Die Stärke des Koalitionsvertrages: Richtige Antworten in gefährlichen Zeiten
Die Sondervermögen für Infrastruktur und Verteidigung werden – wenn richtig umgesetzt – Deutschland voranbringen. Sie sind pragmatische Antworten auf die wachsenden Bedrohungen unseres Landes – im Inneren wie von Außen, findet der Ökonom Gustav Horn.
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Mitgliederentscheid: Die Basis der SPD entscheidet über Ja oder Nein zum Koalitionsvertrag mit CDU/CSU.
Die Abstimmung ist in vollem Gange. Die SPD-Mitglieder müssen in diesen Tagen entscheiden, ob sie dem vorliegenden Koalitionsvertrag zustimmen, ihn ablehnen oder links liegen lassen und nicht an der Abstimmung teilnehmen. Es fällt schwer sich vorzustellen, wie ein Regierungsprogramm jemand in diesen bewegten Zeiten gleichgültig sein kann. Denn wenn nicht hier, wo dann sollen Antworten darauf gefunden werden, wie unser Land auf die Gefährdungen im Inneren wie im Äußeren reagieren sollte.
Dies ist denn auch die Stärke des vorliegenden Vertrages. Er enthält wegweisende Entscheidungen zu genau diesen Punkten. Da ist als allererstes das Sondervermögen für Investitionen in die Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro für zwölf Jahre. In dieser Höhe ist es der Bundesregierung erlaubt, Schulden jenseits der durch die Schuldenbremse gesetzten Grenzen aufzunehmen, um damit zweckgebunden die Infrastruktur zu modernisieren bzw. Investitionen in den Schutz vor dem Klimawandel zu fördern.
Deutschland wird gleich dreifach geholfen
Mit diesem Schritt wird unser Land gleich in dreifacher Hinsicht vorangebracht. Auf kurze Sicht gibt es jedes Jahr Impulse für die Konjunktur und damit für den Erhalt und Aufbau von Arbeitsplätzen. Das können wir gerade vor dem Hintergrund unserer derzeit lahmenden Wirtschaft gut gebrauchen. Als zweites erhöhen diese Investitionen auf längere Sicht das Produktionspotenzial durch die Investitionen. Das sichert gut bezahlte Arbeitsplätze und Wohlstand in der Zukunft.
Vor allem aber dürfte sich das Investitionspaket zu einem maßgeblichen Beitrag im Kampf gegen rechtspopulistische Strömungen im Inneren unserer Demokratie entwickeln. Denn es sind die Beschwernisse im Alltag, die viele an der Politik der Parteien der Mitte verzweifeln lassen. Wenn die Bahn nicht kommt, die Straße kaputt ist, die Schule verwahrlost, die Kommune pleite, kein Termin beim Arzt frei, die Rente zu niedrig und die Miete zu hoch ist, sind Skepsis am bisherigen politischen Kurs nachvollziehbar. Mit dem Sondervermögen können nicht alle Probleme sofort gelöst werden, aber sie können glaubhaft und spürbar in Angriff aufgenommen werden.
Lösungen könnten Extremisten Wind aus den Segeln nehmen
Sind allmähliche Verbesserungen erfahrbar, dürfte sich die Zustimmung zu den extremistischen Politikvorschlägen schwinden, die in Wahrheit den politischen und wirtschaftlichen Interessen breiter Bevölkerungsschichten entgegen laufen und unser Land in die Fänge von gefährlichen Nationalisten und Scharlatanen wie dem amerikanische Präsidenten Trump treiben. Womit wir bei der äußeren Sicherheit angekommen sind.
Wir müssen davon ausgehen, dass die Schutzmacht USA für Europa der Vergangenheit angehört. Das passiert ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, zu dem imperialistische Strömungen in Russland und wohl auch in China die Oberhand gewonnen haben. Auf diese Bedrohung muss eine künftige Bundesregierung eine andere Antwort bieten als die Unterwerfungs- und Nachahmungsstrategien der AfD. Das Sondervermögen für Verteidigung enthält diese Antwort. Sie besteht in einer verteidigungspolitischen Autonomie Europas, die allerdings erst auf längere Sicht erreicht werden kann.
Das erfordert in jedem Fall erhöhte Ausgaben für Sicherheit, deren Umfang derzeit aber noch nicht abgeschätzt werden kann. Deshalb ist dieses Sondervermögen weder mit einer betraglichen Obergrenze noch mit einer zeitlichen Befristung verbunden. Auf diese Weise schafft sich die künftige Bundesregierung den notwendigen Verhandlungsspielraum. Vor allem treten Ausgaben für Sicherheit nicht in Konkurrenz zur sozialen Sicherung.
Rolle der Verteidigungsausgaben für die Konjunktur
Aus rein ökonomischer Sicht ist dieses Vorgehen alles andere als einfach. Zwar stimulieren auch erhöhte Verteidigungsausgaben die Konjunktur, jedoch in weitaus geringerem Umfang als Investitionen in die Infrastruktur, zumal viele der Mittel ins Ausland fließen dürften. Zudem sind Verteidigungsausgaben in der Regel konsumtiv. Sie erhöhen das Produktionspotenzial daher nicht. Folglich wird die aus ihnen resultierende Schuldenlast den Bundeshaushalt fortwährend belasten. Aus diesen Gründen muss man mit dem finanziellen Spielraum, der hier geschaffen wurde, sehr sorgfältig und vorsichtig umgehen.
Die beiden Sondervermögen werden – so sie richtig umgesetzt werden - die politische und ökonomische Landschaft Deutschlands und Europas prägen. Dahinter verblassen alle andere, zuweilen kleinteilige Maßnamen aus dem Koalitionsvertrag. Sie sind aber auch die pragmatische Antwort auf wesentliche Fragen in diesen bewegten Zeiten.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.
Gefährliche Zeiten / Sondervermögen für 'Verteidigung' / Sicherh
Ich schätze Gustav Horn sonst sehr. Hier kann ich ihm ausdrücklich n i c h t zustimmen.
Der am 21.04.2025 - am Ostermontag - verstorbene Papst Franziskus hat in seiner Autobiografie
" Hoffe ", 2025, an vielen, vielen Stellen den Militarismus, den Aufrüstungswahn, die Kriegsbereitschaft (die verhüllend und beschönigend als Verteidigungsbereitschaft bezeichnet wird) und die Kriegshandlungen - den Krieg völlig zu Recht äußerst scharf kritisiert/verurteilt. Franziskus fordert Verhandlungen, Verhandlungen, Verhandlungen - um die unzähligen Toten und Verletzten auf allen Seiten, die Verwüstung der Wohnstätten und die Verheerung der Natur/Umwelt/Schöpfung zu vermeiden. Tun wir es Franziskus gleich. Auch die NaturFreunde äußern sich im Sinne von Papst Franziskus!
Wahrlich .....
.... stand mir der kürzlich verstorbene Papst Franziscus mit seinen Mahnungenzu Frieden, sozaler Gerechtigkeit und Umweltschutz auch näher als die "Realitätspolitik" der SPD-Oberen.
Eine Erneuerung der SPD auf der Grundlage der Forderungen von Franziscus wäre wahrlich revolutionär.
„Richtige Antworten in gefährlichen Zeiten“_1
„Ökonom Gustav Horn“ eröffnet den Streit über die „Rolle der Verteidigungsausgaben für die Konjunktur“, also über deren ökonomische Folgen für unserer Volkswirtschaft.
Am Anfang war „das Sondervermögen für Verteidigung“, ein etwas gewagter Begriff aus ökonomischer Sicht, würde ich meinen, zumal es noch „die Antwort enthält …. auf die Bedrohung durch … imperialistische Strömungen(, die) in Russland und wohl auch in China die Oberhand gewonnen haben“. Das „Sondervermögen für Verteidigung“ ist zeitlich und größenmäßig nicht limitiert und wird nicht im Bundeshaushalt ausgewiesen. Die Schuldenaufnahme für Aufrüstung „schafft so der künftigen Bundesregierung den notwendigen Verhandlungsspielraum“. Verhandlungsspielraum? Weil Rüstungsausgaben über 1% vom BIP nicht mehr im Bundeshaushalt ausgewiesen werden, also den Zwang zur Priorisierung buchhalterischen verstecken, „ treten Ausgaben für Sicherheit nicht in Konkurrenz zur sozialen Sicherung“?
„Richtige Antworten in gefährlichen Zeiten“_2
Das kann volkswirtschaftlich nicht sein. Stahl, der im Panzer steckt, kann nicht für Autos, Brücken oder Haushaltsutensilien genutzt werden, und Munition eignet sich nicht als Kinderspielzeug. Kein „Verhandlungsspielraum“ kann die Tatsache verändern, dass die volkswirtschaftlichen Ressourcen, die in die Rüstung gesteckt werden, für andere Anwendungen verloren sind.
Gustav Horn thematisiert „die Wachstumseffekte höherer Verteidigungsbudgets“ (Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel, 25.2.25; Kurzform) im Kapitel über die „Rolle der Verteidigungsausgaben für die Konjunktur“ und dämpft vorweg die Erwartungen: „Aus rein ökonomischer Sicht ist dieses Vorgehen alles andere als einfach“. Das IfW dagegen meint, „höhere Verteidigungsausgaben könnten das Wirtschaftswachstum in Europa deutlich ankurbeln und den Industriestandort signifikant stärken“. Dem steht aber entgegen, dass „Verteidigungsausgaben in der Regel konsumtiv sind, das Produktionspotenzial daher nicht erhöhen“ (Horn).
„Richtige Antworten in gefährlichen Zeiten“_3
Allerdings weiß das IfW: „Zusätzliche Gelder, Arbeitskräfte und Rohstoffe für militärische Zwecke gehen traditionell nicht ausschließlich zu Lasten des privaten Konsums“ - „nicht ausschließlich“ ist beruhigend. Da Verteidigungsausgaben das Produktionspotenzial nicht erhöhen, weiß Horn, „wird die aus ihnen resultierende Schuldenlast den Bundeshaushalt fortwährend belasten“. Kiel dagegen: „Europa kann über seine Militärausgaben … entscheiden, ohne sich von der Angst vor einer wirtschaftlichen Katastrophe ablenken zu lassen“. Na, wunderbar, keine „wirtschaftliche Katastrophe“.
(Der IfW- Report, den ich zu lesen empfehle, weiß viel über „kurzfristige fiskalische Multiplikatoreffekte“, über „sogenannte technologische Spillover-Effekte ... und die Produktivitätsgewinne“ zu erzählen. Z. B. könnte „eine Erhöhung der Militärausgaben um ein Prozent des BIP die Produktivität der Privatwirtschaft langfristig um einen Viertelprozentpunkt erhöhen“. (Kriegstüchtiges Erkenntnisinteresse.)).
„Richtige Antworten in gefährlichen Zeiten“_4
Da Horn „aus rein ökonomischer Sicht“ nicht viel Positives über unsere geplante, massive Aufrüstung zu berichten hat, rechtfertigt er sie mit ihrer übergeordneten Funktion als „die pragmatische Antwort auf wesentliche Fragen in diesen bewegten Zeiten(, in denen) … imperialistische Strömungen in Russland und wohl auch in China die Oberhand gewonnen haben“. Und da kann, muss Kritik ist an Horns Analyse ansetzen. „Imperiale Besessenheit“ ist z. B., Grönland, Kanada, den Panama- und Suezkanal sich nehmen zu wollen. Die Russische Föderation hat sich nicht nach Westen ausgedehnt. Sie hat, mit der Faust in der Tasche, die Nato-Osterweiterung um 10-12 Nachbarländer hingenommen. Jede große Macht, selbst die EU und erst recht die Nato, beanspruchen an ihren Grenzen nach dem Rechten sehen zu dürfen. So wurde die Ukraine von EU/ Nato und von der Russischen Föderation als sicherheitsrelevant „unverzichtbar“ betrachtet.
„Richtige Antworten in gefährlichen Zeiten“_5
Jeder weiß das, und jeder zwischen 1990 und 2020 verantwortliche Politiker wusste, dass Russland die Ausdehnung der Nato auch auf Georgien und die Ukraine als Kriegsgrund betrachtete. Wir haben daraus keine Konsequenzen gezogen. (Hätten wir nicht gesinnungsethisch, sondern verantwortungsethisch gehandelt, hätten wir den russischen Angriffskrieg wahrscheinlich verhindert.) „Der Westen hat insofern die Realitäten von Großmachtpolitik nicht beachtet und dafür muss die Ukraine nun den Preis zahlen“ (Nicole Deitelhoff: Blätter ...6`22). Dass es der Russischen Föderation um Sicherheitsinteressen ging und geht, kann man auch ihren Friedensvorschlägen vom Dezember 2021, den Friedensverhandlungen März/April 2022 und den jüngsten, von US-Trump vorgelegten Friedensvorschlägen entnehmen.
„Richtige Antworten in gefährlichen Zeiten“_6
Die zusätzlichen Absichten Trumps, die Bodenschätze Russlands in großem Maßstab durch die USA heben zu lassen, zeigt, dass es intelligentere Möglichkeiten gibt, mit der Russischen Föderation auszukommen als in konfrontativer Abschottung. Wir wussten das auch schon mal.
„Die ausschließliche Ausrichtung an Abschreckung ist keine belastbare Grundlage für Stabilität“ (Nicole Deitelhoff: Blätter …., 6`22. ).