Amerikas Schatten über Lateinamerika – und Europas gefährliches Schweigen
Die USA drohen unverhohlen mit einem militärischen Einmarsch in Venezuela. Europa sollte dazu nicht schweigen und US-Präsident Donald Trump gegenüber klar Position beziehen, fordert die SPD-Bundestagsabgeordnete Isabel Cademartori.
IMAGO/ZUMA Press Wire
US-Präsident Trump hat Streitkräfte in die Karibik beordert, um gegenüber Venezuela Stärke zu zeigen.
Die Entwicklungen in Lateinamerika – besonders rund um Venezuela – zeigen mit erschreckender Klarheit, wie schnell geopolitische Spannungen in einer Eskalationsspirale münden können. Seit Monaten verstärken die USA ihre militärische Präsenz in der Karibik, während die venezolanische Führung ihrerseits die Streitkräfte mobilisiert. Die Hinweise auf eine bevorstehende US-Intervention in dem Land nehmen zu.
Hinter der Rhetorik über Demokratie, Menschenrechte und den „Kampf gegen Drogen“ verbirgt sich ein altbekanntes Muster: Machtpolitik im Gewand moralischer Argumente. Tatsächlich geht es um strategische Rohstoffe, geopolitische Einflusszonen und innenpolitische Profilierung.
Unterstützung durch Friedensnobelpreisträgerin
Wir erleben ein Wiederaufleben der Monroe-Doktrin, mit der die USA sich europäische Einmischung in die westliche Hemisphäre verbaten und die im 19. und 20. Jahrhundert auch als Rechtfertigung für US-Interventionen diente. Heute wird sie gegen den Einfluss Chinas neu aktiviert. Außenminister Marco Rubio treibt diese Politik voran. Er präsentiert Nicolás Maduro als Verantwortlichen für Drogenhandel und Migration und ist davon überzeugt, dass ein Schlag gegen Venezuela gleichzeitig Kuba schwächen würde.
Verstärkt wird diese Eskalationslogik durch die rechte Politikerin und angehende Friedensnobelpreisträgerin María Corina Machado, die Trump offen zu militärischem Vorgehen drängt und dafür die Privatisierung venezolanischer Rohstoffe in Aussicht stellt. Und während Maduro zweifellos ein autoritärer Herrscher ist, der sein Land durch Misswirtschaft und Repression ruiniert hat, bleibt klar: Eine militärische Intervention würde die Souveränität Venezuelas verletzen und nicht zwingend die Situation im Land verbessern.
Folgt Kolumbien als nächstes?
Vielmehr wäre eine solche US-amerikanische Interventionspolitik bedrohlich für die demokratischen Kräfte in der Region. Welche Kategorien würden die USA anwenden? Wer ist Feind, wer Freund? Bei Trump wird das nach Wohlgefallen und nicht unbedingt strategisch entschieden. Kolumbiens demokratisch gewählter Präsident Petro ist wegen seiner Kritik an Trump und der Unterstützung Palästinas für US-Präsidenten wortwörtlich ein rotes Tuch – obwohl Kolumbien traditionell eine enge Sicherheitskooperation mit den Vereinigen Staaten pflegt.
Trumps Lateinamerika-Politik steht exemplarisch für eine gefährliche globale Entwicklung. Seine Außenpolitik folgt keiner erkennbaren außenpolitischen Strategie, sondern einem Wechselspiel aus Drohgebärden, Loyalitäten und der Taxierung des innenpolitischen Nutzens. Mal inszeniert Trump sich als Präsident, der Kriege beendet, dann schickt er Kriegsschiffe in die Karibik.
Lula und Sheinbaum geben Trump Conta
Während es Teile der MAGA-Bewegung gibt, die weitere Kriege im Ausland skeptisch betrachten, böte ein Angriff auf Venezuela beiden Lagern Anknüpfungspunkte, da Trump vorgibt, es ginge ihm nicht in erster Linie um Regime Change. Stattdessen spricht er von einer Intervention als Maßnahme gegen zwei innenpolitische Probleme: Zuwanderer*innen und Drogen aus Südamerika. Völkerrecht oder Respekt vor staatlicher Souveränität sind keine Kriterien in den Entscheidungsprozessen Washingtons.
Auffällig ist, dass sich die politischen Führungen Lateinamerikas selbstbewusster gegenüber Washington positionieren als viele europäische Regierungen. Brasilien unter Lula und Mexiko unter Sheinbaum weisen äußere Einmischung klar zurück und setzen auf regionale Kooperation statt auf Vasallentreue.
Lateinamerika als zentralen Partner ernst nehmen
Europa hingegen verharrt in Passivität – ein strategischer Fehler! Lateinamerika ist längst kein Randgebiet mehr, sondern ein zentraler Partner für erneuerbare Energien, eine zukunftsorientierte Industriepolitik und die Stabilität demokratischer Ordnungen in einer multipolaren Welt. Wer diese Partnerschaften vernachlässigt, verliert wirtschaftliche Chancen und politische Glaubwürdigkeit.
Gerade deshalb braucht Europa endlich eine eigenständige Lateinamerika-Strategie. Aus sozialdemokratischer Sicht muss sie auf Kooperation, sozialer Entwicklung und demokratischer Souveränität beruhen. Europa darf weder eine Interventionslogik unterstützen noch geopolitische Leerstellen hinterlassen, die autoritäre Akteure füllen.
Deutschland muss klare Haltung einnehmen
Gerade Deutschland muss hier eine klarere Haltung einnehmen. Wer sich, wie wir, vielfach auf das Völkerrecht beruft, darf nicht schweigen, wenn es verletzt wird – auch nicht durch Verbündete. Wer sich, wie wir, gegen das Konzept von Einflusssphären im Falle Russlands ausspricht, darf nicht schweigen, wenn die Vereinigten Staaten in der westlichen Hemisphäre völkerrechtswidrig „Spezialoperationen“ durchführen.
Die Euphemismen für Krieg und Gewalt unterscheiden sich nicht von denen der Autokraten. Wenn der Westen seine eigenen Prinzipien abermals verrät, darf er sich nicht wundern, wenn der globale Süden zunehmend achselzuckend auf russische oder gar chinesische Aggression gegen Nachbarländer blickt.
Eine militärische Eskalation in Venezuela hätte gravierende Folgen. Sie würde autoritäre Kräfte stärken, die internationale Rechtsordnung schwächen und Europa weiter an den Rand eines geopolitischen Mächtespiels drängen, in dem wir eigentlich als Vermittler gefragt wären.
Fehler des 20. Jahrhunderts nicht wiederholen
Lateinamerika steht an einem Wendepunkt – und Europa ebenfalls. Die Region kann in alte Abhängigkeiten zurückgedrängt werden oder sich als eigenständiger Akteur behaupten. Europa wiederum muss entscheiden, ob es Zuschauer bleibt oder handelnder Akteur sein will. Für uns Sozialdemokrat*innen ist klar: Außenpolitik darf kein Spielfeld hegemonialer Fantasien sein. Sie muss demokratische Kräfte stärken, Frieden sichern und verhindern, dass die Fehler des 20. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert wiederholt werden. Genau hier liegt die Verantwortung Deutschlands – und genau daran wird sich unsere Glaubwürdigkeit messen lassen müssen
ist SPD-Bundestagsabgeordnete und verkehrspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Ihr Großvater war in Chile Wirtschaftsminister, ehe sich der Diktator Pinochet durch einen von den USA unterstützten Staatsstreich an die Macht putschte.