Raus aus der Rezession: „Die deutsche Wirtschaft schöpft langsam Zuversicht“
Zuletzt ist die deutsche Wirtschaft zwei Jahre in Folge geschrumpf, doch allmählich hellt sich die Stimmung bei den Unternehmen auf. SPD-Fraktionsvize Armand Zorn und die Präsidentin des SPD-Wirtschaftsforums Ines Zenke sagen, welche Weichen die Politik jetzt stellen muss.
IMAGO/Westend61
Anschubhilfe für die Wirtschaft: Unternehmen können künftig jährlich 30 Prozent der Kosten für neu angeschaffte Maschinen steuerlich geltend machen.
Allen Prognosen zufolge wird die deutsche Wirtschaft auch in diesem Jahr schrumpfen. Es wäre das dritte Jahr in Folge. Wie beunruhigt sind Sie?
Ines Zenke: Die Prognosen sind nicht gut, das stimmt. Aber gleichzeitig muss man feststellen, dass sich die Stimmung in der Wirtschaft aufhellt. Der ifo-Geschäftsklimaindex steigt seit Monaten. Auch wenn aktuell wieder von Eintrübungen die Rede ist, sehen wir doch, die deutsche Wirtschaft schöpft langsam Zuversicht, aber hat zu Recht große Erwartungen an die neue Bundesregierung. Das deckt sich mit den Reaktionen, die wir von unseren Mitgliedsunternehmen bekommen. Die Erwartungen sind hoch, die Ungeduld aber eben auch, auch und weil die Regierung nun gut 100 Tage im Amt ist.
Armand Zorn: Diese Beschreibung der Situation teile ich. Ich nehme auch wahr, dass Unternehmen gerne mehr investieren und langfristiger planen würden. Sie sehen auch, dass sich die Bundesregierung bemüht, dafür gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaschutz stärkt unseren Standort und bietet Unternehmen die Gelegenheit, sich ebenfalls zu unserem Standort zu bekennen. Gleichzeitig sehen die Unternehmen aber auch, dass es international sehr viele Risiken gibt, und halten sich noch zurück. Deshalb sollten wir jenseits der Sofortmaßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben, auch die strukturellen Reformen angehen, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Ines
Zenke
Wir brauchen eine Haltung, bei der Engagement belohnt und nicht ausgebremst wird.
Zenke: Die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat, werden sich positiv auswirken. Allerdings ist das Vertrauen in diese Maßnahmen innerhalb der Wirtschaft aktuell noch nicht sehr ausgeprägt. Das bestätigen unsere letzten Umfragen. Man ist hier noch sehr skeptisch, auch was Investitionen und Personalaufbau angeht. Projektionen gehen aber von einem deutlichen Anwachsen des Bruttoinlandsprodukts und eine Zunahme von Arbeitsplätzen aus. Wichtig ist, dass nun auch der zweite Schritt folgt: eine konsequente Fortsetzung der Modernisierung des Staates.
Woran denken Sie dabei?
Zenke: Vor allem geht es um Entbürokratisierung, aber auch die langfristige Modernisierung der Schuldenbremse fällt darunter. Dass es hier eine Kommission geben soll, begrüße ich sehr. Wir brauchen aber auch konkrete Ergebnisse.
Zorn: Das Thema Bürokratierückbau ist ein ganz entscheidendes, ebenso wie das Thema Digitalisierung. Dabei geht es auch um schnellere und effektivere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Ich bin mir sicher, dass die Bundesregierung hier die Dringlichkeit verstanden hat und bald konkrete Vorschläge machen wird.
Zenke: Ich sehe viele gute Ansätze im Koalitionsvertrag. Wir müssen aber vor allem die Grundhaltung verändern, dass ein Antragsteller nicht als Gegner wahrgenommen wird, sondern dass Staat und Unternehmen gemeinsam etwas voranbringen wollen, natürlich unter Berücksichtigung von Umweltbelangen und anderen Vorgaben, die nicht zur Disposition stehen dürfen. Wir brauchen eine Haltung, bei der Engagement belohnt und nicht ausgebremst wird. Dieser Mindset des Wollens und Ermöglichens muss sich noch stärker durch die Verwaltungen ziehen. Das ist auch eine Frage konsequenter Führung in diesem Sinne.
Armand
Zorn
Ein Zollsatz von 15 Prozent ist ohne Zweifel eine Belastung – insbesondere für die deutsche Industrie, die in Bereichen wie Automobil, Halbleiter und Pharma eng mit dem US-Markt verflochten ist.
Zorn: Und wir müssen dafür sorgen, dass Gesetze so auf den Weg gebracht werden, dass ihre Umsetzung bürokratiearm ist. Das gilt auch für Dinge, die aus Europa kommen. Das hat in der Vergangenheit leider nicht immer gut funktioniert. Wir müssen uns bei der nationalen Umsetzung europäischer Vorgaben auch fragen, warum bei uns einiges restriktiver und auch komplizierter gehandhabt wird als bei unseren Nachbarn. Als Deutsche haben wir ja den Drang, Dinge besonders gut umzusetzen, aber wir sollten uns ansehen, wo absolute Genauigkeit wirklich notwendig ist. Die Ampelkoalition hat hier schon einiges erreicht. Diesen Weg sollte die neue Koalition konsequent weitergehen. Zum Beispiel haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Zuständigkeit für Datenschutz, die ja bisher in Wirtschaftsfragen bei den Landesdatenschutzbehörden liegt, künftig beim Bundesdatenschutzbeauftragten gebündelt wird.
2024 gab es in Deutschland so viele Unternehmensgründungen wie noch nie. Wie bewerten Sie das?
Zenke: Das unterstreicht, dass viele Menschen das Gefühl haben, jetzt anpacken zu müssen. Die meisten Start-ups verfolgen nicht nur wirtschaftliche Ziele, sondern haben oft auch den weitergehenden Zweck, der oder die Beste zu sein oder völlig Neues auf den Weg zu bringen. Und deswegen kann ich nur sagen, dass ich es sehr erfreulich finde, wenn sich immer mehr Menschen dafür entscheiden, ein Unternehmen zu gründen. Die entscheidende Aufgabe der Politik ist, nicht nur dafür zu sorgen, dass dieser Trend anhält, sondern auch die Bedingungen dafür zu schaffen, dass sich die Unternehmen etablieren können.
Was bedeuten die Zölle aus den USA für die wirtschaftliche Entwicklung?
Zorn: Erst mal bin ich froh, dass der drohende Handelskrieg zwischen der EU und den USA abgewendet werden konnte. Aber natürlich ist das Übereinkommen zwischen der EU und den USA ein schmerzhaftes. Ein Zollsatz von 15 Prozent ist ohne Zweifel eine Belastung – insbesondere für die deutsche Industrie, die in Bereichen wie Automobil, Halbleiter und Pharma eng mit dem US-Markt verflochten ist. Damit müssen wir umgehen. Diese Vereinbarung erinnert uns eindringlich daran, wie notwendig es ist, unsere strategische Autonomie auf europäischer Ebene entschieden voranzutreiben.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
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