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Millionärsparadies Deutschland: Warum die Ungleichheit hier so hoch ist

Deutschlands Wirtschaft steht still, die Vermögensungleichheit wächst und ist europaweit spitze. Wer profitiert davon – und wer bleibt abgehängt?

von Lea Hensen · 30. September 2025
Die Düsseldorfer Königsallee zählt zu den teuersten Einkaufsstraßen Deutschlands.

Die Düsseldorfer Königsallee zählt zu den teuersten Einkaufsstraßen Deutschlands.

Die deutsche Wirtschaft stagniert, der Export schwächelt, aber trotzdem ist Deutschland in vieler Hinsicht ein sehr reiches Land. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt stemmt fast ein Viertel der Wirtschaftsleistung Europas. Menschen verdienen hierzulande überdurchschnittlich viel, haben einen hohen Lebensstandard, und sind überdurchschnittlich vermögend. In Deutschland leben mehr Milliardär*innen als in den meisten Ländern der Welt.

Ein reiches, aber ungerechtes Land

Allerdings: In kaum einem anderen Industrieland ist Reichtum so ungleich verteilt. Deutschland gehört zu den reichsten Ländern der Welt, hat aber eine der ungerechtesten Vermögenskonzentrationen in Europa.

Vermögen ist in Deutschland noch ungerechter verteilt als Einkommen. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung verfügt zusammen über kaum nennenswertes Vermögen, genauer 1,5 Prozent. Der Großteil des Gesamtvermögens, rund zwei Drittel, liegt in den Händen der reichsten zehn Prozent. Die Mittelschicht bekommt weniger als ein Drittel. Je weiter man die Vermögensleiter nach oben klettert, desto stärker konzentriert sich der Reichtum. Das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt mehr als ein Drittel des Gesamtvermögens Deutschlands – und den obersten 0,1 Prozent, also den Reichsten der Reichen, gehört sogar ein ganzes Fünftel des Wohlstands in diesem Land.

Nur Österreich ist ungleicher

Die Angaben stammen aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) von 2021. Sie beziehen sich auf das Nettovermögen in Privathaushalten, das sich aus Finanzvermögen, Sachvermögen, Unternehmensvermögen und Immobilienbesitz zusammensetzt – abzüglich Schulden oder anderer Verbindlichkeiten wie Kredite. Finanzvermögen meint zum Beispiel Aktien, Anleihen, Fonds oder Sparkonten und Versicherungswerte.

Der sogenannte Gini-Koeffizient ermöglicht einen Vergleich mit anderen Ländern. Liegt der Wert bei 0, würden alle gleich viel besitzen, liegt er bei 1, wäre alles auf einen Haushalt konzentriert. Laut der Deutschen Bundesbank lag er 2024 für Deutschland bei 0,72. In Europa ist die Ungleichheit nur in Österreich größer. Brasilien hatte laut UBS Global Wealth Report im selben Jahr einen geringfügig höheren Wert von 0,8.

Allein durch Arbeit sind Rücklagen für viele unmöglich

In Deutschland geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander. Während Familien aus der Mittelschicht im Schnitt etwa 43 Prozent Steuern und Abgaben auf ihr Arbeitseinkommen zahlen, entrichten Multimillionär*innen und Milliardär*innen oft nur zwischen 25 und 30 Prozent auf ihr gesamtes Einkommen, berichtet die NGO Oxfam. Allein durch Arbeit ist es vielen Deutschen gar nicht möglich, Rücklagen zu bilden und Eigenkapital anzusparen. 

Auf der anderen Seite sitzen am oberen Ende der Skala sehr reiche Menschen, die ihr Einkommen aus ihrem Vermögen ziehen. Wohlhabendere Haushalte können in Unternehmensbeteiligungen, Immobilien und risikoreiche Aktien investieren und erzielen dabei höhere Erträge. Ärmere haben ihr Vermögen auf Giro- oder Sparkonten oder in sicheren Anlagen und profitieren kaum. Der Aufstieg von einer Vermögensstufe in die nächste ist für die meisten schwer bis unmöglich, weil Vermögen meistens nur dort wächst, wo es schon vorhanden ist.

Weniger als 100.000 Euro

Dabei geht es gar nicht darum, reich zu werden – das sind die allermeisten Deutschen überhaupt nicht. Da es schwierig ist, Vermögen genau zu erfassen, weichen die Werte in unterschiedlichen Studien teils stark ab. Aus der aktuellen Umfrage der Deutschen Bundesbank unter rund 4.000 Haushalten geht hervor, dass das Nettovermögen pro Haushalt 2023 im Schnitt bei rund 324.800 Euro lag. 

Gegenüber 2021 war die Zahl leicht angestiegen, ihr Wert durch die Inflation aber um knapp 11 Prozent gesunken. Tatsächlich besitzen die meisten Deutschen aber deutlich weniger, das Durchschnittsvermögen ist durch Extremwerte an der Spitze der Skala verzerrt. Aussagekräftiger ist das mittlere Vermögen, genannt Median, das die ärmere Hälfte der Bevölkerung von der reicheren trennt. Den Angaben nach lag es 2023 bei 103.200 Euro. Die Hälfte aller Haushalte besaß demnach weniger als diese Summe.

Ostdeutsche leiden weiter unter der Wende

Besonders stark ist die Ungleichheit zwischen Osten und Westen: So lag der Median im Osten mit 35.900 Euro weit hinter dem im Westen von 143.200 Euro zurück. Das mittlere Vermögen im Westen ist also rund viermal höher als im Osten. Die neuen Bundesländer leiden bis heute unter dem massiven Wertverlust von Geld- und Immobilienvermögen während der Wende.

Aber wie viel Vermögen sammelt sich am oberen Teil der Pyramide? Forscher*innen stehen an dieser Stelle vor einem blinden Fleck: Seit 1997 die Vermögensteuer ausgesetzt wurde, fallen vor allem höhere Vermögen aus der Statistik. In der Steuererklärung müssen nur Erträge angegeben werden, die aus Vermögen entstehen, etwa Mieteinnahmen oder Renditen. Die tatsächlichen Werte werden anhand von stichprobenartigen Umfragen geschätzt. Dabei werden gerade sehr hohe Vermögen kaum bis gar nicht erfasst. Denn sehr reiche Menschen reden in der Regel ungern über den genauen Umfang ihres Reichtums. Die Vermögenswerte an der Spitze werden also systematisch unterschätzt.

Millionärsparadies Deutschland

Die Bundesbank schätzt, dass die oberen zehn Prozent der Gesellschaft 2023 jeweils ein Vermögen von mindestens rund 780.000 Euro hatten. Ab diesem Wert steigt der Wohlstand erheblich, schließlich verfügt das reichste ein Prozent über mehr als ein Drittel von allem. Und so wundert es kaum, dass in Deutschland besonders viele Millionär*innen und Milliardär*innen leben. 

Laut dem World UBS Global Wealth Report 2024 besitzen gegenwärtig etwa 1,6 Millionen Menschen hierzulande ein investierbares Vermögen von mindestens einer Million Euro. Das Forbes-Magazin schätzt die Zahl der Milliardäre in Deutschland auf 171 – und damit 39 mehr als im Vorjahr. Deutschland hat damit die viertmeisten Milliardär*innen der Welt, nach den USA, China und Indien. Der reichste Deutsche ist laut dem Magazin Dieter Schwarz, Eigentümer der Schwarz-Gruppe, zu der Kaufland und Lidl gehören. Ihm soll ein Vermögen von 37,3 Milliarden Euro gehören.

Vererbt und verschenkt

Wie kommen diese Menschen zu ihrem Reichtum? Das meiste davon wird vererbt und verschenkt. Laut Statischem Bundesamt gab es allein im Jahr 2023 einen Rekordwert an Schenkungen und Erbschaften von 121,5 Milliarden Euro. Das waren fast 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Vor allem Betriebsvermögen werden verschenkt, der Wert hat sich von 2022 zu 2023 sogar verdoppelt. Das Bundesamt erfasst nur Beträge, auf die Schenkungs- oder Erbschaftsteuer anfallen. Die meisten Erbschaften und Schenkungen liegen innerhalb von Freibeträgen und tauchen in der Statistik gar nicht auf. Das DIW schätzt ihren Wert auf bis zu 400 Milliarden Euro jährlich.

Das ist wohl die größte Ungerechtigkeit: Ein Erbe erhält hierzulande auf einen Schlag so viel, wie die Allermeisten in ihrem ganzen Leben nicht verdienen. Studien zeigen, die meisten Erben sind sich ziemlich ähnlich: Sie sind männlich, haben keine Migrationsgeschichte und einen höheren Bildungsstand. Diese Struktur setzt sich über Generationen fort. Wer viel besitzt, ist in vielen Bereichen bevorteilt: Er hat Zugang zu besserer Bildung oder Gesundheitsvorsorge, und kann über Lobbyarbeit Einfluss auf die Politik ausüben. Und das nur, weil er in eine reiche Familie hineingeboren wurde.

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8 Kommentare

Ist das der richtige Weg, der richtige Ton, lieber Herr Freitag? Ist mmer mehr und immer schärferer Klassenkampf (für immer weniger Wähler) der richtige Weg für die frühere "Volkspartei SPD"?

Es scheint, dass auf diesem Gebiet die Propagande der Partei DIE LINKE mit einer Genossin Reichinnek ohnehin bereits erfolgreicher unterwegs ist. Meint man etwa diese - zumindest rhetorisch - noch links überholen zu müssen?

Ist das der richtige Weg, der richtige Ton, lieber Herr Freitag? Ist mmer mehr und immer schärferer Klassenkampf (für immer weniger Wähler) der richtige Weg für die frühere "Volkspartei SPD"?

Es scheint, dass auf diesem Gebiet die Propagande der Partei DIE LINKE mit einer Genossin Reichinnek ohnehin bereits erfolgreicher unterwegs ist. Meint man etwa diese - zumindest rhetorisch - noch links überholen zu müssen?

richtig liegt, jedenfalls was die Tendenz betrifft. Warum sollten wir dann -entgegen unserer historisch gewachsenen Einsicht, die Finger lassen, von diesem Thema, das uns doch allen unter den Nägeln brennt. Die Reichen sind ein Anachronismus, den es nun endlich mal gilt zu überwinden. Wer mit uns schreitet, auf diesem Weg, ist herzlich willkommen- alle anderen wird das Leben strafen. Den Reichen muss soviel genommen werden, das für alle gleich viel vorhanden ist.

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Do., 02.10.2025 - 11:01

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Ganz klar, weil die Politik nichts dagegen unternimmt. Schon in der Bibel heißt es: "Wer hat, dem wird gegeben, wer nichts hat, dem wird genommen."
Genauso verhält es sich hier, weil Merz, Reiche und Co. die Sozialleistungen weiter kürzen wollen, den Reichen aber noch mehr Steuergeschenke machen wollen.
Schade, dass eine Verletzung des Amtseides nicht strafbewehrt ist, weil der Satz "Gerechtigkeit gegen jeden anzuwenden, völlig ignoriert und das Gegenteil praktiziert wird!!!

s sind eben nicht nur Merz, Reiche und Co. samt Lindner sondern eben auch maßgebliche Leute aus der SPD, die souiale Gerechtigkeit verhindern. Damals 1998 dachten wir es ändert sich was, ja es hat sich was geändert und die SPD ist in weiten Teilen ins neoliberale Lager übergelaufen. Jetzt muss auch noch der ;ilitarismus bedient werden ind unser Lars jat sich da schon entspechend geäußert.
Es wird dann heußen: Wir haben schlimmeres verhindert, aber wer will das noch glauben ?????

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Fr., 03.10.2025 - 09:11

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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Leider hast Du Recht. Seit Schröder hat die SPD in puncto Steuergerechtigkeit entweder versagt oder nichts getan. Man beruft sich dann immer auf den Koalitionsvertrag, obwohl auch andere Dinge beschlossen werden, die nicht im Koalitionsvertrag stehen. Und dann wundert man sich, dass die Rechten, die ohnehin den Reichen die Steuern erlassen wollen, regelmäßig Wahlen gewinnen.
Die SPD müsste nachdrücklich deutlich machen, dass endlich eine gerechte Steuerpolitik dringend notwendig ist; dann kann sie auch wieder Stimmen gewinnen.
Aber leider hört von den Verantwortlichen niemand auf uns. Unsere Kommentare dienen eigentlich nur dazu, unseren Frust abzuladen.