Einigung von SPD und Union: So soll der neue Wehrdienst aussehen
Die Bundesregierung hat sich auf die Wehrdienst-Pläne von Verteidigungsminister Boris Pistorius geeinigt. Diese sollen bereits ab dem kommenden Jahr greifen und setzen auf Freiwilligkeit – außer in einem Punkt.
IMAGO/Wolfgang Maria Weber
Dienen, um Deutschland zu verteidigen: Die Bundesregierung setzt auf einen freiwilligen Wehrdienst, um die Personallücke bei der Bundeswehr zu schließen.
Knapp 183.000 Soldat*innen dienen zurzeit in der Bundeswehr – zu wenige, um Deutschland im Ernstfall zu verteidigen. Das zumindest legen Berechnungen von Verteidigungsministerium und NATO nahe. Verteidigungsminister Boris Pistorius will die Zahl der aktiven Soldat*innen in den kommenden fünf Jahren deshalb um rund 80.000 erhöhen. Der entscheidende Hebel dafür soll ein Wehrdienst sein. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett Pistorius‘ Pläne dafür auf den Weg gebracht.
Wie soll der künftige Wehrdienst aussehen?
Ab dem kommenden Jahr sollen alle Frauen und Männer in Deutschland ab Jahrgang 2008 mit Erreichen des 18. Lebensjahres angeschrieben und dazu aufgefordert werden, einen digitalen Fragebogen auszufüllen. Für die Männer ist das Ausfüllen verpflichtend, für die Frauen freiwillig. Abgefragt werden etwa die persönliche Fitness, persönliche Interessen und die Bereitschaft, Wehrdienst in der Bundeswehr zu leisten. Wer Interesse anmeldet, wird zur Musterung eingeladen und kann – ein positives Musterungsergebnis vorausgesetzt – freiwillig seinen Wehrdienst leisten.
Über die Aufforderungen per Brief sollen alle jungen Menschen sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob sie zur Bundeswehr gehen wollen oder nicht. „Jeder wird sich entscheiden müssen, ob er etwas zu unserer Sicherheit beitragen will“, sagte Pistorius am Mittwoch. Der Verteidigungsminister verspricht sich davon eine Veränderung „des Mindsets in der Gesellschaft“.
Ab 1. Juli 2027 sollen dann alle 18-jährigen Männer zu einer verpflichtenden Musterung eingeladen werden – auch wenn sie bereits wissen, dass sich nicht für den freiwilligen Wehrdienst entscheiden werden. Eine Verweigerung wie früher bei der Wehrpflicht ist jedoch nicht notwendig.
Wie lange soll der Wehrdienst dauern?
Nach Pistorius‘ Vorstellungen soll der Wehrdienst mindestens sechs und höchstens 23 Monate dauern. Danach ist eine Weiterverpflichtung als Zeit- oder Berufssoldat*in möglich. Ab eine Verpflichtungszeit von zwölf Monaten soll eine vertiefte Ausbildung der Wehrdienstleistenden stattfinden, etwa an speziellen Waffensystemen.
Wehrdienst bedeutet also nicht Wehrpflicht?
Genau. Boris Pistorius‘ Ziel ist, den Bedarf an Soldat*innen allein mit Freiwilligen zu decken. Dafür soll der Wehrdienst so attraktiv sein, dass sich ausreichend Freiwillige finden. So will er Wehrdienstleistende etwa als Zeitsoldaten einstufen, damit sie eine deutlich bessere Bezahlung erhalten.
Ist das Wehrdienst-Modell vom Parteitagsbeschluss der SPD gedeckt?
Ja. Ende Juni haben die Delegierten einen Beschluss gefasst, in dem es heißt: „Die SPD bekennt sich zu einem Neuen Wehrdienst, der auf Freiwilligkeit beruht und sich am schwedischen Wehrdienstmodell orientiert. (…) Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind. Maßnahmen zur Musterung, Erfassung und Wehrüberwachung wehrpflichtiger junger Männer wollen wir ermöglichen.“ Diese Vorgaben werden mit Pistorius‘ Wehrdienst-Vorschlag erfüllt.
Reicht Pistorius‘ Wehrdienst-Vorschlag aus, um genügend Freiwillige vom Dienst an der Waffe zu überzeugen?
Das ist die Frage, über die auch in der Koalition Uneinigkeit herrscht. So hatte Außenminister Johann Wadephul noch bis Anfang der Woche sein Veto gegen Pistorius‘ Wehrdienst-Vorschlag eingelegt. In CDU und CSU gibt es die Sorge, dass sich nicht genügend Freiwillige für den Wehrdienst entscheiden, um die Personallücke bei der Bundeswehr zu schließen. Die Parteien drängen daher darauf, mehr verpflichtende Elemente in das Gesetz aufzunehmen. Dies könnte im Rahmen der parlamentarischen Beratungen im Bundestag noch erfolgen. Verteidigungsminister Boris Pistorius ist aber „sehr zuversichtlich“, dass der Personalbedarf auf freiwilligem Wege erreicht werden kann, wie er am Mittwoch betonte.
Was passiert, wenn sich nicht genug Freiwillige finden?
Für diesen Fall sieht Pistorius' Gesetzentwurf die Möglichkeit vor Wehrdienstleistende verpflichtend heranzuziehen. Sollten kurzfristig mehr Soldaten gebraucht werden, könnte dann die Bundesregierung per Rechtsverordnung und nach Zustimmung des Bundestags die Einberufung zum Grundwehrdienst beschließen.
Wie ist die geltende Rechtslage?
Es gilt eine Wehrpflicht in Deutschland, die allerdings 2011 ausgesetzt wurde. Seitdem finden keine Musterungen und keine „Wehrüberwachung“ mehr statt. Die Struktur der Kreiswehrersatzämter wurde Stück für Stück abgebaut. Allerdings: Im Spannungs- oder Verteidigungsfall würde die Wehrpflicht nach aktueller Rechtslage automatisch wieder in Kraft treten. Damit könnten alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren zur Bundeswehr eingezogen werden, sofern sie den Kriegsdienst nicht verweigert haben.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
Mir wäre es lieber daß führende SPD Politiker (innen wie außen) sich wieder versträrkt um Diplomatie und Friedenssicherung, samt sozialem Ausgleich, l#kümmern würden anstatt Milliarden in Rüstung und junge Menschen in die Kasernen zu stecken.
Kann ich da noch Hoffnung haben ?