Klimaschutz: „Wir brauchen dringend Verlässlichkeit und Planbarkeit“
Zehn Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen warnen die damalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und Klimaaktivist Joschka von Polenz vor zu viel Pessimismus beim Klimaschutz. Beide formulieren klare Erwartungen an den Klimagipfel in Belém.
Dirk Bleicker / vorwärts
Wollen mehr Ambitionen beim Klimaschutz: die ehemalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und Klimaaktivist Joschka von Polenz im Gespräch in der vorwärts-Redaktion
In der Nacht auf den 12. Dezember 2015 war es so weit. Auf der Weltklimakonferenz in der französischen Hauptstadt wurde das „Übereinkommen von Paris“ beschlossen. 195 Staaten verpflichteten sich damit, den Klimawandel einzudämmen und die Weltwirtschaft klimafreundlich umzugestalten. Heute gilt das Pariser Klimaabkommen als Richtschnur für den weltweiten Klimaschutz, nicht zuletzt für die jährlichen Klimakonferenzen, deren 30. Ausgabe zurzeit im brasilianischen Belém stattfindet.
Am 12. Dezember 2015 wurde das „Pariser Klimaabkommen“ von 195 Staaten und der Europäische Union verabschiedet. Sie waren damals als Bundeseumweltministerin maßgeblich an den Verhandlungen beteiligt, Barbara Hendricks. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
Barbara Hendricks: Wie so oft bei solchen Konferenzen fiel die Entscheidung letztendlich in der Nacht. Die Konferenz sollte eigentlich nach zwei Wochen an einem Freitag enden, ging dann aber in die Verlängerung. Als dann buchstäblich der Hammer von Sitzungsleiter Laurent Fabius fiel und klar war, dass wir eine Einigung haben, war die Stimmung sehr euphorisch. Wir waren uns bewusst, dass wir etwas Historisches erreicht hatten.
Bereits bei der Klimakonferenz 2009 hatte man auf einen Durchbruch gehofft, den es dort allerdings nicht gab. Was war sechs Jahre später in Paris anders?
Hendricks: Dass es nicht schon 2009 zu einer Einigung kam, hatte verschiedene Gründe. Zum Glück wurde die Zeit vor der Klimakonferenz in Paris genutzt, um das gesamte System auf andere Füße stellen. Vorher hatten die Länder des Südens mit einem gewissen Recht gegenüber dem Norden gesagt: Ihr habt die Welt über Jahrhunderte verschmutzt, nun müsst ihr auch die Folgen regeln. Hinter dieser Aussage haben sich dann auch Länder wie China versteckt, die in der Zwischenzeit auch industrialisiert waren, und inzwischen selbst zu den größten CO2-Produzenten gehören.
Den Durchbruch brachte die Idee, dass jedes Land das für den Klimaschutz tun muss, was es kann – sowohl wirtschaftlich und finanziell gesehen, aber auch technologisch und letztlich politisch. Daraus sind dann die NDCs entstanden, die Nationalen Klimabeiträge.
Barbara
Hendricks
Erst in Paris ist der politische Wille entstanden, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Gab es einen Punkt in den Verhandlungen, an dem sie wussten, jetzt klappt es mit dem Klimaabkommen?
Hendricks: Ja, den gab es. Häufig wird vergessen, dass erst in Paris das 1,5-Grad-Ziel definiert worden ist. Vorher war monatelang zwischen Beamten verhandelt worden, es gab Inputs von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Allen war klar, dass wir es schaffen müssen, die Erderwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts oder besser noch bis zur Mitte der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen.
Erst in Paris ist dann der politische Wille entstanden, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dass dies gelungen ist, ist einer Initiative des leider schon verstorbenen Außenministers der Marschallinseln, Tony de Brum, zu verdanken. Er hat es geschafft, die „Small Island Developing States“ zusammenzubringen. Sie haben argumentiert, dass sie bei einem Temperaturanstieg von zwei Grad nicht überleben werden, weil der Meeresspiegel dann so stark ansteigen würde, dass sie von der Landkarte verschwinden. So sind wir bei den 1,5 Grad Erderwärmung gelandet.
Die inzwischen immer schwieriger zu erreichen sind. Ist das Pariser Klimaabkommen trotz der damaligen Euphorie gescheitert?
Joschka von Polenz: Nein, das hielte ich für eine fatale Interpretation. Natürlich ist es alarmierend, wenn wir auf eine Erderwärmung von 2,3 bis 2,8 Grad zusteuern, wie die Vereinten Nationen gerade vorhergesagt haben. Aber das Pariser Abkommen hat enorm viel verändert. Die Investitionen in Erneuerbare Energien wurden seither um 500 Prozent gesteigert und das, obwohl die USA schon während Donald Trumps erster Präsidentschaft das Pariser Abkommen gleich wieder verlassen haben. Auch bei den Verhandlungen über das Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten haben die Vereinbarungen von 2015 eine große Rolle gespielt. Trotz aller Rückschläge sind wir beim Klimaschutz auf einem Weg, der in Paris vorgegeben wurde.
Hendricks: Man darf auch nicht vergessen, dass vor Paris alle Projektionen mit einer Erderwärmung von fünf Grad gerechnet haben. Im Vergleich dazu sind die Aussichten heute deutlich besser, wenn natürlich immer noch viel zu hoch.
Joschka
von Polenz
Statt immer über Jahres- oder Gradzahlen zu diskutieren, halte ich es für sinnvoller, endlich mal ins Handeln zu kommen.
Ist das 1,5-Grad-Ziel denn noch realistisch?
von Polenz: Statt immer über Jahres- oder Gradzahlen zu diskutieren, halte ich es für sinnvoller, endlich mal ins Handeln zu kommen. Besonders ärgert mich das bei der Diskussion über das Verbrennerzulassungsverbot. Statt über die Zustände im Jahr 2035 abstrakte Diskussionen zu führen, sollten wir lieber gucken, was wir jetzt konkret zur Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen oder dem Ausbau der Ladeinfrastruktur machen können. Gift für die Klimadebatte ist es hingegen, Ziele zu fassen und sie wenig später wieder anzuzweifeln. Verbraucher wie Unternehmen brauchen dringend Verlässlichkeit und Planbarkeit.
Hendricks: So sehe ich das auch. Es sendet ein fatales Signal, wenn wir jetzt anfangen, über Jahres- oder Gradzahlen zu diskutieren. Es gibt auch eigentlich keinen Grund für Pessimismus. Auch wenn manches noch zu langsam geht, sind viele Länder auf einem guten Weg. Das wird in der öffentlichen Debatte häufig nicht so richtig gesehen.
Zudem scheint Klimaschutz mehr und mehr zu polarisieren. Über das Verbrenner-Aus wird ähnlich emotional debattiert wie über das Heizungsgesetz. Woran liegt das?
Hendricks: Leider wird die Debatte über den Klimaschutz mehr und mehr emotional statt rational geführt. Das Heizungsgesetz ist hier bisher das abschreckendste Beispiel. Dabei sollte allen klar sein, dass sich auch wirtschaftlich der Betrieb von Gasheizungen bald nicht mehr lohnen wird, ebenso das Fahren von Autos mit Verbrennungsmotor. Der Preis für fossile Brennstoffe wird in den kommenden Jahren deutlich steigen, der für Erneuerbare Energien dagegen sinken. Das weiß eigentlich auch jeder.
von Polenz: Und die volkswirtschaftlichen Schäden durch einen fortschreitenden Klimawandel kommen ja noch dazu. Eine Studie hat ermittelt, dass die Verluste in der EU, die durch Hitzewellen, Dürren und Überflutungen entstehen, in diesem Jahr bereits 43 Milliarden Euro betragen, was 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union entspricht. Zum Vergleich: Das ist die gleiche Größenordnung an Verlust wie die Wirtschaftsschrumpfung in Deutschland 2024.
Deshalb fand ich es interessant, dass vor der diesjährigen Klimakonferenz in Belém die Vorstände zahlreicher Unternehmen einen Appell an die Bundesregierung gerichtet haben, mehr in Klimatechnologien zu investieren. Das zeigt ja, dass Klimaschutz von zentralen Entscheidern nicht als Wettbewerbsnachteil wahrgenommen wird, sondern als Chance für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Barbara
Hendricks
Die Politik muss beim Klimaschutz die Richtung vorgeben. Ansonsten wird es nicht funktionieren.
Hendricks: Die Debatte über das Heizungsgesetz hat gezeigt, wie es nicht geht. Da wurden zum Teil bewusst Ängste geschürt. Auf der anderen Seite lief die Kommunikation sehr schlecht. Tatsache ist, dass im Gebäudebereich nach wie vor sehr viel CO2 ausgestoßen wird. Darauf muss die Politik reagieren. Ein beliebter Ausdruck ist ja heutzutage der Begriff „Technologieoffenheit“. Das klingt gut, ist aber letztlich nur ein anderes Wort für Entscheidungsschwäche. Die Politik muss beim Klimaschutz die Richtung vorgeben. Ansonsten wird es nicht funktionieren. Ein entscheidender Faktor für die Akzeptanz ist allerdings, dass der Klimaschutz sozial gerecht geschieht und nicht zulasten der Ärmsten erfolgt.
von Polenz: Genauso ist es! Der Ausstoß von CO2 wird ja absehbar teurer werden, wenn ab 2027 die zweite Phase des Europäischen Emissionshandelssystems greift. Auch wenn über das Datum inzwischen schon wieder diskutiert wird, muss das schon jetzt gut kommuniziert werden, damit sich alle darauf einstellen können. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass sich tatsächlich Mehrheiten gegen den Klimaschutz organisieren. Das müssen wir unbedingt vermeiden.
Sie sehen also nach wie vor großen Rückhalt für den Klimaschutz?
von Polenz: Ja, auf jeden Fall. 80 Prozent der Weltbevölkerung sagen, dass sie sich mehr Bemühungen für den Klimaschutz von ihren nationalen Regierungen wünschen. In Deutschland hat man das zuletzt beim Klimaentscheid in Hamburg oder dem Baumentscheid in Berlin gesehen. Wenn Menschen Klimaschutz ablehnen, dann nach meiner Erfahrung meistens, weil sie fürchten, er könnte sozial ungerecht sein. Diese Ängste müssen und können wir nehmen. Dann erhält der Klimaschutz auch wieder mehr Rückenwind.
Tut die Bundesregierung genug für den Klimaschutz?
von Polenz: Der Koalitionsvertrag ist in Sachen Klimaschutz eher enttäuschend. Mit der CDU ist es aber auch sehr schwierig, hier etwas durchzubringen. Ich weiß aber, dass es im Umweltministerium von Carsten Schneider sehr viele gute Ideen und Vorschläge gibt. Das Sondervermögen bietet ebenfalls viele Möglichkeiten für den Klimaschutz. Entscheidend ist, dass es nicht zu einem Verschiebebahnhof wird, sondern wirklich für zusätzliche Investitionen in die Klimainfrastruktur genutzt wird.
Joschka
von Polenz
Europa muss in Belém eine Führungsrolle übernehmen.
Zurzeit trifft sich die Weltgemeinschaft zum Klimagipfel, der COP30, im brasilianischen Belém. Welche Erwartungen haben Sie an das Treffen?
Hendricks: Entscheidend wird zunächst sein, dass die Weltgemeinschaft beim Klimaschutz nach dem erneuten Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen zusammenbleibt. Ich bin aber zuversichtlich, dass das auch gelingen wird. Inhaltlich wird es darum gehen, bei Fragen wie dem Umgang mit Schäden und Verlusten durch den Klimawandel zu klaren Ergebnissen zu kommen. Positiv finde ich, dass der geplante Fonds zum Schutz des Regenwalds kommen wird. Dafür hat sich der brasilianische Präsident Lula stark eingesetzt.
von Polenz: Europa muss in Belém eine Führungsrolle übernehmen. Wir müssen dafür auch unangenehme Gespräche führen, zum Beispiel China bei einer Reform in multilateralen Entwicklungsbanken und im IWF ins Boot holen, damit wir die Finanzierungskapazitäten der Schwellen- und Entwicklungsländer erhöhen können. Ein Erfolg wäre außerdem, wenn es in Belém gelingt, einen systematischen Ansatz für die Mobilisierung von privaten Investitionen für den Klimaschutz zu finden. Interessant finde ich auch, wie die EU darauf reagiert, dass die USA sich erneut aus dem Pariser Abkommen zurückziehen, Bundesstaaten wie Kalifornien aber weiter auf Klimaschutz setzen und bei der Konferenz Präsenz zeigen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.