SPD-Mitgliedervotum: Warum Boris Pistorius so stark auf „gutes Regieren“ setzt
Der SPD-Mitgliederentscheid über Schwarz-Rot läuft. Auf einer online-Konferenz warb Boris Pistorius für ein Ja. Auch um die immer stärker werdende AfD zurückzudrängen.
IMAGO/Bernhard Herrmann
Kämpft um die Zustimmung der SPD-Basis zum Koalitionsvertrag: Boris Pistorius, hier auf der Dialog-Konferenz der Parteispitze in Hannover am 14.04.2025
Eine Woche vor dem Ende des SPD-Mitgliedervotums hat am Mittwochabend Boris Pistorius für die Zustimmung der SPD-Basis geworben. Auf einer digitalen online-Konferenz stand der geschäftsführende Verteidigungsminister den zugeschalteten Genoss*innen eieinhalb Stunden lang Rede und Antwort: zum Koalitionsvertrag und einer möglichen Bundesregierung von SPD und Union.
Seit dem 14. April können die knapp 360.000 Parteimitglieder darüber digital abstimmen. Damit sie möglichst für den Vertrag votieren, legt sich die SPD-Spitze mächtig ins Zeug.
Pistorius: Vertrag „enthält sehr sehr viel Gutes“
In „Dialog-Veranstaltungen“ vor Ort – wie etwa in Hannover, Güstrow und Baunatal – aber auch in mehreren „online-Konferenzen“, wie am Mittwochabend mit Pistorius. Der Koalitionsvertrag sei „ein hartes Stück Arbeit“ gewesen und „länger geworden, als ich es mir gewünscht hätte“, räumt er ein. „Aber er enthält sehr sehr viel Gutes.“ Die SPD sei mit 16,4 Prozent in die Verhandlungen gegangen. „Wenn mir einer vorher gesagt hätte, wir würden in vielen Politikfeldern so viele wichtige Punkte durchbringen, hätte ich es nicht geglaubt – oder ich hätte sofort unterschrieben.“ Was Pistorius besonders gut gefällt: Der Vertrag „baut keine Luftschlösser“, er beschreibe stattdessen „eine pragmatische Politik“ für die Menschen.
Und dann kommt der Minister auf ein Thema zu sprechen, das sich wie ein roter Faden durch die Debatte zieht: die AfD, die aktuell immer neue Höchststände in den Umfragen erreicht,. Gerade vor dem Hintergrund dieser Entwicklung habe die demokratische Mitte jetzt „eine besondere Verantwortung“, betont Pistorius. „Wir sind gefordert als Demokraten, gute Regierungsarbeit abzuliefern und dabei vor allem die Menschen im Land im Blick zu behalten.“
Rechte durch „gutes Regieren“ zurückdrängen
Das gelte ganz besonders für die Migrationspolitik, zu der er immer wieder von Genoss*innen online befragt wird: etwa nach der befristeten Aussetzung des Familiennachzuges oder nach Zurückweisungen an der Grenze in Abstimmung mit den Nachbarländern, wie es im Koalitionsvertrag heißt.
Pistorius warnt in der Debatte vor zwei Fehlern: Weder dürfe man Migration generell verteufeln, noch dürfe man sie als „völlig problemfrei“ verstehen. Die Wahrheit liege in der Mitte. Es könne nicht sein, dass Menschen ohne Bleiberecht trotzdem blieben. „Das verstehen die Menschen nicht.“ Die Akzeptanz dafür bröckele immer mehr. „Wenn uns die Mitte der Gesellschaft verloren geht, spätestens dann muss man reagieren. Aber nicht in der Rhetorik der Rechten.“ Sondern mit dem klaren Anspruch, denen zu helfen, die Schutz brauchen.
Störfeuer der Union beim Mindestlohn
„Ohne Akzeptanz in diesem Feld – übrigens bei innerer Sicherheit auch – laufen uns die Wähler der demokratischen Mitte weg. Und dann überlassen wir unsere Demokratie, unser Land denjenigen, die etwas ganz anderes damit anstellen wollen“, warnt Pistorius vor der AfD. Die beste Möglichkeit die Rechten zurückzudrängen sei „gutes Regieren“, betont er immer wieder an diesem Abend.
Ob es ihn eigentlich ärgere, dass die CDU durch ihre Äußerungen zum Mindestlohn Unruhe in das SPD-Mitgliedervotum bringe, wird Pistorius gefragt. „Es würde mich ärgern, wenn es neu wäre“, antwortet er. Es sei „das alte Spiel“, die eigene Lesart des Vertrages zu vertreten. „Ich find‘ das nicht gut“, räumt Pistorius ein. Aber in der Regierung gelte das Ressortprinzip. Die SPD besetzt das Arbeitsministerium. Deshalb rät Pistorius: „Gelassen abwarten. Das ist jetzt Geplänkel. Ich würde sagen: Abhaken und weitermachen.“
Gute Stimmung unter den Genoss*innen
Auffällig an der Debatte dieser online-Konferenz ist die positive Stimmung: nicht nur von Boris Pistorius sondern vor allem von den Fragenden aus der Partei. Durchweg sind sie sehr freundlich und aufgeschlossen, diskutieren offen, auch mit einem Lächeln. Das ist eine ganz andere Stimmung als bei der No-Groko-Kampagne 2018, als viel Frustration an der SPD-Basis zu beobachten war.
Breiten Raum nimmt in den Fragen der Genoss*innen die Verteidigungspolitik an, für die Pistorius als geschäftsführender Minister verantwortlich ist. Mehrere Fragesteller*innen wollen wissen, ob Schwarz-Rot – anders als die Ampel unter Kanzler Scholz – Tarurus-Raketen an Kiew liefert. „Es gibt keine einfache Antwort darauf“, so Pistorius. Er wundere sich, dass in keinem Unterstützerland der Ukraine so viel über einzelne Waffen diskutiert werde wie in Deutschland. Er verstehe den Wunsch Kiews nach dem Taurus ebenso wie die Furcht vor einer Eskalation. Für Pistorius ist klar: „Putin hat in den letzten drei Jahren sehr klar gemacht, dass er keinen Grund braucht für eine Eskalation.“ In jedem Fall sollte die Entscheidung zu Taurus, egal wie sie ausfalle, deshalb „nicht aus Angst vor Putin“ getroffen werden.
Bleibt Boris Pistorius Verteidigungsminister?
Ob er denn Verteidigungsminister bleiben wolle, wird Pistorius schließlich gefragt. „Wenn ich bleiben darf…“, antwortet er. „Willst du bleiben?“, die Nachfrage. „Ich würde bleiben“, seine Antwort.
Ob es dazu kommt, hängt vom Ausgang des Mitgliedervotums ab. Noch eine Woche haben die Genoss*innen Zeit, sich eine Meinung zu bilden. Abstimmen können sie genau bis 23.59 Uhr am 29. April. Am nächsten Tag wird die SPD das Ergebnis des Votums bekannt geben. Dann wird Deutschland erfahren, ob es bald eine neue Regierung bekommt – und vielleicht auch Boris Pistorius, ob er Verteidigungsminister bleibt.
– Alle wichtigen Informationen zur Regierungsbildung in unserem Nachrichtenticker. –
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wegen Boris und weil „Boris Pistorius so stark auf „gutes Regieren“ setzt“. Und dabei versucht der Vorwärts gar nicht zu manipulieren. In der Tat ist Pistorius der beliebteste Politiker, von schnörkelloser Geradlinigkeit, ein Ein-Mann-ein-Wort Typ, der immer sagt, was er meint, und immer meint, was er sagt. Er sagt (z. B.), „man muss davon ausgehen, dass Russland 2029 in der Lage sein wird, einen Nato-Staat anzugreifen“. Sein oberster Soldat spricht deutlicher von einem „großräumigen Krieg“ (Maischberger, 19.3.25). Genau genommen befinden wir uns schon im Krieg, denn wenn in der Ostsee ein Datenkabel kaputt geht, weiß Pistorius schon vor den Behörden in Schweden, Finnland oder den baltischen Staaten, dass Putin dahinter steckt. Er weiß es auch dann noch, wenn die Untersuchungen der Betroffenen zu keinem Ergebnis gekommen sind. Selbst die „Abhöraffäre um das "Taurus"-Leak“, als hochrangige Bundeswehroffiziere grob fahrlässig über eine "nicht sichere Datenleitung“ (Pistorius)
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darüber schwadronierten, wie mit Taurus die Krim-Brücke zerstört werden könnte (Tagesschau, 20.3.24), ordnete er als „hybriden Angriff zur Desinformation (ein) - es geht um Spaltung, es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben. Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen“ (Tagesschau, 3.3.24).
Der guten Stimmung schadete auch die Frage nach seiner, Pistorius` Meinung nicht, „ob Schwarz-Rot – anders als die Ampel unter Kanzler Scholz – Taurus-Raketen an Kiew liefert“. „Er wundere sich“ über diese deutsche Diskussion, „verstehe aber den Wunsch Kiews“, wie auch „die Furcht vor einer Eskalation“, wisse aber, dass „Putin ...keinen Grund braucht für eine Eskalation“, werde aber auf „keinen Fall … die Entscheidung zu Taurus … aus Angst vor Putin“ treffen. Pistorius, anders ist er gar nicht zu verstehen, wird also, wenn Merz will, liefern – er mochte es nur nicht vor der Abstimmung über den Koalitionsvertrag sagen.
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Auch der Vorwärts dürfte das so sehen, jedenfalls verweist er schon mal vorsorglich auf die „Ukraine-Debatte: Pistorius nennt AfD und Linke „fünfte Kolonnen Moskaus““, in der „SPD-Fraktionsvize Gabriela Heinrich … klar stellt , … es gebe „kein Nein“ aus Berlin zur Taurus-Lieferung an die Ukraine“ (22. Februar 2024).
Selbstverständlich wollen alle unsere Kriegstüchtigen Taurus an die Ukraine geben: bellizistische Besessenheit denkt nur eine eine Richtung.
Wollen wir das auch?
Pistorius
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