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SPD-Kandidatin Julia Klewin: Damit das Leben in Essen wieder gelingt

In Essen ist SPD-Oberbürgermeisterkandidatin Julia Klewin in die Stichwahl eingezogen. Damit ist ihr erstes Etappenziel bei den Kommunalwahlen in NRW erreicht. Im Interview erklärt sie, wie sie den Rückstand gegenüber dem CDU-Amtsinhaber aufholen will und was sie als Rathauschefin vorhat.

von Jonas Jordan · 17. September 2025
Julia Klewin ist SPD-Oberbürgermeisterkandidatin in Essen.

Julia Klewin ist SPD-Oberbürgermeisterkandidatin in Essen.

Herzlichen Glückwunsch zum Einzug in die Stichwahl! Ist das ein Erfolg für Sie?

Vielen Dank für die Glückwünsche. Wir hatten uns das Ziel gesetzt, die Stichwahl zu erreichen, weil der Amtsinhaber beim letzten Mal im ersten Wahlgang durchmarschiert ist. Der Nimbus seiner Unbesiegbarkeit ist dahin. Die erste Etappe ist gelungen und jetzt machen wir weiter mit dem Marathon.

Trotzdem ist der Abstand zu CDU-Amtsinhaber Thomas Kufen deutlich. Sie kamen im ersten Wahlgang auf 20,19 Prozent, Kufen landete bei 42,31 Prozent. Wie wollen Sie diesen Rückstand aufholen?

Sowohl die SPD als auch ich haben in absoluten Zahlen dazugewonnen, obwohl der Bundestrend nicht auf unserer Seite war. Gleichzeitig hat Thomas Kufen bei gestiegener Wahlbeteiligung 15.000 Stimmen verloren. Der Abstand ist in prozentualen Zahlen groß, aber gleichzeitig gibt es knapp 90.000 Personen, die sich nicht für uns entschieden haben. Da ist noch ein großes Potenzial, was man holen kann.

Julia
Klewin

Ich glaube, dass Thomas Kufen mich von Anfang an unterschätzt hat. Das ist das Leid von Frauen in der Politik.

Liegt für Sie eine Chance darin, dass Thomas Kufen Sie vielleicht unterschätzt?

Ich glaube, dass er mich von Anfang an unterschätzt hat. Das ist das Leid von Frauen in der Politik. Er hatte beim Programmparteitag der CDU von einer absoluten Mehrheit gesprochen, die er im Rat gerne mal ausprobieren würde. Davon ist die CDU jetzt weit entfernt. Ich werde weiterhin Gas geben. Ich habe kein Amt zu verlieren. Ich sitze im Stadtrat, freue mich auf die Arbeit da und habe in den letzten Wochen und Monaten gezeigt, dass ich nahezu rund um die Uhr unterwegs bin, an die Türen klopfe und auch dahin gehe, wo es brennt und wo die SPD lange nicht mehr gewesen ist. Daran werde ich weiter anknüpfen. 

Es haben mehr Wähler*innen der SPD bei der Ratswahl ihre Stimmen gegeben als Ihnen bei der Oberbürgermeisterwahl. Wie wollen Sie diese und auch die Wähler*innen von Grünen, Linken und der Partei von sich überzeugen?

Wir werden mit vier Themenschwerpunkten in den weiteren Wahlkampf gehen. Der Schwerpunkt wird im Bereich Bildung liegen. Wir haben eine große Bildungsungerechtigkeit in dieser Stadt. Wir werden außerdem auf Wohnen setzen. Sicherheit und Sauberkeit ist ein großes Thema. Anfangs wurde ich für meine Idee der Mülldetektive noch belächelt. Jetzt hat Thomas Kufen sie im Interview mit der WAZ selbst aufgegriffen. Das vierte Thema ist Wohlstand. In diesen Bereichen sehe ich die größten Baustellen in dieser Stadt.

Julia
Klewin

Es geht jetzt in die Zukunft, und zwar mit mir als Oberbürgermeisterin.

Warum braucht Essen nach zehn Jahren unter einem CDU-Oberbürgermeister den Wechsel?

Das, was Thomas Kufen in den letzten Jahren erreicht hat, ist ziemlich ernüchternd. Wir sind Schlusslicht bei Kita-Versorgung und Bildungsgerechtigkeit. Das Handelsblatt hat uns als Langfrist-Verlierer bezeichnet, gerade in den Bereichen Wohlstand und soziale Lage. 

Die Menschen fühlen sich unsicher in dieser Stadt. Die Vermüllung hat enorm zugenommen. Es gibt massive Beschwerden. Ich stelle die Frage, ob es den Menschen in Essen nach der zweiten Amtszeit von Thomas Kufen besser geht. Die Antwort, die ich häufig bekomme, ist nein. Dann muss die Konsequenz lauten: Kein weiter so, sondern es geht jetzt in die Zukunft, und zwar mit mir als Oberbürgermeisterin.

Sie haben Thomas Kufen dafür kritisiert, dass die AfD während seiner Amtszeit so stark werden konnte. Wie wollen Sie es als Oberbürgermeisterin schaffen, die rechtsextreme Partei in Essen wieder zurückzudrängen?

Ich möchte dafür sorgen, dass der Laden wieder läuft. Menschen wählen nicht die AfD, weil sie grundsätzlich gegen Ausländer sind und alle Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft abschieben wollen, sondern weil sie Angst vor der nächsten Mieterhöhung haben, weil sie keine Jobperspektive haben, weil junge Menschen keine guten Aufenthaltsmöglichkeiten haben, weil sie keine Perspektive sehen. 

Wenn es in der Turnhalle tropft, wenn Schwimmbäder geschlossen sind, die Schulen nicht saniert sind, dann entsteht der Eindruck, dass der Laden nicht läuft und eine große Unsicherheit macht sich breit. Wenn dann gleichzeitig Rattenfänger von der AfD unterwegs sind, die einfache Antworten versprechen, ist es ein leichtes Spiel für den Rechtspopulismus. Thomas Kufen muss sich die Frage gefallen lassen, wie es passieren konnte, dass unter seiner Amtszeit gemeinsam in der Koalition mit Schwarz-Grün die AfD so stark werden konnte.

15,81 Prozent haben für den AfD-Kandidaten gestimmt. Ausgerechnet diese Wähler*innen könnten nun zum Zünglein an der Waage werden. Wie gehen Sie damit um?

Ich weiß gar nicht, ob diese Personen noch mal zur Wahl gehen. Ich weiß auch gar nicht, was ich diesen Menschen anbieten soll.

Wird es eine zielgerichtete Kampagne von Ihnen geben, um AfD-Wähler*innen anzusprechen?

Ich werde überall hingehen, in den Stadtteilen vor Ort sein, Tür-zu-Tür-Wahlkampf machen und weiter so präsent sein in der ganzen Stadt, wie vorher auch. Wenn sich dann AfD-Wähler oder Wählerinnen entscheiden, mich zu wählen, ist das völlig in Ordnung.

Sie haben Ihren Oberbürgermeisterwahlkampf sehr frühzeitig gestartet. Zahlt sich das auf den letzten Metern aus?

Ja, ich denke schon. Ich trete an wie David gegen Goliath. Der Amtsinhaber hat einen riesengroßen Bekanntheitsgrad. Ich habe keine dritte Etage im Rathaus, die mir eine 50-Herzen-Tour durch die ganze Stadt organisiert hat. Deshalb war die Entscheidung richtig, mich früh zu nominieren, damit ich mich auch früh bekannt machen kann. 

Das ist gelungen, denn bei meiner Nominierung kannten mich nur sehr, sehr wenige Leute in der Stadt. Jetzt erkennen mich die Menschen, im Supermarkt, an der Tankstelle, wenn ich mir einen Snack hole oder mein Wahlkampfauto parke. Gleichzeitig fühle ich mich immer noch fit genug für den Endspurt.

Julia
Klewin

Man braucht eine Vision, wo es hingehen soll. Das fehlt bei Thomas Kufen gänzlich. Er wirkt auf mich ideenlos und müde.

Stichwort David gegen Goliath: Mit welcher Steinschleuder wollen Sie den Riesen am 28. September stürzen?

Ich möchte die Menschen davon überzeugen, dass ein Wechsel jetzt notwendig ist. Ich nehme den Amtsinhaber als ideenlos wahr. Es gab Wahlplakate mit ihm, die buchstäblich leer waren. Auf Podiumsdiskussionen wurde er gefragt, was seine Zukunftsvision von der Stadt ist. Darauf gab es keine Antwort. 

So kann man eine Großstadt nicht führen. Man braucht eine Vision, wo es hingehen soll. Das fehlt bei ihm gänzlich. Er wirkt auf mich ideenlos und müde. Und wenn Menschen der Meinung sind, dass es ihnen jetzt nach seiner Amtszeit und nach der schwarz-grünen Kooperation im Rat eher schlechter geht als vor fünf Jahren oder dass das Leben komplizierter geworden ist, dann stehe ich für den Wechsel und möchte damit überzeugen, damit das Leben wieder gelingt.

Wo lägen Ihre Prioritäten in den ersten 100 Tagen als Oberbürgermeisterin?

Mein erster Schwerpunkt wird auf dem Thema Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung liegen. Wir werden ein Sofortprogramm starten, um Angsträume in dieser Stadt zu vermeiden. Wir werden gleichzeitig die Angebote für Menschen in der Wohnungslosigkeit und für drogenkonsumierende Menschen erweitern und als dritten Schlüssel die Anzahl der Kräfte im Ordnungsdienst erhöhen, besonders in den Randzeiten und an den Brennpunkten, an denen am meisten Drogenkonsum und Kriminalität stattfindet. Das ist enorm wichtig, damit Menschen sich wieder trauen, in die Innenstadt zu gehen. 

Der zweite Schwerpunkt wird der Bildungsbereich im Essener Norden sein. Denn wir müssen dringend die Bildungsungerechtigkeit in dieser Stadt reduzieren.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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