Haus der Geschichte: Ausstellung schafft Sprung in die Gegenwart
15 Monate lang dauerte der Umbau. Nun ist die Dauerausstellung unter dem Titel „Du bist Teil der Geschichte. Deutschland seit 1945“ im Haus der Geschichte in Bonn wiedereröffnet worden. Das Warten hat sich gelohnt.
Stiftung Haus der Geschichte/Axel Thünker
Reise-, Rede- und Versammlungsfreiheit: Zahlreiche Transparente dokumentieren die friedliche Revolution in der DDR.
Die Geschichte ist in der Gegenwart angekommen. Zumindest im Haus der Geschichte in Bonn. Gut 15 Monate hat der Umbau der Dauerausstellung gedauert. Und es hat sich gelohnt. Denn die alte Variante war zwar durchaus sehenswert, aber nach drei Jahrzehnten auch schon etwas in die Jahre gekommen. Während die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg minutiös nacherzählt wurde, markierte die Wiedervereinigung in der bisherigen Dauerausstellung das Ende der Geschichte. Es folgte nur noch in einer lieblosen Vitrine der berühmte Notizzettel von Jens Lehmann aus dem Elfmeterschießen des Viertelfinales gegen Argentinien bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 – auch schon fast 20 Jahre her.
„Swiftkirchen“ und ein TikTok-Kanal
Nun begrüßt die Besucher*innen schon vor dem Eingang das Ortsschild von „Swiftkirchen“, eine liebevolle Hommage an die Sängerin Taylor Swift während eines Konzerts in Gelsenkirchen im Sommer 2024, also ziemlich neu. Neu ist auch, dass die Ausstellung nicht mehr im Erdgeschoss beginnt, sondern die Besucher*innen erst mal über mehrere Rampen bis unters Dach des Hauses laufen müssen. Dort erwartet sie die totale Zerstörung – Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf einer interaktiven Karte können sie entdecken, wie die Lage an ihrem Wohnort 1945 war. Per QR-Code gelangen sie zum TikTok-Kanal einer Holocaust-Überlebenden.
Die Ausstellung ist interaktiv aufgebaut, aber nicht nur digital. So können sich Besucher*innen eine Postkarte mitnehmen und an acht Stationen so abstempeln, dass ein Lückentext aus dem Grundgesetz gefüllt wird. Derweil zeigen vier beeindruckende Papierstapel das Ergebnis der Entnazifizierung in Westdeutschland. Rund 93 Prozent wurden entweder entlastet oder als Mitläufer eingestuft. Nur ein Prozent galt als Hauptschuldige und Belastete. Auch gelangten im Osten wie im Westen ehemalige NSDAP-Mitglieder wieder in führende Positionen in Wirtschaft, Justiz, Medien oder Kultur, wie die Ausstellung zeigt.
Gelungene Ost-West-Gegenüberstellung
Die Ost-West-Gegenüberstellung gelingt den Kurator*innen. Erste Wahlen ab 1946, im Westen frei, im Osten nicht. Hier der Volksaufstand vom 17. Juni 1953, dort westdeutsche Heimatfilme aus den 50ern wie „Schwarzwaldmädel“ oder „Der Jäger von Fall“. Die Industrialisierung dies- und jenseits der immer stärker bewachten innerdeutschen Grenze wird exemplarisch anhand der Entwicklung von Wolfsburg und Stalinstadt, dem heutigen Eisenhüttenstadt, gezeigt.
Es folgen Mauerbau, Kalter Krieg mit Bunkeranlagen und der Angst vor dem Atomtod, plötzlich die Aufforderung: „Koche Ćevapčići!“ Darauf folgt kein schnödes Kochbuch, sondern ein virtueller Herd, um das Gericht vom Balkan Schritt für Schritt zuzubereiten. Alternativ wären auch Spaghetti mit Tomatensauce oder Moussaka möglich. Damit wird an die Gastarbeiter*innen erinnert, die in den 60er-Jahren hunderttausendfach in die Bundesrepublik kamen. Passend dazu die BILD-Schlagzeile vom 31. März 1966: „Gastarbeiter fleißiger als deutsche Arbeiter?“ Wenn das Friedrich Merz wüsste! Aber der musste seinen Besuch der Ausstellungseröffnung Mitte Dezember kurzfristig verschieben.
Die Beatles und der Mauerfall
In den 60ern und 70ern waren die Kanzler noch andere, die Schlagzeilen auch: „Die Beatles kommen!“ „Nieder mit dem Schah!“ „Papst Paul VI. sagt Nein zur Pille!“ Schließlich das Aufeinandertreffen von Ost und West bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 in Hamburg, Jürgen Sparwasser aus Magdeburg erzielte den Siegtreffer für die DDR. Wer bei all diesen Themen gut aufgepasst hat, kann sich anschließend in einer Spielshow nach 70er-Jahre-Format messen und sich nach fünf Fragen als Sieger fühlen.
Ein paar Gänge später nimmt Günter Schabowskis Sprechzettel vom 9. November 1989 großen Raum ein, als dieser die Öffnung der DDR-Grenzen in einer Pressekonferenz verkündete. 25.000 Euro zahlte das Haus der Geschichte für dieses Ausstellungsstück und muss nun nach Klagen auch den Namen des Verkäufers offenlegen. Verkauft oder gleich abgewickelt wurden in den Nachwendejahren auch viele ostdeutsche Unternehmen durch die Treuhand, während in nun gesamtdeutschen Jugendzimmern Poster von Take That, den Prinzen oder der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 1994 in den USA hingen.
Und wo die alte Ausstellung schon ihr Ende fand, fängt die neue gerade erst richtig an: Mit den Baseballschlägerjahren und dem NSU, Schröder und der Agenda 2010, Angie und Jogi, Schäuble und den Griechen, Biontech und den Masken, Fridays for future und den „Klimaklebern“ geht es direkt in die Jetzt-Zeit.
Selbst Teil der Geschichte werden
Passend zum Titel: „Du bist Teil der Geschichte!“ können Besucher*innen ihr Geburtsjahr per Handabdruck auf einem Zeitstrahl angeben, sich mit ihrem Namen oder einer besonderen Pose verewigen und am Ende der Ausstellung über das Für und Wider der Wehrpflicht diskutieren. Doch auch für diejenigen, die einfach nur durchlaufen möchten, lohnt sich ein Besuch der Ausstellung, am besten mindestens einen halben Tag Zeit mitbringen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo