Kultur

150 Jahre Thomas Mann: Welche Hoffnungen der Dichter in die SPD setzte

Am 6. Juni ist Thomas Manns 150. Geburtstag. Eine Ausstellung widmet sich seinem Engagement für die Demokratie und gegen deren Feind*innen. Manns Verhältnis zur SPD spielt dabei eine wichtige Rolle.

von Nils Michaelis · 5. Juni 2025
Thomas Mann an seinem Schreibtisch

Streiter für die Demokratie: Thomas Mann wurde am 6. Juni 1875 in Lübeck geboren.

Als am 4. März 1925 Reichspräsident Friedrich Ebert zu Grabe getragen wird, steht Deutschland still. Fünf Minuten lang ruht der Verkehr, die Beschäftigten der großen Firmen versammeln sich auf den Straßen. Zwei Tage später erscheint in der „Frankfurter Zeitung“ ein Nachruf auf den Sozialdemokraten. Er stammt aus der Feder eines Mannes, der sich erst wenige Jahre zuvor vom konservativen Monarchisten zum Anhänger der jungen deutschen Republik und der Sozialdemokratie gewandelt hatte. Es ist Thomas Mann. 

Thomas Mann lobte Friedrich Ebert in Reden und Briefen

Nach 1918 galt der bedeutendste deutschsprachige Schriftsteller des 20. Jahrhunderts zunächst als Anhänger der Konservativen Revolution. In seinem Text über Ebert schlug er andere Töne an. Darin äußerte er den Wunsch, „der neue Präsident möchte mit denselben Eigenschaften begabt sein, die Ebert auszeichneten“. Auch in Reden und Briefen lobte er den SPD-Spitzenmann, bezeichnete ihn als „König der Republik“ oder als „Bürger unter Bürgern“. 

Wie wurde aus Mann ein Verteidiger demokratischer Freiheiten, der nach 1933 vom Exil aus die Verbrechen des NS-Regimes anprangerte und zur ebenso prominenten wie einflussreichen Stimme des „anderen Deutschlands“ wurde? Und was lässt sich aus diesem demokratischen Engagement, das publizistisch im Jahr 1922 mit der Rede „Vor deutscher Republik“ begann, für die Gegenwart lernen? 

Caren 
Heuer

Thomas Mann teilte die Werte der Sozialdemokratie und sah sie als letztes Bollwerk gegen Hitler.

Mit diesen und vielen anderen Fragen zur Vita des Literaturnobelpreisträgers befasst sich die Ausstellung „Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie“ in Lübeck, wo Mann 1875 geboren wurde. Sie steht im Zentrum eines Veranstaltungsprogramms, das anlässlich des 150. Geburtstages des Schöpfers der „Buddenbrooks“ am 6. Juni auf die Beine gestellt wurde. 

An diesem Tag wird die Ausstellung zu seinen politischen Häutungen, die sich in Reden, Essays und Briefen niederschlug, im Buddenbrookhaus eröffnet. Laut einer Ankündigung zeichnet sie seine politische Emanzipation vom Reaktionär zum Demokraten nach und inszeniert das politische Engagement in Leben und Werk multimedial.

Thomas Manns Berührungspunkte mit der Sozialdemokratie

Dabei kommen immer auch die Berührungspunkte mit der Sozialdemokratie zum Tragen. Eine Verbindung, die für den Sohn einer Hanseaten-Familie keinesfalls selbstverständlich war, sich angesichts der politischen Zeitläufte aber fortlaufend entwickelt hat. Das zeigt sich an seinem Verhältnis zur Arbeiterklasse. Deren Nöte hätten ihn während der Zeit des Kaiserreiches kaum beschäftigt, sagt Caren Heuer. Sie ist Direktorin des Buddenbrookhauses, das mit Partnern wie der Deutschen-Thomas-Mann-Gesellschaft das Lübecker Jubiläumsprogramm betreut. 

Mit Beginn der Weimarer Republik habe sich seine Haltung geändert. „Nun sind die Arbeiter gleichberechtigt an der politischen Macht beteiligt. Erst jetzt gerät diese Schicht für ihn in den Fokus“, so die Germanistin. Sie verweist auf die im Februar 1933 unter dem Titel „Bekenntnis zum Sozialismus“ publizierte Rede. Darin heißt es: „Meiner Überzeugung nach bin ich heute eher Sozialist als Bürger.“ 

Hans 
Wißkirchen

Thomas Mann hat erkannt, dass sich die Demokratie gegenüber ihren Feinden durch Taten beweisen muss.

In einer nie gehaltenen Rede vor Wiener Arbeiter*innen habe Mann geschrieben: „Die Idee der Freiheit und des Geistes ist heute besser aufgehoben bei den Arbeitern als im Bürgertum.“ Für Heuer ist klar: „Thomas Mann teilte die Werte der Sozialdemokratie und sah sie als letztes Bollwerk gegen Hitler. Er träumte von einer sozialen Demokratie als humanitäre Antwort für die gesamte Welt.“

„Diese Haltung setzt sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort“, sagt Hans Wißkirchen. „Seine Vorstellung von einem Nachkriegsdeutschland entsprach nicht der von Konrad Adenauer, sondern war nahe bei Kurt Schumacher. Der Präsident der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft sieht eine weitere Kontinuität: „Schon in den 30er-Jahren war Thomas Mann ein Bürger, der gemerkt hatte, wohin sich Bürger verirren können. Und der gemerkt hatte, wohin dieses bürgerliche Denken in den äußersten Extremen führt. Nämlich in den Faschismus.“ 

Deswegen habe Mann gesagt hat, die Deutschen müssten sich der Sozialdemokratie annähern. „Das war keine Liebes-, sondern eine Vernunftbeziehung“, betont er. Dennoch sei Mann immer ein eher konservativer Bürger geblieben.

Thomas Mann als Vorbild gegen die AfD

Aus Sicht von Heuer und Wißkirchen dient Mann auch heutzutage als Vorbild. Vor allem, wenn es darum geht, den Verzerrungen und Lügen aufseiten von Rechtspopulist*innen und Rechtsextremist*innen wie der AfD zu begegnen. Schon in den Reden aus den 20er-Jahren habe Mann faktenfreie und wissenschaftsferne Aussagen politischer Extremist*innen kritisiert, so Heuer. „Wir können von ihm lernen, dass es einen moralischen Kompass gibt, der immer gilt, unabhängig vom Zeitgeist. Und dass man der durch ihn geförderten Polarisierung nicht entspricht.“

Wißkirchen ergänzt: „Thomas Mann hat erkannt, dass sich die Demokratie gegenüber ihren Feinden durch Taten beweisen muss. Tut sie nichts, schafft sie sich selbst ab. Die Freiheit zu verteidigen, stand für ihn ganz oben.“ Der Literaturwissenschaftler ist sich sicher: „In der Debatte um ein Verbot der AfD würde Mann wohl eher zu den Befürwortern zählen. Eben weil er erleben musste, was passiert, wenn sich zu wenige für die Demokratie starkmachen.“

Das Jubiläumsprogramm zum 150. Geburtstag von Thomas Mann zieht sich durch das ganze Jahr. Podiumsdiskussionen, Lesungen und eine Fachtagung widmen sich verschiedenen Facetten seines Werkes und seines Lebens. Am 6. Juni findet in der Kirche St. Aegidien ein Festakt mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther statt. 

Weitere Informationen zum Jubiläumsprogramm unter buddenbrookhaus.de

Zum Weiterlesen: 
Mit den politischen Dimensionen bei Thomas und Heinrich Mann beschäftigt sich Hans Wißkirchens neues Buch „Zeit der Magier. Thomas und Heinrich Mann 1871-1955“ (S. Fischer Verlage, 464 Seiten, 28 Euro).

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