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Ralf Stegner: „Die SPD muss Teil der Friedensbewegung bleiben“

Ralf Stegner ist neuer Vorsitzender des friedenspolitischen Erhard-Eppler-Kreises. Im Interview sagt der SPD-Außenpolitiker, warum er in Zeiten globaler Krisen auf Diplomatie setzt und trotzdem kein Pazifist ist. Auch zu seiner umstrittenen Reise nach Baku äußert er sich.

von Kai Doering · 16. Mai 2025
SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner im Gespräch

SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner: Auch Willy Brandt und Egon Bahr waren nicht naiv.

Erhard Eppler war Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und lange Jahre Bundes- sowie Landtagsabgeordneter der SPD. Bis zu seinem Tod 2019 galt er als ein „Vordenker“ der Partei. Was verbindet Sie persönlich mit Erhard Eppler?

Erhard Eppler ist ein sozialdemokratisches Vorbild. Wenn man sich mit ihm getroffen hat, ist man immer klüger aus dem Gespräch herausgegangen als man reingegangen ist. Ich habe Erhard Eppler immer als einen klugen Denker und Ratgeber für die SPD empfunden und als jemanden, der sich mit seiner ganzen intellektuellen Stärke und Kraft eingesetzt hat für eine gerechtere Welt, für Entwicklungszusammenarbeit und für Frieden. Dabei war er durchaus auch unbequem. Das hat mir stets imponiert.

Kurz vor seinem Tod hat Eppler den Arbeitskreis „Frieden 2.0“ gegründet, nachdem der damalige und wieder aktuelle US-Präsident Donald Trump den Rüstungskontrollvertrag über Mittelstreckenraketen gekündigt hatte. Am Dienstag sind Sie neben Gernot Erler zum neuen Vorsitzenden des Arbeitskreises gewählt worden. Wie kam es dazu?

Ich habe schon länger im Erhard-Eppler-Kreis und auch im Willy-Brandt-Kreis mitgearbeitet, insbesondere bei Fragen, die mit Friedenspolitik zu tun haben. Das hatte auch damit zu tun, dass ich das Gefühl hatte, dass wir als SPD das Thema Frieden in den Wahlkämpfen zu sehr den Populisten überlassen haben – obwohl wir im Bundestag fast die Einzigen sind, die die Frage der Ukraine-Unterstützung differenziert beantworten. Da hätte unsere Position – Unterstützung der Ukraine, auch militärisch, aber gleichzeitig auch diplomatische Anstrengungen – mehr Widerhall verdient gehabt. 

Ich bin fest davon überzeugt, dass die SPD Teil der Friedensbewegung bleiben muss. Insbesondere Rolf Mützenich hat hier als Fraktionsvorsitzender einen großen Anteil daran, dass in der vergangenen Legislatur nicht nur die Logik des Militärischen im Vordergrund gestanden hat.

Welche Rolle kann der Erhard-Eppler-Kreis dabei spielen?

Der Erhard-Eppler-Kreis kann innerhalb der SPD dafür werben, dass wir uns wieder als Teil einer Bewegung verstehen, die dafür eintritt, dass wir unsere Ressourcen nutzen, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen und die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, statt immer weiter aufzurüsten und die Fähigkeit zu perfektionieren, unseren Planeten zu zerstören.

Ralf Stegner zum Krieg in der Ukraine: „Diplomatie ist kein Appeasement“

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine dreht sich vieles um eine bessere Ausstattung der Bundeswehr. Außenminister Johann Wadephul hat sich gerade dafür ausgesprochen, Deutschland solle fünf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung ausgeben. Rückt die Diplomatie zu sehr in den Hintergrund?

Ich finde, ja. Diplomatie wird oftmals mit Appeasement gleichgesetzt oder mit Naivität oder womöglich gar einer Anhängerschaft an Diktaturen, was ja überhaupt nicht der Fall ist. 

Auch Willy Brandt und Egon Bahr waren ja nicht naiv und haben auch nicht nur mit Demokraten verhandelt, sondern schwierige Gespräche geführt, zum Beispiel in der Sowjetunion. Ihnen war bewusst, dass man die Generationen daran hindern muss, dass sie gegeneinander in den Krieg ziehen, indem sie sich kennenlernen und die Sprache des anderen lernen. Dafür hat Willy Brandt vollkommen verdient den Friedensnobelpreis bekommen. 

Im Nahen Osten sehen wir gerade schmerzlich, wohin es hinführt, wenn junge Generationen im Hass aufeinander aufwachsen.

Also „Frieden schaffen ohne Waffen“?

Natürlich müssen wir bündnis- und verteidigungsfähig sein. Ich gehöre nicht zu den Pazifisten. Wir haben in Deutschland nur deshalb eine Demokratie, weil Nazi-Deutschland militärisch besiegt worden ist. Und ich bin auch dafür, denen beizustehen, die bedroht werden. 

Aber unser Problem ist sicher nicht, dass wir zu wenig Waffen in der Welt haben. Wir stecken erst Milliarden in Aufrüstung und dann Milliarden in den Wiederaufbau von zerstörten Gebieten wie Aleppo in Syrien oder den Gaza-Streifen oder die Ukraine. Das kann doch nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Wer sich für diplomatische Lösungen einsetzt, setzt sich schnell dem Vorwurf aus, naiv zu sein oder schlimmer noch ein Anhänger Putins. Woher kommt dieser Rigorismus?

Ich beobachte da einen gewissen Moralismus. Ich habe seinerzeit Kurt Beck empfohlen, sich dafür einzusetzen, mit den Taliban in Afghanistan zu reden. Dafür ist er öffentlich verprügelt worden. Inzwischen sind die Taliban zurück an der Macht und es wird viel mit ihnen gesprochen. Damit heißt man nicht gut, was sie tun, aber wer miteinander redet, schießt nicht aufeinander. Mit diesem Hinweis hatte Helmut Schmidt seinerzeit vollkommen recht. 

In Teilen der deutschen Gesellschaft gibt es auch einen Wunsch, Deutschland müsse wieder eine Führungsmacht sein. Das ist nicht falsch, aber das sollten wir nicht militärisch sein, sondern in anderen Bereichen, etwa in der Entwicklungszusammenarbeit. Sich hier zu engagieren, ist echte Friedensarbeit. Willy Brandt, Egon Bahr und auch Erhard Eppler haben das verstanden. Diese pragmatische Außenpolitik wird zu Unrecht als Appeasement oder als unmoralisch betrachtet.

Ralf Stegner zum Treffen in Baku: „Die russische Seite war enttäuscht“

Sie sind zuletzt scharf dafür kritisiert worden, dass Sie sich im April in Baku mit Vertretern der russischen Regierung getroffen haben. Können Sie die Aufregung nachvollziehen?

Mir ist da eine Menge vorgeworfen: Ich sei naiv oder gar Propagandisten auf den Leim gegangen. Ich sehe in Gesprächen wie denen in Baku eher die Chance, anderen zu vermitteln, dass die Sozialdemokratie für Demokratie einsteht, und Angriffskriege wie den Russlands in der Ukraine nicht billigt. Ich habe das Gefühl, dass das auch verstanden worden ist. 

Gleichzeitig war mir wichtig herauszufinden, ob die russische Seite für unsere Positionen und Argumente zugänglich ist und gleichzeitig zu zeigen, dass sie weiter mit uns sprechen können. Kanäle für eine gegenseitige Verständigung aufrechtzuerhalten, halte ich für ganz entscheidend, wenn wir den Krieg in der Ukraine beenden wollen.

Ist das auf russischer Seite angekommen?

Ich glaube, sie waren eher enttäuscht, dass wir bei allem Eintreten für Diplomatie glasklar sagen, dass wir es nicht akzeptieren, wenn ein Land wie die Ukraine überfallen wird und Grenzen mit Gewalt verschoben werden. Deshalb wurde ein Bericht des Treffens ja auch geleakt, wie ich annehme, von russischer Seite.

Die Kritik richtet sich auch darauf, dass Sie als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums Zugang zu Geheiminformationen haben, an denen Russland Interesse haben könnte.

Man muss mich nicht abhören, um zu erfahren, was ich denke. Dafür reicht es, mir zuzuhören, was ich öffentlich sage. Ich sage nämlich überall das Gleiche, das hängt nicht vom Gesprächspartner ab. Und natürlich gebe ich bei einem solchen Treffen keine geheimen Informationen preis. 

Ich würde ein solches Treffen übrigens auch lieber in der Schweiz machen als in Aserbaidschan. Aber ich gehöre auch nicht zu den Leuten, die dort Geschäfte machen, wie das andere Kollegen im Bundestag getan haben.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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