Kultur

„Schöne neue Arbeitswelt“: Ausstellung wirft historischen Blick auf Umbrüche

14. November 2025 12:05:14

Von Vier-Tage-Woche bis „Working Poor“: Im LVR-Landesmuseum beleuchtet die Ausstellung „Schöne neue Arbeitswelt“ gesellschaftliche Umbrüche und lädt zum Mitmachen ein.

Ein Arbeiter vor dem Hochofen

Ein Arbeiter vor dem Hochofen von Conrad Felixmüller ist eines der Bilder, die in der Ausstellung „Schöne neue Arbeitswelt“ im Bonner LVR-Landesmuseum zu sehen sind.

Ab 2029 soll der Berliner Stadtteil Siemensstadt wieder an die S-Bahn angebunden sein. Dann wird es 100 Jahre her sein, dass die Verbindung erstmals ihren Betrieb aufgenommen hat. Seit 1980 steht sie still. Die Verbindung steht für eine der großen Herausforderungen der Arbeitswelt, heute wie damals: das Pendeln. Sie ist nicht die einzige – wie die Ausstellung „Schöne neue Arbeitswelt“ zeigt, die seit dem 13. November im Bonner LVR-Landesmuseum zu sehen ist.

Historischer Beitrag zu aktuellen Debatten

Dabei wagen die Kurator*innen bewusst den Blick zurück, genauer gesagt auf die Jahre 1890 bis 1940. Einer von ihnen ist Thorsten Valk, Direktor des Museums. Während einer Pressekonferenz am Mittwochvormittag spricht er von einer ähnlichen „Veränderungsdynamik“ wie im frühen 20. Jahrhundert. Als Beispiele dafür nennt er etwa die zunehmende Verbreitung von Künstlicher Intelligenz, Debatten rund um Arbeitszeitreduzierung und die Einführung einer Vier-Tage-Woche oder die klimaneutrale Transformation. „Wir wollen mit historischer Tiefenschärfe einen Beitrag zur aktuellen Debatte leisten“, sagt Valk.

Beim Blick in die Vergangenheit sind rund 300 Ausstellungsstücke noch bis zum 12. April 2026 zu sehen – Gemälde, Skulpturen, Fotografien, aber auch technikhistorische Objekte und Alltagsgegenstände aus dieser Zeit. Darunter Otto Dix‘ berühmtes Gemälde eines Arbeiterjungen, aber auch Werke vergessener Künstler*innen. Man wolle sie in die Öffentlichkeit zurückzuholen und in Dialog miteinander bringen, erklärt Valk. Das gelingt den Kurator*innen auch deshalb sehr gut, weil sie das eingeübte Muster eines chronologischen Ausstellungsaufbaus durchbrechen und stattdessen sechs Themenkapitel in den Fokus nehmen.

Rheinromantik trifft auf Industrialisierung

Das sorgt zwar für die Herausforderung, dass sich die Besucher*innen in jedem Raum erst einmal wieder neu orientieren müssen. Dafür werden Kontraste deutlicher. So begegnet einem auf der einen Seite des Raumes zu den „Gesichtern der Arbeit“ ein gut betuchter Zahnarzt in seiner Stuttgarter Innenstadtpraxis, während direkt gegenüber ein Stahlarbeiter vor einem Hochofen posiert. „Der Industriearbeiter wird so zum Heros der Moderne“, erklärt Valk.

Nebenan in den „Räumen der Arbeit“ trifft die Rheinromantik des ausgehenden 19. Jahrhunderts auf Industrieanlagen. Kurator Christoph Schmälzle nennt diese Kombination, die noch heute entlang des Rheins um Bonn und Köln zu finden ist, „Poesie der Industrielandschaft“. Wobei den Macher*innen der Ausstellung daran gelegen ist, die Zeit von vor 100 Jahren nicht romantisch zu verklären. 

Die goldenen 20er als trügerisches Versprechen

So finden zwar die „goldenen 20er-Jahre“ ihren Platz – Frauen mit Bubikopf, Jazzmusik, Tanzlokale. Aber gleichzeitig sei genau dieser vermeintliche gesellschaftliche Fortschritt ein „trügerisches Versprechen“, sagt Schmälzle. Denn die Arbeitsplätze von Frauen waren damals wie heute häufig schlechter bezahlt. Hinzu kommt der soziale Druck, nach einer Hochzeit nicht weiterzuarbeiten. Ohnehin kämpften zu dieser Zeit viele Menschen damit, trotz Arbeit finanziell über die Runden zu kommen. „Working Poor und der politische Kampf dagegen sind ein großes Thema“, sagt Schmälzle.

An dieser Stelle kommt die Sozialdemokratie ins Spiel, in der Ausstellung, aber auch in der politischen Realität. Die Forderung nach einem Acht-Stunden-Tag, illustriert anhand einer Arbeiter-Taschenuhr, findet ebenso ihren Platz wie Wilhelm Liebknechts Losung „Wissen ist Macht“. „Viele der Themen können aktueller nicht sein“, sagt Anne Segbers, wissenschaftliche Referentin des Museums, und verweist auf den interaktiven Teil der Ausstellung, der die Brücke in die Jetzt-Zeit schlagen soll. 

Selbst ausprobieren und kreativ werden

Dort können die Besucher*innen selbst ausprobieren und mitmachen, zum Beispiel in einer Debattenarena über das Für und Wider von Windkraftanlagen streiten, über die richtige Mischung von Work-Life-Balance abstimmen oder die eigene Ersetzbarkeit durch Künstliche Intelligenz reflektieren. Vor allem Oberstufenklassen soll so ein Besuch schmackhaft gemacht werden, hofft Segbers. Doch nicht nur für diese lohnt er sich. Denn die Ausstellung zeigt anschaulich, dass Umbrüche und Veränderungen in der Arbeitswelt nicht neu sind, sondern vor 100 Jahren schon einmal gemeistert wurden.

Über die Ausstellung

Die Ausstellung „Schöne neue Arbeitswelt“ ist seit dem 13. November und noch bis zum 12. April im LVR-Landesmuseum in Bonn zu sehen. Geöffnet ist sie von Dienstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr. Der Eintritt beträgt 11 Euro, ermäßigt 7 Euro. Jeden ersten Freitag im Monat ist der Eintritt frei. Jeden Sonntag um 11.30 Uhr werden öffentliche Führungen für 3 Euro zuzüglich zum Eintritt angeboten.

Der interaktive Teil der Ausstellung „Schöne neue Arbeitswelt“ lädt zum Mitmachen ein.
Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

Weitere interessante Rubriken entdecken

0 Kommentare
Noch keine Kommentare