut einer Oxfam-Studie gingen Deutschland dadurch bis heute schätzungsweise 400 Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren. Würde Deutschland dem Beispiel der Schweiz folgen und Vermögensteuern auf dem dortigen Niveau erheben, entspräche das „jährlichen Einnahmen von 73 Milliarden Euro“, heißt es weiter.

Laut Fratzscher werde Vermögen hierzulande nur mit rund 0,4 Prozent seines Wertes jedes Jahr besteuert. Länder wie die USA, Frankreich, Kanada oder Großbritannien besteuerten private Vermögen drei- bis viermal stärker. „Wenn Deutschland private Vermögen ebenso stark besteuern würde, stünden jedes Jahr knapp 80 bis 120 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen zur Verfügung.“

Die Umverteilung von unten nach oben geht weiter

Stattdessen sind die öffentlichen Kassen von Bund, Ländern und Kommunen leer. Für den Bundeshaushalt 2027 droht eine Lücke von 30 Milliarden Euro, die Umverteilung von unten nach oben schreitet fort. Umso mehr, als die Union bei den Sozialleistungen sparen will, wie etwa beim Bürgergeld oder den Zuschüssen zu den Sozialversicherungen wie Rente und Gesundheit. Vor diesem Hintergrund fordern SPD-Spitzen wie Tim Klüssendorf: „Die Steuern auf große Vermögen und Millionenerbschaften müssen hoch, die auf (kleinere und mittlere) Arbeitseinkommen runter.“ Um die steuerliche Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen, die auch im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, zu finanzieren, „können wir uns auch vorstellen, über die Reichensteuer die richtig hohen Einkommen stärker in die Pflicht zu nehmen“, fasst SPD-Fraktionsvize Wiebke Esdar den Vorschlag der SPD zusammen.

Mit Blick auf den Haushalt 2027 habe sich die SPD vorgenommen, schon frühzeitig in die Debatte einzusteigen, erklärt sie. „Wir wissen, dass in 2027 eine enorme Haushaltslücke auf uns zukommt.“ Als Bundesfinanzminister habe Lars Klingbeil alle Kabinettsmitglieder nach Konsolidierungsvorschlägen gefragt. „Dabei muss es für uns gerecht zugehen“, betont die Abgeordnete. Die SPD wolle nicht, „dass der Sozialstaat zusammengekürzt wird“, vielmehr gehe es darum, auch bei den Einnahmen des Staates zu schauen, „wie wir für mehr Steuergerechtigkeit sorgen können“.

Im Koalitionsvertrag sind zwar weder eine Reform der Erbschaftsteuer, noch die Wiederbelebung der Vermögensteuer noch Steuererhöhungen für Superreiche vorgesehen, „doch nur weil etwas nicht im Koalitionsvertrag steht, heißt das nicht, dass wir nicht darüber sprechen können“, ist Esdar überzeugt.

Klüssendorf: „Nicht reflexartig nach unten, sondern vielmehr nach ganz oben schauen.“

Tim Klüssendorf geht aktuell zwar nicht davon aus, dass es kurzfristig gelingt, mit der Union eine Vermögensabgabe oder die Wiedereinführung der Vermögensteuer zu beschließen. Bei der Erbschaftsteuer allerdings erwarte die SPD noch in diesem Jahr Verfassungsgerichtsurteile. Dabei gehe es um die Verschonung sehr hoher Betriebsvermögen von der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Je nachdem wie diese Urteile ausfallen, „werden wir uns der Erbschaftsteuer noch in dieser Legislaturperiode annehmen“. Für Klüssendorf eine Chance, die „Überprivilegierung extrem großer Erbschaften und Schenkungen abzubauen“.

Ein Schritt, der umso wichtiger ist, da die Bundesregierung vor einem „Herbst der Reformen“ steht. Bundeskanzler Friedrich Merz hat kürzlich verkündet, dass der heutige Sozialstaat so nicht mehr finanzierbar sei. Klüssendorf ist anderer Meinung. Er warnt: „Insbesondere in Zeiten knapper Kassen sollten wir doch nicht reflexartig nach unten, sondern vielmehr nach ganz oben schauen.“ Nicht nur weil das gerecht sei, sondern auch „weil es dort auch viel mehr zu holen gibt – allein die Milliarden, die dem Fiskus durch Steuerhinterziehung jedes Jahr entgehen“.

Bundesfinanzminister Lars Klingbeil findet mit Blick auf anstehende Reformen der Sozialsysteme ebenfalls klare Worte: „Wir brauchen Reformen, um die Beiträge dauerhaft stabil zu halten. Dabei erwarte ich in den öffentlichen Debatten mehr Fantasie, als einfach nur Leistungskürzungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu fordern. Das ist mir zu billig.“

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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