Olaf Scholz: Warum der Kanzler – zu Unrecht – so oft unterschätzt wurde
Am Dienstag scheidet Olaf Scholz aus dem Amt aus. Zeit, eine Bilanz seiner Jahre als Bundeskanzler zu ziehen. Und manches Fehlurteil zu korrigieren.
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„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen werde.“ – Bundeskanzler Olaf Scholz am 8.12.2021 bei der Eidesleistung gegenüber Bundestagspräsidentin Bärbel Bas
Sagen wir es gleich vorweg: Die Popularität seiner sozialdemokratischen Amtsvorgänger Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder konnte Bundeskanzler Olaf Scholz nie erreichen. Von einem Kanzlerbonus konnte bei ihm in der gesamten Amtszeit von 2021 bis 2025 nicht gesprochen werden.
Und noch nie zuvor hatte die SPD ernsthaft darüber diskutiert, ob sie mit ihrem amtierenden Kanzler in die nächste Wahl gehen oder ihn gegen einen populäreren Kandidaten auswechseln soll, wie im November 2024. Schließlich wurde Scholz doch als Kanzlerkandidat nominiert und bewarb sich um zweite Amtszeit. Mit den darauf folgenden 16,4 Prozent hat er das schlechteste Ergebnis der SPD nach dem Krieg mitzuverantworten. Damit ist er der erste SPD-Bundeskanzler, der nur für eine einzige Amtszeit gewählt wurde.
Was dem Kanzler gelungen ist: die „Zeitenwende“
Doch ist mit all dem etwas gesagt, über die Leistungen des Kanzlers Olaf Scholz? Nur begrenzt. Denn was Scholz im Amt gelungen ist, kann sich durchaus sehen lassen.
Da ist zuerst die von ihm im Februar 2022 nach dem brutalen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine ausgerufene „Zeitenwende“ in der Sicherheitspolitik. Sie bedeutet nicht weniger als einen Epochenwechsel im deutschen Verhältnis zu Russland, das nicht länger als Partner, sondern als Bedrohung verstanden wird. Sie ist auch ein Epochenwechsel für die Bundeswehr, die nach mehr als 30 Jahren eines Spar- und Schrumpfungskurses mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro wieder ein solides finanzielles Fundament erhielt, um so verteidigungsbereit und -fähig zu werden. Doch statt das anzuerkennen, hieß es immer wieder: Scholz sei bei der Unterstützung der Ukraine zögernd und zaudernd, ein Bremser. Ein Fehlurteil, das vor der Geschichte keinen Bestand haben wird.
Drei Jahre hielt die Ampel – auch dank Scholz
Olaf Scholz ist es auch gelungen, die sehr heterogene und mitunter auseinanderstrebende Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP drei Jahre lang zusammenzuhalten. Er hat dies geschafft, indem er sich selbst immer wieder zurückgenommen hat, auch seinen Minister*innen Erfolge gegönnt hat, das Rampenlicht und die Schlagzeile. Scholz hat auch in der größten Aufregung ruhig moderiert, geduldig Kompromisse gesucht und oft gefunden. Dies ist ihm fälschlicherweise häufig als Schwäche und Farblosigkeit ausgelegt worden – vollkommen zu Unrecht.
Viel erreicht – nicht alles gelungen
Das Kabinett Scholz war – mit einem sehr regierungserfahrenen Kanzler an der Spitze – fleißig und effizient. Rund zwei Drittel ihrer Projekte hat die Ampel-Koalition bis zu ihrem Ende im November 2024 umgesetzt oder zumindest auf den Weg gebracht, so eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Dazu gehören die Anhebung des Mindestlohns, die Ablösung von Hartz IV durch das Bürgergeld, die Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechtes, die Energiewende, die Stärkung der Digitalisierung, etwa im Bereich Gesundheit und Netzausbau, die Streichung von Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs, dem sogenannten Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, und vieles vieles mehr.
Manches ist ohne Zweifel nicht gelungen. Etwa die Stärkung der Tarifbindung durch einTariftreuegesetz, weil sich die FDP verweigerte. Oder die so dringend nötige Reform der Schuldenbremse, weil die Union diese blockierte. Für alles wurde aber Kanzler Scholz verantwortlich gemacht – zu Unrecht.
Urteil zur Schuldenbremse: der Todesstoß für die Regierung
Den Todesstoß hat der Regierung Scholz letztlich die Schuldenbremse versetzt: Denn was der Ampel faktisch den Boden unter den Füßen weggezogen hat, war nicht ihr Streit. Es war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem November 2023. Danach durfte der Bund die zur Bekämpfung der Corona-Krise beschlossenen, aber dafür nicht mehr genutzten Mittel nicht für den Klimaschutz verwenden. Es ging um die atemberaubende Summe von 60 Milliarden Euro. Die sollten nun plötzlich aus dem regulären Haushalt finanziert werden. Unmöglich – für jede Regierung.
Dieses 60-Milliarden-Urteil hätte jede Koalition gesprengt. Das wusste auch die Union. Deshalb hat sie unmittelbar nach der Wahl – noch vor der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen – zusammen mit SPD und Grünen umfassende Ausnahmen von der Schuldenbremse in Höhe von bis zu 1.000 Milliarden Euro im Grundgesetz verankert.
Unterschiedliche Urteile über Scholz und Merkel
Olaf Scholz hatte – da beißt die Maus keinen Faden ab – nicht die Ausstrahlung von Brandt, Schmidt oder Schröder. Vom Typ her glich er eher seiner Amtsvorgängerin Angela Merkel: ruhig, sachlich, abgewogen, nüchtern, bescheiden. Wie sie war auch er kein großer Redner, kein begnadeter Kommunikator.
Doch was die Deutschen bei Merkel so sehr schätzten, wurde Scholz angekreidet. Er sei blass und langweilig, hieß es immer wieder. Ohne jedes Charisma. „Lord Valium von Schnarchistan“ nannte ihn ein bekannter TV-Moderator regelmäßig in seiner Show. So sieht man an Scholz und Merkel: Wenn zwei das gleiche tun, ist es nicht dasselbe.
Faire Würdigungen lassen manchmal auf sich warten
Manchmal werden Leistungen erst lange nach einer Amtszeit erkannt und gewürdigt. So wie beim früheren US-Präsidenten Jimmy Carter. Bei seiner Abwahl galt er den meisten in den USA als schwacher und blasser Präsident – ganz anders als sein Nachfolger Ronald Reagan, der vielen stark und charismatisch erschien. Erst in den letzten Jahren seines Lebens ist immer mehr Amerikanern klar geworden, wie groß die Verdienste Carters für die USA und die Welt waren. Erst recht im Vergleich zum aktuellen Amtsinhaber Donald Trump.
Vielleicht ändern die Deutschen eines Tages auch ihr Urteil über die Kanzlerschaft von Olaf Scholz. Vielleicht auch im Hinblick auf seinen Nachfolger Friedrich Merz, der – noch nicht einmal im Amt – bei den meisten schon unten durch zu sein scheint. Ein gerechtes und faires Urteil, das hätte Olaf Scholz verdient, der so oft zu Unrecht unterschätzte.